Gernot Lauffer

gangway #28

Politik und (Subventions-)Kultur

© 2003 by Gernot Lauffer and gangan books australia

 

In Stainz 6.1.03:

Österreich ist ein besetztes Land.
oder
Geben wir uns Gedankenfreiheit, Sire!

 

In Stainz ruft der Hirschmann die Kreativen zusammen. Die SPÖ hat die “Kultur”, der Hirschmann nimmt die Funktion des “Schattenministers” wahr. Da sitzen sie nun alle, die Künstler in ihren bunten Trachten, voller Hoffnung, zu etwas Staatsknete zu kommen. Ein exzentrisches Völkchen, die übliche Mischung aus Besessenheit, Verschrobenheit, Weltfremdheit, hermetischer Isoliertheit und – Opportunismus.

Ich komme zu spät. Am Wort ist gerade Andreas Braun, Kulturmanager von Swarovski in Wattens, vorher der sehr erfolgreiche Chef der Tirol-Werbung. Ein Tiroler, wie er im Buche steht, kernig, selbstbewußt, lakonisch, direkt.

Er erzählt die üblichen Geschichterln für Unbedarfte: Wie erfolgreich er sei, wie er das alles gedeixelt habe mit den Kristallwelten, was jetzt geschieht und wie es weitergehen soll. Nichts Wesentliches, aber doch Nachrichten aus einer fernen, fremden Welt der Bodenhaftung und der Selbständigkeit.

Und dann das Lamento der heimischen Künstel, daß sie zu wenig Geld kriegten, daß sie ein Recht auf mehr hätten, daß der Staat seinen Pflichten nicht nachkäme, daß die allgemeine Atmosphäre kulturfeindlich wäre und daß Kunst und Künstler wichtig, ja lebensnotwendig für das Gemeinwesen wären. In diesem Stil geht es weiter: Ein einziger Berichte vor der Beschwerdekommission, das übliche Bla Bla aus Vorwurf, Forderung, Selbsterhöhung und Selbstmitleid. Die Einzelnen referieren über ihre Arbeit, ihre Kunst und die geringen Subventionen. Keine Reflexion allgemeiner Natur über das Wesen, den Stand, die Umstände oder die Zukunft der Kunst. Ein hoch subventionierter Konzertveranstalter wird vom Tiroler Braun gefragt, wieviel seines Budgets er herein spiele. Das interessiere ihn überhaupt nicht, das wäre völlig irrelevant, das habe überhaupt nichts mit dem zu tun, was er anstrebe, gibt sich dieser gekränkt.

Ein paar Jahre vorher, vor der letzten Wahl, fast die selbe Besetzung, am Podium allerdings der rote Kulturminister Scholten sekundiert vom späteren Kulturreferenten Schachner. Der Himmel hing voller Geigen und Versprechungen. Einige Ausfälle von links kaschierten, daß man ein Herz und eine Seele war. Die Eiseskälte der nachfolgenden Realität zerstörte allerdings diese Blütenträume, jetzt erwarteten wir uns wieder vom schwarzen Gegenüber das Heil. Opportunistisch tanzen wir auf jeder Hochzeit und reden dem augenblicklichen oder künftigen Mächtigen nach dem Mund.

