Werner Schandor

gangway #20

Peter Sterner – Das Geheimnis seines Erfolges

© 2001 by Werner Schandor and gangan books australia

 

Zeichner: Roman Klug

Lucky me swimming in my ability – Red Hot Chili Pepper

Der letzte Akkord eines Songs verebbt im Abflauen der Bühnenlichter. Peter Sterner verneigt sich in den Saal hinein, und nach einer kurzen Pause der Ergriffenheit umbrandet ihn Applaus. Das Publikum erhebt sich von den Sitzplätzen. Der Moderator kommt quer über die Bühne auf Sterner zugeschritten, applaudiert demonstrativ, legt anerkennend seinen Arm um den Star und blickt verliebt in die Kamera. Der Mund des Talkmasters ist zu seinem unnachahmlichen Grinsen verzogen, dem Lächeln eines von Läusen befreiten Primaten. “Pitar Sdörna und sein Hit ‘Dancing Like a Pharao’, meine Damen und Herren!” versucht er, sich durch den brandenden Applaus hindurch Gehör zu verschaffen.

Nie hätte Sterner sechs Monate zuvor damit gerechnet, dass er je wirklich als Weltstar im gleißenden Scheinwerferlicht vor den Fernsehkameras stehen würde. Nie damit, dass er sich vor Bewunderern und Verehrern kaum retten können würde. Und während ihn der Talkmaster zum Interview auf die Couch bittet, damit er dem Millionenpublikum das Geheimnis seines Erfolges beichtet, blitzen in Sterners Gedächtnis schlaglichtartig jene Stationen seiner Karriere auf, die über ihn unvermittelt hereinbrach wie ein warmes, erfrischendes Sommergewitter.

“Wie kam es, Pitar, dass ...?” – Auf diese Frage, schon tausend Mal gestellt, hat sich Sterner seine Antwort zurechtgelegt. Wir kennen sie aus dem Fernsehen und aus seinen Zeitungsinterviews: Wie er entdeckt wurde; wie sich “nach langer, harter Arbeit” sein Erfolg endlich mit einer unglaublichen Leichtigkeit einstellte. Wir kennen diese Geschichten, und wir können uns denken, dass sie erstunken und erlogen ist. Genauso, wie wir wissen, dass Sterner nur faselt, wenn er sagt: “Was mich am meisten beglückt, sind nicht die Millionen, die auf meine Konten einfließen. Nicht die Villen, Südseeinseln, Sportautos und all die anderen Kleinigkeiten, die mir das Leben versüßen. Nein, für mich zählt nur eines: Dass ich ein zutiefst zufriedener Mensch bin, und dass ich es trotz des Erfolges geblieben bin. Und ich meine, wie ich es sage: Zufriedenheit, das ist, wenn deine Seele Flügel bekommt und du weißt, alle Wege stehen dir offen, weil dein Herz dir jede Tür aufmacht.”

So ein Schmarren.

Was in den Medien nie erzählt wird, weil es von Sterners Management aus seinem Lebenslauf gestrichen wurde, sind jene zahllosen Tage, an denen er als verbissener, kleiner Immobilienmakler in unserer Stadt versuchte, seine dürftigen Wohnungen anzubringen. Hier hat unsere Geschichte einzusetzen. Denn hier hat alles seinen Ausgang genommen. Und Sterner kann sich noch genau an den Zeitpunkt erinnern, an dem alles anfing.

Rückblende: Es war einer dieser tristen Tage, an denen der Himmel wie aus Pappmaché über der Stadt hing. Peter Sterner hatte gerade eine seiner unsäglich durchschnittlichen Wohnungen an eines dieser unsäglich durchschnittlichen Akademikerpaare vercheckt. Nun saß er wieder in seinem Golf Cabriolet und blickte zum Ausparken in den Seitenspiegel, als er bemerkte, dass er seine Aktentasche in der Wohnung vergessen hatte. Und damit fing die ganze Sache an. Es hört sich lächerlich an, aber so war es: Dass er seine Tasche vergessen hatte, sollte ihn aus seiner kleinkarierten Bahn hinaus schleudern und in die höchsten Sphären befördern.

