Neue Literatur aus Österreich
Incentives - Neue Literatur aus Österreich
readme.cc eröffnet einen mehrsprachigen Zugang zur neuesten österreichischen Literatur. In Kooperation mit dem Literaturhaus in Wien bietet die Leseplattform Einblick in das aktuelle literarische Geschehen des Landes.
LiteraturjournalistInnen und WissenschaftlerInnen stellen aktuelle Neuerscheinungen vor, Leseproben vermitteln kurze Einblicke in die jeweiligen Texte, Kurzporträts der Autorinnen und Autoren ergänzen das Bild.
Das Informationsangebot steht derzeit in fünf Sprachen zur Verfügung: Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch und Ungarisch.
Das Projekt will zur Internationalisierung österreichischer Literatur beitragen bzw. zur Übersetzung aktueller Texte anregen.
Durchführung: Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur (Rezensionen, Autorenporträts) – Übersetzergemeinschaft (Übersetzungen) – readme.cc (Infrastruktur).

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[ Buchtipp von Incentives ] "Weißt du, was das Schlimmste aller glotzenden Dinge ist: die aufbewahrten, in Schachteln verpackten Briefe, die im untersten Regalfach liegen, die bloße Tatsache, dass sie sich nicht von selbst auflösen und auslöschen."
"Denen, die ihren Rest suchen gehen" hat Andrea Winkler ihren zweiten Prosaband gewidmet, der im Grazer Droschl Verlag erschienen ist. "Hanna und ich" ist der einfache Titel des Bandes, der jedoch auf etwas Kompliziertes hinweist: eine zwischenmenschliche Beziehung.
Eine Inhaltsangabe ist ein obsoletes Unterfangen, das dem Konzept dieser Autorin, die jeden Deutungsversuch sofort kunstvoll desavouiert, nicht gerecht werden kann. Weniges lässt sich sicher sagen: Es geht um Hanna, die einen Laden mit Büchern hat, in den immer wieder verschiedene Leute zu Besuch kommen: Lea, eine Freundin, Rio, ein junger Mann, mit dem sich eine Liebesgeschichte andeutet, die aber vielleicht auch in der Vergangenheit liegt, und Herr Emm, ein alter Herr, der auf der Straße auf und ab geht. Dann gibt es noch eine Ich-Erzählerin, die sich Sorgen um Hanna macht. Denn Hanna, so erfährt man, ist in letzter Zeit "merkwürdig", sie verlässt das Haus nicht und spricht kaum.
Das Ich kennt den Grund für diese Verwandlung nicht: "Ich fasse nicht, was sich zwischen uns verändert hat, und nicht, weshalb Hanna jegliches Vertrauen in den kleinen Ort unter dem Dachfenster verloren hat." So wird der Roman zu einer Suche nach einem verlorenen Zustand, zu einer Spurensuche nach einer Person, die beschlossen hat zu verschwinden. Nicht, dass es keine Geschichte gäbe, man hat das Gefühl, es ist ganz viel, mitunter sogar Ungeheuerliches zwischen diesen Figuren passiert, aber erzählt wird in der Leerstelle. Es scheint Winkler um die größtmögliche erzählerische Unschärfe zu gehen. Wie ist erzählen dennoch möglich, wenn nicht mehr erzählt werden kann?
Winkler gelingt mit "Hanna und ich" ein beachtliches sprachliches Experiment. In diesem Entwicklungsroman eines Stillstandes schafft sie es formal anspruchsvoll und experimentell zu sein und trotzdem zu erzählen. Sie gibt so einer Entfremdungserfahrung, der Beliebigkeit und Geschichtslosigkeit in modernen, kafkaesken Arbeitszusammenhängen und zwischenmenschlichen Beziehungen eine Stimme. An Hannas Verweigerung führt sie vor, was uns allen geschieht, und gibt einem Grundunbehagen an einer flexiblen, austauschbaren Welt einen literarischen Raum.
Sigrid Meßner, gekürzte Fassung 25. Februar 2009
Originalversion: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=3209
[ Info ] Winkler, Andrea: Hanna und ich.
(original language: Deutsch)
Literaturverlag Droschl,
Graz / Wien, 2008
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ISBN: 9783854207382.
Dieses Buch ist ...
Genre: Roman
Sprachen (Buchtipp): Englisch, Tschechisch, Französisch, Ungarisch, Deutsch