Mir ging das unfrohe vorwurfsvolle Geseire schon lange auf den Keks, außerdem mußte auch ich mich wichtig machen, positionieren, wie das neuerdings heißt. Wozu saß ich schließlich da herum, doch nicht, um etwas zu erfahren. Ich käme wir vor wie in der untergehenden Sowjet Union, als alles nur mehr eine Frage der schwindenden Staatsmittel gewesen wäre. Allgemeine Empörung. Dann meldet sich noch der Kulturchef des lokalen Kleinformats zu Wort, warf sich ob seiner übergroßen Verdienste um die Kulturzene in die Brust und wies auf den Anzeigenwert (!) seiner Kulturberichterstattung hin. Ein kleines Schreiduell folgte ob dieser Ungeheuerlichkeit. Die allgemeine Desorintiertheit hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die armen Journalisten! Nur weil ihnen jeder hinten hinein kriecht, damit überhaupt berichtet wird, halten sie sich für wichtig und bedeutend und wissen nicht mehr, wo Gott und das journalistische Ethos wohnt. Ich war naturgemäß unzufrieden mit ihren Leistungen und sagte es auch bei jeder Gelegenheit so nach dem Motto, entweder kriechen oder kontern. Wer berichtet schließlich schon gerne über ein Kreativmagazin wie den Sterz, die Texte sind lang – wann soll man die lesen? –, die wie die Grafiken oft von Unbekannten sind. Ob die wohl gut sind, ob die im Trend liegen? Und wenn das Ganze schon weit über zwanzig Jahre erscheint und täglich die Papierlawine über einen hereinbricht, geht leicht die Übersicht verloren. Da muß man sich entscheiden, wen man protegiert. Natürlich den, den man kennt, “gut” kennt, einfach so oder von den hinteren Kontakten. Ja, wie kommt man dann zu einer Besprechung? Persönliche Kontakte, sagt mein Gewährsmann vom Wiener Niveaublatt, sind das wichtigste. Ja, ja, der Balkan ... über den letzten Sterz “Tausend Bilder” berichtete die FAZ. Der Autor gab bis vor Kurzem eine Zeitschrift für Fotogeschichte heraus, als Österreicher in Deutschland, wo es dafür keine staatlichen Zuschüsse gibt. In Österreich wäre die Finanzierung vor allem von den persönlichen Beziehungen abhängig und weniger von der Qualität, das hätte er sich doch nicht antun wollen. Für besagte “Tausend Bilder” erhielt der Sterz wegen des großen Aufwands auch vom Ministerium einen Zuschuß. Später redet mich ein Kulturmensch an, mit dem ich sonst nichts zu tun habe, ob ich zufrieden wäre. Wie, was, warum, wobei, womit? Ihm hätte ich die Zuwendung zu verdanken. Ich bedankte mich überschwänglich. Die Qualität des vorgelegten Heftes wäre anderswo Grund genug gewesen. Ja, ja, der Balkan ...

Jetzt hat sie sie wieder, die VP die Kultur nämlich bzw. das, was davon über ist, seit der alte Koren in grauer Vorzeit das Zepter niedergelegt hat. Jetzt ist jedenfalls noch weniger Geld da als je, das wird es den kleinen abhängigen Kulturmachern Angst und Bang. Die Großen sind meist öffentliche Institutionen, die berührt das weniger, obwohl eine kleine Einsparung dort bei den kleinen viel ausmachen würde ... Aber was sind das für lächerliche Brosamen gegen das, was die gefräßige Maschine in Wien verschlingt. Die haben wir seit des Kaisers Zeiten, als noch ein Imperium zu repräsentieren war, die brauchen wir einfach, um in der Welt wenigstens noch irgendwer zu sein, bilden wir uns zumindest ein. Großmannssucht auf Kosten der Kleinen, der eigenen Kleinen. Da sparen wir alle für ein Großmachtgehabe, das schon in Paris lächerlich genug ist.

Um den Rest wird gerauft, denn das schnellere Geld ist immer noch das vom Staat, zumindest bei uns. Und so buhlen wir um die Gunst der Beamten, der Sekretäre, der Kuratoren, der Politiker, gefangen in unserer gegängelten Welt.

Die Karawane der Moderne ist allerdings schon längst weitergezogen, bis in das ferne Amerika. Andere Um- und Zustände erfordern andere Vorgangsweisen, andere Methoden, ein anderes Bewußtsein. Die Menschen, die Künstler, die Interessierten sind aus der höfischen Bevormundung befreit in einen freien Markt der Meinungen und Methoden entlassen worden. Dort wölbt sich ein anderer Himmel über den Kreativen, “die Gesellschaft” ist dort keinem etwas schuldig, dort muß, da kann jeder selber schauen, wo er bleibt, er ist ohne Vorwurf — an wen auch? — und daher voller Unternehmungsgeist. Dort agiert keiner in höfischer Abgeschiedenheit, dort hat keiner (Berührungs-)Angst vor dem Volk, keiner verachtet es, keiner haßt es. Keine Subvention verstellt die Sicht auf die Realität. Dafür, so sagen unsere Kulturtheoretiker und -politiker läge dort auch alles darnieder, die allgemeine Kulturlosigkeit wäre mit Händen zu greifen.