Während er erneut die drei Stockwerke hochstieg, um die vergessene Tasche zu holen, ahnte er noch nichts. Auch nicht, als er in der Wohnung war, seine Tasche bereits in Händen hielt und ein Geräusch aus der Küche vernahm, oder besser: etwas, das sich wie das Gackern eines Huhnes anhörte und aus dem Schrank zu kommen schien. Sterner ging in die Küche und öffnete alle Türen des Schrankes, um nach der Ursache des Geräusches zu forschen. Er wusste nicht, dass sein Glück die Ursache war. Es hatte ein bisschen gekrächzt, um ihm zu sagen: Hier stecke ich. Schau nach mir. Er hätte das Geräusch genauso gut ignorieren können, sich nichts denken, seine Tasche nehmen und verschwinden. Aber er tat es nicht. Zum Glück. Er forschte nach der Quelle des seltsamen Gackerns. Sterner klappte alle Türen der Kästchen auf und zu, blickte auf sauber staubgewischte, leere Regale. Nur im letzten Kästchen, das er öffnete, lag etwas: ein Kuvert. Und im Kuvert fand Sterner, als er es hektisch aufriss: ein Brieflos.

Und damit begannen sich die Dinge zu überschlagen. Draußen teilte sich der Pappmachéhimmel wie ein Vorhang und gab gleißenden Sonnenschein frei. Und in fernen Weiten stürzte ein böser Stern, der bisher Sterners Leben überschattet hatte, in den Abgrund eines unendlich leeren, unendlich schwarzen Loches. – Wie sonst erklärt man sich das Unerklärliche? Mit welchen anderen Metaphern als den geheimnisvollen Einwirkungen von Vorgängen in weiten Fernen kann man das Unfassbare, das sich direkt vor unseren Augen ereignet, fassen? Sterner wunderte sich. Woher kam das Los? Warum wurde es nicht gefunden, als sich das Akademikerpaar den Kasten ansah? Hatte es jemand vergessen? Hatte es – das war der noch viel unverständlichere Gedanke – jemand extra für ihn dort liegengelassen? Und wenn ja: Wer? Und übrigens: Wo war das Huhn, das er gehört hatte?

Sterner hatte keine Zeit, den Dingen auf den Grund zu gehen, denn es klingelte. Er wickelte das Los in sein Taschentuch und steckte es in die Brusttasche seines Jacketts. Dann ging er in den Vorraum, um den Türöffner zu betätigen. Es klingelte nochmals. Die Person musste bereits vor der Tür stehen. Sterner schaute durch das Guckloch und sah eine Frau: Die schönste Frau, die ihm je unter die Augen gekommen war. Er öffnete. Sah sie fragend an. Ihre Blicke kreuzten sich. Sterners Herz stand für einen angehaltenen Atemzug lang still. Als ihm wieder einfiel Luft zu holen, merkte er, dass sie nicht nur die erste Person mit echten Designerkleidern war, die ihm an diesem Tag unterkam, sondern auch, dass sich seine Hose vorne wölbte.

“Ich komme wegen der Wohnung”, sagte die Frau.

“Das muss ein Irrtum sein. Aber treten Sie bitte ein!”

Sterner hatte keinen zweiten Termin zur Besichtigung der Wohnung vereinbart. Trotzdem fragte er die Frau nicht, woher sie von der Wohnung wusste. Er war von ihrer Schönheit überwältigt und zeigte ihr die Räume, ohne sich seine Aufregung anmerken zu lassen.

“Ich will ehrlich zu Ihnen sein,” sagte er gleich im ersten Zimmer: “Diese Wohnung ist nichts für Sie. Ich zeige Ihnen lieber ein besser gelegenes Objekt, das Sie ganz sicher entzücken wird.”

“Und ich will ehrlich zu dir sein,” hauchte sie als Entgegnung: “Die Wohnung interessiert mich eigentlich gar nicht, sondern ein ganz anderes Objekt, das mich ganz sicher entzücken wird!”

