Paula Bomer

 

BABY. Erzählungen
Übersetzt von Christine Koschmieder u. Rainer Höltschl

Hardcover
192 Seiten

ISBN: 978-3-944122-08-3
21,00 Euro (D), 21,50 Euro (A)

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Jonathan Franzen, Autor von »Die Korrekturen« und »Freiheit«, über Paula Bomers »Baby«:

»›BABY‹ fällt den Leser an wie ein tollwütiger Hund – und man ist noch dankbar dafür. Diese Art zu schreiben gehört zum Rauesten und Eindringlichsten, was mir je begegnet ist.«

Zehn großartig geschriebene, bissig-witzige Erzählungen über Paare, Familie und Kinder.

Was tust du, wenn du weißt, dass du die falsche Person geheiratet hast? Wenn der bezaubernde dreijährige Sohn sich einen dickköpfigen, mürrischen Jungen verwandelt? Wenn von den Söhnen ausgerechnet der Versager an deinem Rockzipfel hängt? Wenn du merkst, dass dein Mann dich nie geliebt hat und dich deshalb hasst?
Wenn du spürst, dass du deine Frau liebst, obwohl sie nur mehr aus Shoppen und Aufräumen besteht, und der Sex nicht wie früher darüber hinwegtäuschen kann? Wenn außerehelicher Sex und Alkohol die einzigen Kicks sind? Sich das so lange ersehnte Baby bei allem Liebreiz vor allem als Arbeit erweist und die Leere des eigenen Lebens noch deutlicher werden lässt? Wenn der Mann die Liebe seiner Frau an den Sohn verliert?

All diesen Fragen geht Paula Bomer in ihrem Zyklus von Erzählungen nach, die nach Short Cuts-Manier durch zahlreiche Querweise miteinander verknüpft sind. Mit Biss und viel Witz, schonungs-, aber nicht gnadenlos, sondern letztlich mit großer Sympathie für ihre Figuren mit all den Schwächen, Fehlern und Unzulänglichkeiten beschreibt sie, wie Frauen und Männer sich als Paare mit ihren Kindern heute durchs Leben manövrieren.
Und wirkt deshalb so wahr und überzeugend, weil sie auch dort hinsieht, wo wir gerne den Kopf wegdrehen oder darüber hinwegplaudern.

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Leseprobe:

In der Nacht, als sie starb, sah er sie aus dem Bad zurückkommen. Im Halbschlaf, mitten in der Nacht sah er sie, in ihrem dünnen weißen Nachthemd, die Arme glühendrot und nassgeschwitzt. Sie hustete so heftig, dass er sich vor Schreck aufrichtete. Sie legte die nackten Hände über den Mund, und als sie sie wieder von ihrem bebenden Gesicht wegzog, triefte von ihren Fingern eine dunkle Flüssigkeit auf den Boden. »Ich sterbe. Ich glaube, ich sterbe, und ich habe Angst.«
»Wir gehen morgen früh sofort zum Arzt«, sagte James fast tonlos, »das kriegen wir wieder hin.« Hatte er das geglaubt? Quatsch, James glaubte an gar nichts mehr. Er hielt es einfach für das, was gesagt werden musste.
»Ich hab solche Angst«, sagte sie und rieb ihre nassen Hände an ihrem Nachthemd. Ihre Stimme war nicht mehr die ihre. James schloss daraus, mitten in der Nacht, dass das, was sie von sich gab, keinen Sinn ergab, solange er ihre Stimme nicht wiedererkannte.
»Geh wieder schlafen. Geh einfach wieder schlafen.«
Als sie sich dem Bett näherte, schlug ihm ein so giftiger Geruch entgegen, dass er sein Gesicht blitzartig im Kissen vergrub und sich am äußersten Rand der riesigen Matratze zusammenrollte. In dieser Stellung, so weit vom Tod entfernt wie nur möglich, ohne seine Frau in diesem Zimmer alleine zu lassen, war er neben ihr eingeschlafen, während das, was in ihrem Innern noch von ihr übrig war, aufgehört hatte zu existieren. Er schämte sich nicht, wenn er daran dachte. Aber er war verwundert. Wie können wir so leben? So sterben? Unmöglich, dass ihr gemeinsames Leben wirklich so schäbig war. War seine Frau vielleicht deswegen gestorben, weil sie gar nicht gelebt hatte? Mein Gott, warum hatte er nichts dagegen unternommen? Warum hatte er sie so krank werden lassen? Warum hatte sie sich so gehen lassen?
Sie waren beide keine mutigen Menschen, angesichts des Lebens nicht, und eindeutig auch nicht jetzt, im Angesicht des Todes. Die Kälte ihres Todes würde schon bald auf ihn übergreifen, er spürte es in der Distanz zu seinem eigenen Körper. Die Wärme der Florida-Sonne half da wenig. Er würde sie vermissen, so wie er einen abgeschnittenen Arm vermissen würde. Er würde sich schämen wie für einen offen sichtbaren körperlichen Makel. So könnte er mit der Trauer umgehen, über Scham und Erniedrigung, über das öffentliche Eingeständnis seines gescheiterten Lebens.
Das Telefonklingeln schreckte James auf. Das Klingeln (er würde nicht rangehen) ließ ihn den Blick von der Straße abwenden. Aus dem abgedunkelten, engen Flur ihres Ferienhauses steuerten seine beiden Kinder auf ihn zu, ihre Gesichter im Schatten, nicht erkennbar, konturlose Geschöpfe, die auf ihn zustürzten, auf ihn, der draußen in der Sonne saß. Angst erfasste ihn. Warum saßen sie nicht mehr vor dem Fernseher? Gott, warum konnten sie nicht einfach für immer fernsehen, dann wäre alles o. k.! Sie kamen näher, rote, verbrannte Monster, übernatürlich groß, von seiner Position aus. Er wollte ihnen nicht in die Augen sehen, nicht jetzt, noch nicht.
Sicher, es waren seine Kinder. Aber sie würden Fragen haben, die er ihnen nicht beantworten konnte. Gleich wären sie bei ihm. Viel zu schnell, viel zu früh, wie Tiere würden sie über ihn herfallen. Überall auf ihm herumkriechen. Darauf war er nicht vorbereitet, kein bisschen, aber das interessierte niemanden.
Aus der Erzählung: Galoppierende Infektion


REZENSION:
»Ein sehr außergewöhnliches und gutes Buch … beeindruckend. Gefüllt mit zehn Kurzgeschichten … wenn man beginnt sie zu lesen, besteht die Gefahr, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legt.«
– Thomas Koch, WDR

»Auch Paula Bomer erzählt in ›Baby‹ von [Eltern] – … wie sie miteinander schlafen, wie sie gebären, stillen, einander Gewalt antun oder ignorieren, und was sie bei all dem fühlen. … Neu und ziemlich überraschend ist, wie hier eine kein fieses Detail auslässt, kein einziges Happy End andeutet und dabei sehr unterhaltsam und kein bisschen zynisch ist.«
– Sabine Rohlf, Berliner Zeitung

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