In dem riesigen Land sind allerdings klassische Kultureinrichtungen wie “Burg und Oper” äußerst spärlich, die müssen selbst sehen, wie sie über die Runden kommen, dafür fressen sie den kleinen Kulturproduzenten nicht alles weg, und die amerikanische Variante der modernsten darstellenden Kunst, des Films, beherrscht die Welt. Die Bedingungen für bildende Kreative scheinen dort für unserer Begriffe ziemlich schlecht, und doch wird immer noch dort bestimmt, wohin die (Kunst-)Reise geht. ein funktionierendes Atelier in NY ist immer noch ein Erfolgsbeweis.

Wir Ösis werden immer noch in Abhängigkeit gehalten, wir selbst halten uns in Abhängigkeit, wir leiden unter den Folgen “klerikaler Despotie” im Sinne der “asiatischen Despotie”, mit der Marx das alte Rußland beschrieb. Um zu überleben, unterwarfen wir uns der Gegenreformation, die kein Mensch wollte, die kein Mensch brauchte. Wir paßten uns an, wir arrangierten uns, wir wurden Teil des Systems der Vernichtung, Entrechtung und Erniedrigung und wir halten die Deformationen aus unserer Knechtschaft für einen wesentlichen Teile unserer, wie wir meinen, liebenswürdigen Identität.

Immer noch werden wir bevormundet von nicht mehr kaiserlichen Beamten, die nach Gutdünken bestimmen. Wer will deren Redlichkeit bezweifeln, wenn sie entscheiden müssen, bedrängt von Antragstellern, Bittstellern, Interventionen, Direktiven und den Wünschen der Politiker. Der freie Markt, das freie Spiel der Kräfte, von dem jetzt immer die Rede ist, kann da allerdings nicht stattfinden. Wie wird eine Arbeit verglichen, beurteilt, evaluiert, nach Gutdünken, nach Bedürfnis, nach Direktiven? Siehe oben.

Dieses System hängt bleischwer in der Luft, und auch das Aufbegehren dagegen gehört dazu wie die Dissidenten zum Zwangsstaat. Sie sind die Feigenblätter einer angeblichen Liberalität. Ob sie Gerhard Roth, Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek heißen, sie sind systemimanente Dissidenten. Sie werden veröffentlicht und aufgeführt, herumgereicht, mit Preisen bedacht. Ohne sie beginnt keine Vorstellung. Sie werden im Tross mit geführt als institutionelle Gegner, so wie die (schwarzen) Haarlem Globetrotter ihre (weißen) Jausen-Gegner immer mitbrachten bei ihren Basketball-Tourneen. Im Kulturghetto geliebt, werden sie von räudigen Hunden bekläfft, von Gaffern beschimpft, von der plebs misera mit Dreck beworfen, der man die volle Verachtung des (Geistes-)Adels entgegenbringt.

Als Hofnarren gehören sie zu den Herrschenden, zur Karawane der Auserwählten, da braucht man sich nicht abgeben mit fiesen Kötern und dem Lumpengesindel. Sind diese “die Gesellschaft”, die uns immer was schuldig ist, oder sind doch wir sie, die edlen Ritter des Geistes hoch über den Niederungen kleinlicher Gefühle, Vorstellungen, Meinungen und Ansichten?

Die Gesellschaft ist uns was schuldig, so wie früher der Souverän dem Volk was schuldig war, oder war es nicht umgekehrt, waren nicht das Volk dem Souverän etwas schuldig, und der hat sich bedient, hat sich das Beste genommen und den Rest verkommen lassen.