Und dabei drückte sie sich eng an Peter Sterner, fasste an seine Hose und zog ihn zu Boden. Es war wie im Film – eine dieser hocherotischen Szenen, wo zwei Menschen ihre perfekten, nackten Körper einander annähern, um sich schließlich in einer grenzmystischen Energieentladung zu vereinigen. Und diese Szene projizierte sich nun von der Leinwand herab auf Sterners Leben, mit ihm und der schönen Unbekannten in der Hauptrolle.

Die vormals noch öde Bleibe verwandelte sich unter Küssen und Umarmungen in einen Tempel der Liebe. Unter halb gestöhnten Bereitheitsbezeugungen, die seine Erregung nur noch steigerte, riss die Frau ihm und sich selbst die Kleider vom Leib.

“Ich heiße Uschi,” flüsterte sie. “Ich bin Palmers-Model. Als ich dich in der Tür sah, stellte ich dich mir in der neuen Männerunterhosenkollektion vor!”

Sterner seinerseits streifte atemlos Uschis dünnes Etwas von Höschen und Strümpfen von ihrer makellosen Haut und geriet in einen erotischen Taumel, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Seine Lust wuchs sich zum reinsten Liebesrausch aus, der sich ins Unendliche steigerte. Bald schon tauchten die beiden in ihren ersten Höhepunkt ein. Dabei war es, als würde der ganze Strahlehimmel draußen vor den Fenstern von riesigen roten Herzen überzogen sein, die zum Donauwalzer über den Dächern kreiselten. Es war einfach un-glaub-lich!

Eineinhalb Stunden später kehrte Sterner ins Büro zurück. Er war glücklich. Er pfiff – wie immer, wenn er bester Dinge war – die Melodie von “Deutschland, Deutschland über alles!” Daran änderte sich auch nichts, als ihm die Sekretärin entgegenstürzte und in Tränen aufgelöst mitteilte, dass der Chef mit einem schweren Herzinfarkt ins Spital eingeliefert worden war und es nicht gut für ihn ausschaue. Mit dieser Nachricht war der letzte Beweis erbracht. Peter Sterner wurde schlagartig klar, was er bereits geahnt hatte: Dieser Tag war sein unumstößlicher Glückstag. Alles Schwere war von ihm abgefallen, und nun purzelten die Ereignisse, eines beglückender als das andere, endlos auf ihn ein. Er nahm sich augenblicklich frei und fuhr nach Hause.

Auf den Gehsteigen erblickte er Leute, die sich wie Hunde nach ihrem Hinterteil reckten. Sie versuchten, sich selbst in den Allerwertesten zu beißen. Männer in Anzügen und Frauen in Geschäftskostümen standen vor Laternenmasten und schlugen mit dem Kopf dagegen. Sie torkelten den Gehsteig entlang, und ihre Gesichter flogen hin und her von den Ohrfeigen, die sie sich selbst verabreichten. Sterner winkte ihnen fröhlich aus seinem offenen Cabrio zu. Ein neues Leben hatte begonnen. Jahrelang hatte er uninteressante Menschen in Wohnungen aller Art und Größe geführt, um sie zu bedienen, sich bei ihnen anzudienen und sie hinters Licht zu führen. Er hatte gewusst, das konnte nicht alles sein. Sicher: Er hatte sein Cabrio, seine Stunden im Fitnesscenter, seine Clique im In-Lokal und seine liebste Herrenboutique. Aber bei all dem hatte er sich im Innersten immer übervorteilt gefühlt. Oft und oft hatte er sich gefragt, warum immer die anderen die großen Villen hatten und die Super-Models als Freundinnen, mit denen sie in den neuesten James-Bond-Gefährten spazieren fuhren. Warum die anderen, und nie er?! Und jetzt, auf einmal, spürte er, dass sich auch ihm diese Welt auf täte. Die Türen öffneten sich und dahinter warteten VIP-Lounges und Bars, in denen dienstfertige Chefober Martini Drys mit leichter Verbeugung überreichten. Eine Welt, in der sich die Rollen ändern sollten und er, Peter Sterner, derjenige war, den es zu hofieren galt. Ganz sicher! Und die Eintrittskarte in diese Welt war: Das Brieflos aus der Wohnung!!!

