Neue Literatur aus Österreich
Incentives - Neue Literatur aus Österreich
readme.cc eröffnet einen mehrsprachigen Zugang zur neuesten österreichischen Literatur. In Kooperation mit dem Literaturhaus in Wien bietet die Leseplattform Einblick in das aktuelle literarische Geschehen des Landes.
LiteraturjournalistInnen und WissenschaftlerInnen stellen aktuelle Neuerscheinungen vor, Leseproben vermitteln kurze Einblicke in die jeweiligen Texte, Kurzporträts der Autorinnen und Autoren ergänzen das Bild.
Das Informationsangebot steht derzeit in fünf Sprachen zur Verfügung: Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch und Ungarisch.
Das Projekt will zur Internationalisierung österreichischer Literatur beitragen bzw. zur Übersetzung aktueller Texte anregen.
Durchführung: Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur (Rezensionen, Autorenporträts) – Übersetzergemeinschaft (Übersetzungen) – readme.cc (Infrastruktur).

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[ Buchtipp von Incentives ] Wer meint, seit Flauberts Madame Bovary wäre alles über die alltäglichen Schrecken der bürgerlichen Ehe geschrieben, irrt gewaltig. Ehedramen können dem Rezipienten immer noch Brauchbares zu seiner Ergötzung und Belehrung an die Hand geben, wie Arno Geigers jüngste Publikation zeigt.
Das Szenario ist denkbar einfach. Sally, eine sportliche, nicht mehr ganz junge Englischlehrerin, steckt noch voller Tatendrang. Sie strebt nach Veränderung und scheint nicht zu ihrem kreuzbraven Gatten Alfred zu passen, der sich als Chronist der Ereignislosigkeit hinter seinem Journal verschanzt. Nachdem Einbrecher das Haus von Sally und Alfred Fink verwüstet haben, bekommt die freundliche Fassade Risse. Während sich der introvertierte Alfred vollends in seine Innenwelt zurückzieht, tritt seine Frau die Flucht nach vorn an und nimmt sich einen Liebhaber. Erik, der ebenfalls in einer (glücklichen) Beziehung mit Nadja lebt, übernimmt diese Rolle gern und erfüllt Sallys erotische Wünsche. Doch dann bekennt der virtuose Zweitmann, dass er sich in eine junge Frau verliebt hat …
Der Stoff, aus dem Alles über Sally gewoben ist, überrascht kaum und bietet kein überzeugendes Argument, das Buch zu lesen. Was hingegen unser Interesse an Geigers sattsam bekannter Fabel zu wecken vermag, ist die seismografisch präzise Aufzeichnung der seelischen Schwingungen der Protagonisten. Sowohl Sally und Alfred als auch Nadja und Erik haben sich ein materielles Umfeld geschaffen, das private Erfüllung prinzipiell möglich erscheinen lässt. Dennoch stellt das romantische Verlangen nach der ganz großen Liebe und dem ultimativen Sex die scheinbar gut funktionierende Partnerschaft samt Kindern in Frage.
Wenn man den Band zuschlägt, rätselt man, welcher Figur der Vorzug zu geben ist, verlässt doch keiner der Protagonisten die Bühne als Sieger. So bleibt schließlich nur die Einsicht, dass sich Glück im Sinne des Erstrebenswerten weder endgültig bestimmen noch erzwingen lässt und die Jagd danach als eines der großen absurden Abenteuer unseres Daseins fortbesteht.
Dass Geiger diese existenziell banale Geschichte in einen ebenso klugen wie kurzweiligen Roman verwandelt hat, dokumentiert einmal mehr seine Meisterschaft.
Walter Wagner, 15. Februar 2010
Originalversion: http://www.literaturhaus.at/index.php?id=7300
[ Info ] Geiger, Arno: Alles über Sally.
(original language: Deutsch)
Hanser Verlag,
München, 2010
(ja).
ISBN: 978-3-446-23484-0.
Dieses Buch ist ...
Genre: Roman
Sprachen (Buchtipp): Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch, Ungarisch