Jetzt ist das Volk schon lange der Souverän, aber wir lassen es, frei nach Kreisky, weder über die Todesstrafe abstimmen noch kulturelle Belange entscheiden, das muß schon den jeweiligen Experten überlassen werden. Die “Kaiserin” Maria Theresia hätte sich allerdings schön bedankt, hätten ihr Experten vorgeschrieben, was sie für gut und schön zu halten gehabt hätte, ob sie z. B. den kleinen Mozart auf den Schoß hätte nehmen dürfen. Wer aber erkennt unsere Einmaligkeit und Genialität, wer nimmt uns auf den Schoß, jeden von uns in seiner Einmaligkeit à la kleiner Mozart? Hat nicht jeder das Recht darauf, ohne dem Gutdünken irgendeines Beamten ausgeliefert zu sein. Die Beamten sind nur Beamte, gut oder schlecht, klug oder dumm, korrupt oder korrekt — siehe oben —, wir setzten doch besser Kuratoren ein, Fachleute, die bestimmen dann aus reiner Wissenschaft und Erkenntnis, wer kriegt und wer nicht. Und wieder sind wir auf einer neuen Stufe des individuellen Beliebens angelangt: Subjektivität und Freunderlwirtschaft entscheiden über den Geldfluß, ohne Kontrolle, ohne Maßstab. Wie denn auch? Der Souverän ist, wie weiland Kaiser Ferdinand, unter Kuratel gestellt, entmündigt, und die Mäuse feiern Hochzeit.

Kunst ist wie so vieles zur Angelegenheit von Experten geworden, ein geheimes Fachwissen von Ausgebildeten ist notwendig, um sich auszukennen, wir lassen schließlich bei der Molekularbiologie auch nicht jeden mitreden.

Hermetisch abgeschlossen findet die Kettenreaktion des Kunstvollzugs vor den immer gleichen Leuten statt. Die haben sich angepaßt in ihren Erwartungen, in der Art und Weise des Konsums. Man läßt auf sich wirken, nachgefragt wird nicht, Position wird nicht bezogen. Kritik und Skepsis, Grundvoraussetzungen intellektueller Redlichkeit, werden als Störenfriede, als Konsensbrecher diskreditiert. Denn innerhalb der hermetischen Blase herrscht Harmonie, der gemeinsame Feind ist außerhalb. Mit dem gibt es keine Kommunikation. Man müßte erklären, und das ist unzumutbar, zu Markte tragen, und der ist unabwägbar.

Im geschützten Bereich der Kunstszene wird nicht diskutiert, es wird vollzogen nach den Regeln des Kuckucksnests. Der Vitalste, Stärkste setzt sich durch im Verdrängungswettbewerb, ähnlich wie in den Apparaten der Kammern und der Gewerkschaft. Ein besonderer Typ Mensch hat sich herausgebildet: Der homo sowjeticus, ein Wesen des Apparats, ein Meister der Intrige, der Intervention, der Anpassung, der Unterwerfung, der Gruppenzwänge. Wie in der DDR wird mit gespaltener Zunge gesprochen, für sich das eine gemeint und laut das andere gesagt. Man ist gleichzeitig Spitzel und Bespitzelter, Denunziant und Denunzierter. Und merkt es nicht einmal oder findet nichts dabei, denn das sind halt die Regeln des Lebens.

Österreich ist ein besetztes Land, in dem sich die Unterworfenen aus Überlebensgründen den Unterwerfern angepaßt haben. Wenn einer nicht entkommen kann, dann muß er die Zwangsherrschaft und ihre Folgen lieben lernen. Das Überlebensmuster wird zum Lebensmuster, zum Liebensmuster, zum Selbstliebensmuster.

Österreich ist ein besetztes Land, ein sich selbst besetzt haltendes Land, das stolz ist auf seine Deformationen, auf seine Indirektheit, auf seine Ironie, seine Unterwürfigkeit, seine Intrigenwirtschaft, auf seine höfisch geschlossene Gesellschaft.

Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire. Mein Souverän, öffnen Sie den Kerker, entfiehen Sie dem Kerker, verlassen Sie die Gefangenschaft, die schon längst eine freiwillige ist, streifen Sie die Verstrickungen ab, entfesseln Sie sich, Sire, der alte Despot ist lange schon weg, wir sind unser eigener Despot, Sire, wir sind Sie.

 

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