Zuhause fiel es ihm wieder ein. Er fischte es aus dem Sakko, wickelte es aus dem Taschentuch und sah es sich aus der Nähe an. Dabei kam er ins Philosophieren. Was war es, das Brieflos?! fragte sich Peter Sterner. Nichts! War die Antwort. Nichts als ein lausiges, bunt bedrucktes Stück Papier, an das viel zu viele Menschen magische Wünsche hefteten!

Sterner überlegte, sein Brieflos ungeöffnet wegzuwerfen, einfach, um sein Glück zu provozieren. Er würde, war er nach den Ereignissen der vergangenen Stunden überzeugt, noch jede Menge solcher Chancen bekommen. Er hatte es nicht nötig, wie ein Idiot auf eine Chance zu gieren, die es nicht wirklich gab. Ein Brieflos, dachte er, wäre unter seiner Würde. Kurzerhand zerfetzte er es in fünfzig kleine Stückchen.

Nein, natürlich nicht. Sterner kann zwar als Ungustl bezeichnet werden. Aber er war kein Trottel. Und es war ihm klar, dass er sich als solcher erwiesen hätte, wenn er das Brieflos in Stücke riss. Nein! Also riss er die Perforation des Briefloses auf. Was soll man sagen? – Dass sich in diesem Los “die Million” befand, der Tausende hinterher hecheln, und dass Peter Sterner derjenige war, dem das Los in die Hände geriet? – Ihn selbst überraschte es nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Er wusste von dem Moment an, da er das Brieflos gefunden hatte, dass im Feld, wo bisher jedes Mal “leider nicht” gestanden war, diesmal “1,000.000,— öS” zu lesen sein würde. Und als es dann wirklich so war, ließ es ihn kalt. Er zitterte nicht, machte keinen Luftsprung, er drehte nicht vor Freude durch, sondern faltete das Papierbriefchen wieder zusammen, steckte es in die Geldbörse, nippte vom Martini, den er sich bereitet hatte, und nahm sich vor, am nächsten Tag bei der Lottogesellschaft anzurufen, um seinen Gewinn einzufordern. Die Million würde ihm ein paar Monate sorglosen Lebens bescheren. Er rief Uschi an: “Pack die Koffer, Darling! Wir vertschüssen uns in Richtung Süden! Morgen geht es los.”

Die nächsten Monate waren die bis dahin schönsten in Sterners Leben. Er gab seinen Job auf und flog mit Uschi auf die Malediven. Sie verbrachten traumhafte Wochen unter der tropischen Sonne, tranken Bacardi-Rum an weißen Sandstränden und ließen sich von einheimischen Kellnern wie Fürsten bewirten. Zwischendurch hatten sie himmlischen Sex auf gemieteten Yachten und in vollklimatisierten Fünf-Sterne-Bungalows. Tagsüber gingen sie tauchen, oder sie ließen sich mit Fischerbooten auf unbewohnte Inseln bringen. Abends speisten sie in den Restaurants und Bars der besten Hotels, die sie im Lauf der Wochen auf den einzelnen Atolls kennerlernten. Und in der Nacht schauten sie sich den Sternenhimmel an, wenn sie nicht gerade wieder übereinander herfielen.

An einem dieser wunderbaren Tage klimperte Sterner in der Hängematte auf einer Gitarre herum, und Uschi meinte, das höre sich gut an; er solle doch Lieder schreiben und sie aufnehmen. “Tja, wenn du meinst ...,” sagte Sterner und dachte schon nicht mehr daran. Doch nachdem sie nach Europa zurückgekehrt waren und sich Uschi in ein Sanatorium legte, um ihre Brüste noch einmal vergrößern zu lassen, mietete er sich ein Studio, wo er mit ein paar Musikern eine Handvoll Songs aufnahm, die er auf den Malediven geklimpert hatte. Es waren Liebeslieder, in denen er die zunehmende Schönheit von Uschi besang, tropische Sonnenuntergänge, die faszinierende Unterwasserwelt und schillernde Orgasmen. Sterner hatte nicht vor, irgendetwas mit diesen Songs zu machen. Er nahm die Lieder nur für sich und Uschi auf, damit sie im Autoradio etwas zum Anhören hätten, wenn sie mit ihrem frisch geleasten BMW auf Spritztour gingen.

