Sad Satan
von Philipp Winkler
Du bewegst dich vor und zurück. Ein körperloses Objekt zwischen Wänden wie Störbildern. Deine unsichtbaren Schritte hallen aus den Lautsprechern. Bei jeder Verschiebung deines Blickwinkels wandelt sich die Welt aus Gängen und Mauern. Nichts bleibt greifbar. Nur sehen, hören, hinnehmen. Schwarz und Weiß in fließendem, scheinbar wirr umherblitzendem Statikrauschen.
GoOD lUCK.
Hin und wieder durchzuckt von kalt zulaufenden Linien. Ohne sie berühren zu können, tastest du dich an ihnen entlang. Dein linker Mittelfinger wechselt zwischen W und S. Deine rechte Hand wischt umher, fahrig, auf der Suche entweder nach einem Sinn hinter all dem oder nach einem Ausweg. Bilder wie Blitzeinschläge, so abrupt, dass du sie bewusst kaum wahrnehmen kannst. Und doch hallen sie nach. Der Gehörnte in der Hocke. In Sackleinen gekleidete, kopflose Kinderkörper, zusammengeknüllt wie alte Notizblätter. Gestelle, die keinerlei Nutzen zu haben scheinen.
Du betrittst einen Raum, der weitläufiger ist als jene zuvor. Über dir die Bitmap eines wolkenverhangenen Himmels. Die Ränder der Wolkengebilde zerfasern in groben Pixeln.
HaiL 666. 🙁
Gemurmel setzt ein. Undeutlich. So als würdest du Nachts durch einen einsame Gassen wandern und jemand flüstert dir von hinter einer Gebäudeecke etwas zu. Der Kontrast zwischen Himmelbild und farblosen, harten Wänden macht, dass deine Augen schmerzen. Du drückst das W durch und je weiter du dich durch den Raum bewegst, umso lauter wird das Gemurmel, ohne dabei an Deutlichkeit zu gewinnen. Am anderen Ende eine Tür. Sie hat die Textur von Holzlammellen. Press E to open/close. Du zögerst kurz. Doch dieses Brummeln in deinen Ohren macht es dir unmöglich zu verweilen. Dein linker Zeigefinger wechselt kurz von D auf E. Die Tür schwingt grob animiert vor dir auf.
STOP tHIS.
Schwingt auf in Schwärze und verschwindet darin. Du gehst hindurch und erst jetzt kannst du sie wieder erkennen. Dein Avatar bringt Licht mit sich, sodass du gerade einmal sehen kannst wo du hintrittst. >Press E to open/close.Du schließt die Tür hinter dir.
5 victIM!! 🙂 🙂
Du fragst dich warum du das tust. Vielleicht ist es die Konditionierung, die du aus der fleischlichen Welt mit hineinträgst in das Dunkel. Doch alles, was du kennst, dass hat hier keinen Wert. Macht keinen Unterschied. Hier in der Tiefe aus schwarzen und weißen Pixeln, die nur durch die richtige Kombination von 1 und 0 entstehen. Hier ist das digitale Ödland im Untergrund. Die Hollow Earth des World Wide Web. Frequentiert von Hehlern und Hackern, Organ- und Drogenhändlern. Von Auftragsmördern und Päderasten. Und von der Person – oder der Gruppe von Personen; grauen, identitätsentleerten Entitäten – die hierfür verantwortlich ist. Ein manischer Programmierer. Womöglich der Sad Satan. Sad Satan aus der Maschine. Sad Satan durch die Maschine. Sad Satan in der Maschine.
Das künstliche Licht deines Avatars strahlt die Abstinenz von Flurwänden an und allein die Konturen zwischen Wand und Boden geben dir überhaupt eine Ahnung von Wissen und Vertrautheit, dass du nicht vollkommen in der Leere schwebst.
BurIeD.
Du versuchst es nicht zu hinterfragen. Versuchst nicht auf die epileptisch umherzuckenden Linien in den Rändern deines Blickfelds zu achten. Hat doch keinen Sinn, redest du dir ein und treibst deine Egosicht weiter den Gang entlang. Ein Schemen zeichnet sich durch die Schwärze vor dir ab. Zäh wie Glibber schält er sich aus der vorausliegenden Dunkelheit und knetet sich langsam zu den Umrissen der Darstellung eines kleinen Mädchens. So viel ist zu auszumachen. Das ist genau das, was der Urheber dich erkennen lassen will. Das ist der sadistisch-kleine Rahmen, in dem du an diesem Nichtort wahrnehmen darfst. Ein kleines Mädchen in einem schlichten weißleuchtenden Pixelkleid.
yoU’Re alONE.
