Guntram Balzer
MUZURK: 7 Texte© 1996/97 by Guntram Balzer and gangan books australia
"Was aber tun in einer Zeit ohne Maßlosigkeit? Natürlich könnte man sich versuchsweise bei lebendigem Leib rösten lassen; eine Lesung unter selbigem Titel geben; die tiefen Schluchten der Meerungeheuer aufsuchen, sich einer Elektroschocktherapie unterziehen; nach Alaska auswandern oder den Damen vom fremden Stern ein farbiges Empfangsfest bereiten, usw. Aber das alles ist im Grunde nur Poesie."
Paul M. Waschkau
Den Tag entwerten, Gesetze brechen
jetzt ist killing - time = Beschäftigungstherapie
machen sie mehr aus sich, säuselt diese Stimme
und verkauft Whiskey, Einbauküchen, Tampons;
mit den gleichen Worten kann man einem ein
Messer in den Leib stoßen und wenn die Handlung
gilt, sagt man: das ist wieder so ein Tag, den man
verfluchen könnte. Staubtrocken. Ein Säugling
schreit. Im Kopf ein Hornissenschwarm & kein
Bier um den Rausch von gestern wieder aufzuwärmen.
Und du würdest es wiedertun? Immer wieder! Ich
springe von weit oben in den Fluß und bin entkommen
und habe einen riesigen blauen Fleck so groß wie
ein Kuchenteller, aber ich habe es geschafft und
werde nie wieder zurückkehren. Immer nur das
Eine: Fernsehprogramme, Filme, Bilderblätter,
Psychoquasseleien. Mensch ist nackt und macht
sich nackt. Ein Monster gefüllt mit Obsessionen.
Mensch tötet und kopuliert. Mensch kopuliert und
tötet. Endlich frei. TATÜTATA
Karstadt -- Parfümerieabteilung
Als mein Eis auf ihre
blankpolierte Theke fiel
wurde sie kribbelig.
Irgendeinen Lappen holte
sie aus der Luft und
verwischte hektisch die Spuren
des Genusses, dessen Namen
an dieser Stelle nichts zur Sache
tut. Hier stinkt's, sagte ich, blickte auf
die öligen Flakons und die
gelangweilten Frauenkörper davor,
teure Bikinimode oder ohne: dann
aber sind die Photographen noch teurer.
Ihr Blick, der zwischen zwei Ohrgehängen
festgeschraubt war, traf mich nicht, während
ihre Hände in Gold badeten, ihre Brüste
wahrscheinlich voller Silikon waren und
ihre Fußnägel... Wenn die grün sind, in
diesem wunderbaren Ton, würde ich dich
gerne lieben auf der Stelle
Liebe auf Sofa mit Schlaffunktion
Sie ist behaart
aber herzlich
aufrecht stehen ihre Brüste
die ich unter mir begrabe:
das Spiel gelingt.
Wir blicken uns nicht tief in die
Augen, stöhnen nicht, furzen
nicht, machen keine Geräusche.
Lieber diskutieren wir während des
Sex über Politik. Dann treffen wir uns
auf ein Glas im Nachbarzimmer
Sex ist wie Schokolade
manchmal in lila, schwarz
oder weiß dein Slip
mit dem du die Voyeure blind stellt
die Stofftiere in deinem Bett
und dann zum Papier greifst;
zwischen deinen Beinen schmilzt
die Schokolade gerade, als ich dich erreiche
unter deinem Hemd brüte ich deine Brustwarzen aus
dann haben wir kurz hintereinander,
leise und aufeinander bezogen, aufgeschrieen
das Bett ist eine warme Muschel aus Schlaf.
Schneeflockenlicht fällt durch die
breitgemusterten Vorhänge und legt
sich darüber wie Diamantstaub
ich lege noch das Schokoladenpapier
darüber, um es zu schützen
Sie
Schlange auf Pfennig
er
mit Hut
und mein Fuß
litt
unter ihr
und
mit ihm
dem seine Augen
in
der Buchhandlung
ausliefen
und der
sich bei
diesem Frauchen
doch
nichts kaufen
durfte
aber
irgendwie
muß es
bei Ihr
doch gemütlich
gewesen sein
Virtueller Kaffee
Bonjour -- ich bestelle
mir einen Drink
zum Wachwerden. Der
kommt natürlich nicht. Ich
muß mir nur vorstellen, daß
er kommt. Ich trinke Kaffee
aus ihrer hohlen Hand. Nicht
so schnell, nicht so heiß,
schreie ich ihr entgegen. Sie
läßt die Hand fallen. Mein
Sonntagsanzug ist jetzt braun.
Die Vernichtung all meiner
Wünsche hat stattgefunden.
Jetzt bin ich nackt; eine leere
Hülle in einem leeren Gewand
sonnenbrille
um ihre augen zu sehen, gehe ich folgendermaßen vor:
zuerst setze ich ihr den hut ab
damit dieser beim brilleabsetzen nicht beschädigt wird
dann kämme ich ihr haar zurecht
damit die frisur beim brilleabsetzen nicht beschädigt wird
dann gehe ich mit dem glasschneider zu werke
die herausgetrennten gläser wickele ich vorsichtig in taschentücher
dann erst setze ich ihr die brille ab
sie blinzelt
schade nur um das licht, das jetzt ihr augen trifft
Guntram Balzer, geboren 1963 in Hagen/Westfalen, Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Düsseldorf, Buchhändler, verschiedene Veröffentlichungen in Zeitschriften (Unicum, Literaturdienst, Tasten) und Büchern (Wortnetze III, Zehn, Junge Lyrik dieser Jahre), neuerdings auch im Internet (gangway #2), lebt in Erkrath/Rheinland (Deutschland).
E-mail gunwalt@gmx.de