Uschi sah umwerfend aus, als er sie vom Sanatorium abholte. Noch bezaubernder als bisher. “Oh, Baby”, stöhnte er, “wie soll ich mit so viel Schönheit nur fertig werden?”

“Trag es mit Fassung, du wirst dich daran gewöhnen”, meinte sie. Sterner hatte eine Überraschung für sie: Zwei Karten für die VIP-Tribüne beim aktuellen Stones-Konzert in Monaco. Sie machten sich auf den Weg. Ab ging es in Richtung Ruhm und Reichtum.

Wenige Kilometer vor Monte Carlo stand ein Bus mit eingeschalteten Warnblinkern am Pannenstreifen. Für gewöhnlich hielt Sterner nicht an, sondern stieg fest aufs Gas, wenn er eine Panne oder einen Unfall sah. Sterner kannte ein Buch, in dem stand, dass man sich seine Krankheiten gezielt zuziehe. Als Mangelerscheinung der Seele. Bestimmt zieht man sich auch seine Unfälle und Pannen zu, war er überzeugt. Was also sollte er mit anderer Leute Unfälle und Seelenmangel anfangen? Wenn man sich mit Verlierern abgibt, wird man am Ende nur selbst zum Verlierer, war seine Devise. Trotzdem hielt er an. Und wieder hatte er, wie am Tag, als er seine Aktentasche in der Altbauwohnung vergaß, den goldrichtigen Riecher: Was da am Straßenrand mit rauchendem Motor parkte, war der Tour-Bus der Rolling Stones auf dem Weg zu ihrem Konzert.

“Well”, sagte Sterner zu Mick Jagger, der neben dem Bus stand und fluchte, “I guess you’re on the way to the concert. Braucht’s an lift?”

Wenig später drängten sich Mick, Keith Richards und Charlie Watts auf der Rückbank des BMW. Ihre Laune hatte sich gebessert. Keith hatte sich sogar einen Joint, groß wie ein Pilsglas, angeraucht. Der Kelch machte die Runde und landete bald in den Händen des Fahrers. Nach nur einem Zug war Sterner vollkommen berauscht, seine Mundwinkel hoben sich in Richtung Augenbrauen. Als er in den Rückspiegel blickte, sah er, dass auch die Stones da saßen wie drei fette Grinsekatzen.

“Uschi”, lächelte er, “ist das nicht himmlisch?!”

Und Uschi antwortete mit einem Lachkrampf, der sie wie ein Huhn gackern ließ. Da fiel Sterner ein, er könnte jetzt das Band mit den Maledivensongs abspielen.

Gleich als erstes kam sein persönliches Lieblingslied, “Sucking like a Pharao”.

“Hey, what’s that? – That’s bloody great!” hörte er Keith Richards krächzen. Und auch Mick Jagger, der kurzfristig leicht weggetreten war, wachte wieder auf und wurde rot. “The song is fabulous!” war er begeistert. “Only the refrain might be a bit too rude.”

“Wie meint ihr das?” fragte Sterner, der einige von den schmutzigen Liedern der Stones besonders gerne mochte. Nun erfuhr er – unter der Bedingung allerstrengster Geheimhaltung –, dass sich die Band im Studio doubeln ließen, wenn zweideutige Texte aufgenommen wurden. Aber: Sein Lied hatte auf der Rückbank eingeschlagen, kein Zweifel. Selbst der stille Charlie Watts, der Keith Richards Wundertüte stoisch aufgesogen hatte und, abgesehen von einem feinen Leuchten in seinen Augen, als einziger keine Reaktion darauf zeigte, fing an, mit den Händen den Rhythmus von “Sucking Like a Pharao” zu trommeln.