Schwarze, lange Strähnen, die das verdecken, was ein Gesicht zu sein scheint , bestehend aus wie zufällig zusammengewürfelten Bauklötzen. Es ist vornübergebeut, atmet in einem Loop aus schweren, abgehackten Animationen. Du drehst dich um. Willst zurück zur Tür. Zurück zu dem Murmeln. Vor, vor und weiter vor. Keine Tür mehr vorhanden. Du schiebst die quadratische Schwärze nur vor dir. Kein Weg zurück. Also drehst du dich wieder um und musst feststellen, dass du keinen Zentimeter/Inch/Pixel weit gegangen bist.
SAD peopLe dIEd.
Das Mädchen steht unmittelbar vor dir. Ihr Rücken beugt und biegt sich im gemuteten Keuchen binär auf und ab. 1 = auf, 0 = ab, 1 = auf und 0 = ab. 1. 0. 1. 0. 1. Ein Frauenschrei drischt aus den Boxen. Vor Überraschung dreht deine Sicht durch. Geometrische Objekte flirren durcheinander. Du stemmst deinen linken Mittelfinger auf das W und levitierst an dem Mädchen vorbei. Du rechnest mit einer neuerlichen Aktion des Settings auf deine Reaktion. Du bist an dem Mädchen vorbei und drehst dich schnell um 180°. Es regt sich keinen Millimeter. 1 und 0. Auf und ab. Immer noch das Schreien, wie es auf- und abschwillt als du den Gang in festgelegter Geschwindigkeit entlanghastest.
U aRe on MY LIsT.
Was hast du dir dabei gedacht? So schlimm kann es doch nicht sein. Das hier ist nicht das wahre Leben. Lediglich Zahlen, Bilder und Symbole, die erst durch das Leuchten von LEDs zum Vorschein gebracht werden. Kein Fleisch, kein Holz, kein Wasser, keine Erde. Keine Luft zum Atmen. Das erneute Aufschreien der ätherischen Frauenstimme bricht mittendrin ab – corrupted wav-file – und urplötzlich bekommt alles einen tiefen Ton von Kupfer. Ornamentierte, bräunliche Mauern, die Fliesensimulationen einrahmen und in eine wie göttlich wirkende Ordnung bringen. Du spürst wie sich deine Halsschlagader zu entspannen beginnt als du an eine erneute Veränderung im Setup deiner Umgebung vorbeikommst. Ein Wall-Tile wie eine Lautsprechermembran. Du tust einen weiteren Schwebeschritt und tatsächlich, die Membran beginnt zu vibrieren. Aus deinen Boxen dröhnen niederfrequente 16 Hz-Schnipsel Charles Mansons.
kILL KILL And kiLL again.
Der weiße Lichtkegel unter dir. Die offene Decke über dir. Sie spult in Zeitraffertempo vorbeiziehende Wolkenformationen und sich stetig neu zusammenmorphende Pixelhaufen ab, während du von der Stimme Charles Mansons getrieben Flure abgehst. Erneut eine Tür. Das erkennst du alleine an dem Polygon eines Türknaufs vor dir, der entweder schwebt oder an einem digitallichtschluckenden Objekt klebt. Press e to open/close door. Dein linker Zeigefinger auf E. Du bist dankbar für jedes Überbleibsel an Kausalität, das für dich hier unten noch anwendbar ist.
Weiß pulsende Linien auf schwarzem Untergrund schlieren von dir aus in einen weiteren großen Raum. Das Bild eines jungen, schwarzhaarigen Mannes asiatischer Herkunft ploppt auf und verschwindet wieder. Zwei Politiker, die Schilder hochhalten. Dann wieder der Raum. Die Linien auf dem Untergrund führen in fünf Zimmerecken, die mit programmierten Lightsources ausgestattet sind, sodass du die fünf gekrümmt dastehenden Klonmädchen erkennen kannst, die simultan in 1 und 0 auf- und abatmen. Zögern. Sie beginnen auf den Linien entlang durch den Raum zu fahren. Langsam und stetig auf deine Position zu. Sie drehen sich. Die Gesichter wenden sich zu dir. Deine Finger schweben über den Tasten. Und in diesem Moment wird dir klar, dass sich deine Egoperspektive auf Augenhöhe der Türknäufe befand.
I CAN TRACK YOU.
Dein linker Daumen auf Alt. Linker Zeigefinger auf F4.
1986 in Neustadt am Rübenberge bei Hannover geboren.
Joseph-Heinrich-Colbin-Preis 2008. “JuLi im Juni”-Teilnehmer 2012.
Stipendiat der „Werkstatt für junge Literatur“ in Graz, 2015.<
Mehrere Auslandsaufenthalte in Japan und dem Kosovo.
Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturmagazinen (zuletzt der Bella Triste 40).
Lebt und schreibt in Leipzig.
Arbeitet am Debütroman.
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