“Hey, Mann, du musst das verdammte Lied unbedingt vor Publikum spielen!” krächzte Keith. “Die werden sich alle auf der Stelle anscheißen, das verspreche ich dir!”

Und Mick, der zwar voll bedröhnt war, aber nicht bedröhnt genug, um das Geschäftliche aus den Augen zu verlieren, hatte eine ziemlich gute Idee: “Sing doch ‘Dancing like a Pharao’ statt ‘Sucking like a Pharao’!”

“Hey, und wie wär’s, wenn du es gleich heute in unserer Show spielst”, sagte nun Keith.

“Yeah”. – Das war Charlie Watts’ Kommentar.

“... in unSeRerr Ssschoou schpielssst ...” hörte Sterner aus galaktischer Entfernung. Im Geist sah er sich auf der Bühne stehen. Seine Augen waren zusammenkniffen wie die eines besoffenen Walrosses. Er grinste zwei Meter breit und blinzelte in das gleißende Irrlicht der stoneschen Laser-Show.

“We’d like to introduce...” hörte er Mick Jagger ins Publikum brüllen, “... a very special friend of ours. For the first time ever, here on stage: the future of Rock’n’Roll! Ladies and Gentlemen – please welcome:”

Und dann hörte er, Pitar Sdörna, seinen eigenen Namen, der sich mit einem frenetischen Schrei aus 70.000 Kehlen vermischte.

Sofort spielte Keith Richards das Riff von “Dancing like a Pharao” an, das er beim Soundcheck eingeübt hatte, Charlie Watts lieferte einen seiner unvergleichlich lässigen Einsätze und Mick betätigte sich hinter ihm als Bühnentänzer und Backgroundsänger. Sterner griff zum Mikrophon, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Und obwohl er ein klein wenig Angst hatte, vor lauter Nervosität könnte sein Schließmuskel vielleicht doch versagen, tat er es, als hätte er nie etwas Anderes getan: Er sang vor 70.000 Zuhörern. Und er erfasste die Menge wie ein Sturm.

Damit war das Wunder endgültig vollbracht, die Vorsehung des Pophimmels hatte sich erfüllt. Sterner war der Star des Abends, die Entdeckung des Jahres. Backstage stürmten Reporter auf ihn zu, und Fotografen ließen ein Blitzlichtgewitter auf ihn niedergehen. Die Bilder von seinem sagenhaften Auftritt landeten auf den Titelseiten der internationalen Musik-, Mode- und Zeitgeistmagazine. Sterner musste sich von einem Tag auf den anderen daran gewöhnen, sein Gesicht von allen Zeitungen und Zeitschriften lachen zu sehen. Er wurde von nun an von Schritt auf Tritt von Leuten bestürmt und um Autogramme und Interviews gebeten. Er konnte keinen Fuß mehr vor die Haustür setzen, ohne von einer Fan-Gemeinde umgeben zu sein, die vollkommen aus dem Häuschen war, nur weil sie ihn leibhaftig sehen durfte. Die 5-Sterne-Hotels, in denen er ab nun residierte, wurden belagert, seine Autos mit Liebeserklärungen mit rotem Lippenstift vollgeschmiert. Sterner legte sich Bodyguards zu, er heuerte eine Managementagentur an und überlegte sich, seinen Wohnsitz gänzlich nach Monaco zu verlegen, sowohl um den Steuern zu entgehen, als auch um dem Jet-Set, der ihn zu seinem Liebling erkoren hatte, näher sein zu können.

Jeden Tag trudelten tausende Fanbriefe bei ihm ein. Seine in- und ausländischen Konten explodierten förmlich. Im Büro seines Managers standen die Leute mit Koffern voller Geld Schlange, das sie Sterner am liebsten eigenhändig in den Hintern gesteckt hätten, nur um ihn als Werbeträger zu gewinnen. Er habe hart gearbeitet, sagte er, nach dem Geheimnis seines Erfolges befragt, immer wieder; und nun ernte er den Erfolg, zu dem er die besten Voraussetzungen hätte. Das Argument überzeugte seine Gesprächspartner. Die weiblichen Journalisten lechzten danach, von Sterner wenigstens berührt zu werden. Ihre männlichen Kollegen fühlten sich geehrt, wenn sie von Pitar Sdörna Superstar in der Hotelbar mit einem freundlichen Wort bedacht wurden. Erste Biographen gingen daran, seine Herkunft und seinen Werdegang in huldigenden Schriften nachzuzeichnen. Sie vernachlässigten keine noch so banale Äußerungen aus seinem Mund und gaben getreulich wieder, welchen Anzug aus der Kollektion wessen Cotouristen er bei welchem Antritt getragen hatte. Peter Sterner hatte den Überblick verloren, wer sich alles um seine Person riss. Sollte sich sein Management darum kümmern. Er stand im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. “Und doch ist mir bewusst”, pflegte er bei Interviews zu sagen: “Ich bin nur einer von Etlichen, die von den Titelseiten der Zeitungen und Zeitschriften lächeln und deren Namen jedes Kind auf der Welt kennt. Ich bin einer von den Auserwählten, die stark genug sind, dass sich in ihnen das Glück der Menschheit bündeln kann.”

Und so sehen wir ihn wieder in unserer Lieblingssendung, Samstag abends, im Showblock zwischen Madonna und Michael Jackson: als einen der Auserwählten, die das Glück der Menschheit in sich vereinen.

“Stimmt es, dass du von den Rolling Stones entdeckt wurdest?” fragt ihn der Showmaster, nachdem der Applaus endlich abgeflaut war und sie auf der Talk-Couch Platz genommen hatten.

“Ja, das war wie im Märchen”, antwortet Sterner. “Ich traf die Burschen vor ihrem Monte-Carlo-Konzert, konnte ihnen einen meiner Songs vorspielen und wurde sofort unter Vertrag genommen.”

“Da hast du unwahrscheinliches Glück gehabt.”

“Ja, aber vor allem war da eines: Ich habe einen Traum gehabt.”

Das war natürlich Blödsinn von vorn bis hinten. Aber so hatte er es vor der Show mit Tommi ausgemacht, weil beide wussten, das kommt beim Publikum gut an.

“Pitar Sdörna, meine Damen und Herren! Vielen Dank, Pitar Sdörna!” Nochmals wurde sein Gesicht in Großaufnahme gezeigt. Dann der Schwenk, und die Sendung ging weiter: “In der nächsten Wette geht es um einen Geflügelzüchter aus Schleswig Holstein, der behauptet, er könne jedes einzelne seiner 500 Hühner an ihrem Gackern erkennen. Aber nicht nur an der Luft, sondern auch unter Wasser. Applaus für ...”

Peter Sterner rekelte sich unbeobachtet auf der Talk-Couch. Ja. Er hatte es geschafft. Er war ganz oben. Er hatte es sich im Glück häuslich eingerichtet, mit einem unbefristeten Mietvertrag in der Tasche. Selbst wenn ihm die Stimme versagte, würde er noch als Kunstfurzer CDs aufnehmen können, die zur Nummer 1 würden. Ihm würde nichts mehr passieren können. Außer, patsch: He, das verdammte Huhn, das hoch über ihm auf dem technischen Gestänge zwischen den Scheinwerfern hockte und etwas fallen gelassen hatte, es hatte ihn genau auf die Stirn getroffen! Was soll dieser Scheiß!? Peter Sterner wischte sich die Stirn ärgerlich mit einem Taschentuch ab. Dann sah er, dass Uschi zu, die wie bei jedem wichtigen Auftritt am Bühnenrand stand, lachte. Er zwinkerte ihr zu, und sie antwortete mit einer Kusshand, die sie ihm mit weit ausholender Geste zuwarf, bevor sie einen Schritt zurücktrat und in den Kulissen verschwand.

 

“Peter Sterner – Das Geheimnis seines Erfolges” (incl. CD “Like a pharao” ) erscheint als Comicbuch (Zeichner: Roman Klug) als Band 19 in der edition kürbis (ISBN 3-900965-19-6 oder online bei kuerbis@kuerbis.at), ÖS 198.- / DM 29.- / sfr 29.-

 

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