Charles Plymell: Mindeater / Altes Land

Charles Plymell wurde 1935 in Holcomb, Kansas während eines Sandsturms geboren, ist in der Prärie aufgewachsen und hat im Nachkriegsamerika der fünfziger Jahre, im „Wirbel von Wichita“ (Allen Ginsberg), auf der Suche nach dem Amerikanischen Traum eine wilde und rebellische Jugend on the road verlebt, weite Räume, Wind, Rausch und Geschwindigkeit, Jazz, LSD, Amphetamin und Meskalin erfahren und ausprobiert, noch bevor in San Francisco die Räucherstäbchen brannten oder Begriffe wie Beats und Hippies zur gängigen Mode wurden. Sein Vater und sein Großvater waren Cowboys, und seine Mutter, die Wyandot und Cherokee unter ihren Vorfahren hat, steuerte gelegentlich stunt cars. Charles Plymell ist selbst im Rodeo geritten, bis er, wie er sagt, „später die Sicht des Tieres einnahm.“

Im Gegensatz zu den meisten zu Ruhm und gut dotierten Posten gelangten Boheme-Dichtern aus der Mittelschicht ist Charles Plymell eher ein Hoboheme-Dichter aus der Arbeiterklasse, der mitunter als Drucker, auf Montage und in den Docks malocht hat. 1967 druckte er eigenhändig die erste Nummer der berüchtigten ZAP-Comix, die in der Folge mit den schockierenden pornographischen Strips von Robert Crumb und S. Clay Wilson auch hierzulande die Wahrnehmung vieler Freaks nachhaltig beeinflußt haben. Er konnte bereits zwei eigene Gedichtbände vorweisen, bevor City Lights Books in San Francisco 1971 seinen ersten Roman herausbrachte. Als Verleger hat Plymell selbst Schriften etlicher zeitgenössischer Dichter veröffentlicht, darunter auch Sachen von Ginsberg, Huncke, Burroughs und dem Surrealisten Charles Henri Ford.

Charles Plymell ist im Spätsommer 2008 von den rührigen Veranstaltern der Tiroler Literaturtage als Exponent der amerikanischen Gegenkultur eingeladen worden - wie die Jahre zuvor bereits Ed Sanders und Anne Waldman. Er hat in Hall bei Innsbruck einige seiner Gedichte vorgetragen, u.a. Psalme aus dem ebenfalls beim Verlag Peter Engstler erschienenen Bändchen „Liebesgesänge“, sowie Auszüge aus seinem Roman „The Last Moccassins“, der 1980 bei dem inzwischen leider eingegangenen Europa-Verlag in Wien in einer deutschen Übersetzung erschienen ist.

Nach den Lesungen beim Sprachsalz-Festival fuhren wir, sein deutscher Verleger Peter Engstler und meine Wenigkeit, mit Charles Plymell im Auto bei strömendem Regen über die Berge nach Schloß Neuschwanstein, das er unbedingt mal sehen wollte, weil er in seinem Verlag einen Gedicht- und Schauspielband seines Freundes Robert Peters veröffentlicht hat, der das gequälte Leben des bayerischen Königs Ludwig II aufgreift. Auf der Fahrt über die Mieminger Berge und den Fernpaß ins Allgäu, zum täglich von Touristenhorden heimgesuchten Märchenschloß, und später, Richtung Flughafen, durch den oberbayerischen Pfaffenwinkel, der ihn an sein heimisches Cherry Valley erinnert, verfaßt Charles ein kleines Spontangedicht:

„Far from New Jersey we ride in the COUNTRYSIDE where the peasants gathered food for King Ludwig’s banquets. The faces of the peasants remain the same, but now they walk desperate streets in small towns under normalbenzin- signs - ON THE ROAD to the castle, and there are no hamburgers in the Mieminger Mountains.“

Im Auto stelle ich dem freundlich und sanft wirkenden Weißbart einige Fragen, deren Antworten hier in Synthese wiedergegeben sind:

Nein, als Beatnik möchte Charles sich lieber nicht bezeichnen. Er ist schließlich nicht mit dem schwerreichen Verleger und Buchhändler Lawrence Ferlinghetti in derselben Liga. Als ehemaliger Offizier und Kriegsteilnehmer würde Ferlinghetti zwar einerseits Gedichte gegen den Krieg schreiben und das kapitalistische System als Moloch denunzieren, aber andererseits vom Staat einen Haufen Steuergelder bekommen und damit den überholten Subkulturbetrieb am Laufen halten. Doch Charles hat einst beats wie Neal Cassady und Allen Ginsberg in seiner Wohnung in San Francisco beherbergt, und er ist mit dem Dichter Michael McClure, mit Herbert Huncke und dem Junkie William Burroughs befreundet gewesen, der aber ebenfalls kein beat war. Was sich die beats an die Fahne heften können, ist, daß sie das Wort fuck salonfähig gemacht haben und dafür sogar vor Gericht gegangen sind. Dabei hätte der ehemalige Leutnant Ferlinghetti dem Richter bloß sagen brauchen, daß fuck bei der Marine ein geläufiger Ausdruck sei, und er wäre damit sofort auf Verständnis gestoßen.

Charles Plymell ist mit beißendem Spott über die Säulenheiligen der Beat-Generation Ferlinghetti, Jack Kerouac und den erfolgreichen Selbstvermarkter Ginsberg nicht gerade sparsam. Im übrigen seien er, bzw. seine Freundin, die ersten gewesen, die den anfangs noch skeptischen Ginsberg mit den Songs des jungen Bob Dylan bekannt gemacht haben, worauf Ginzy nur noch Dylan gehört habe, während ihm, Plymell, bis auf einige gute frühere Songs, der ganze Dylan bald zum Hals herausgehangen und er zu den Sängern zurückgekehrt sei, die er in seiner Jugend im Radio gehört habe - Jimmy Rodgers, Hank Williams und Roy Acuff - oder zu den Musikern, die er in den Clubs von Kansas City, Wichita oder Oklahoma persönlich kennengelernt hat - Fats Domino, Charlie Parker u.v.a.m.

Beim Literaturfestival in Hall trug Charles Plymell dennoch sein wehmütiges Poem über den verstorbenen alten Freund Allen vor, das er noch am selben Tag von Ginsbergs Tod, nämlich am 5. April 1997, nach einem Spaziergang über dessen benachbarte Farm im Beat-Stil niedergeschrieben und danach angeblich nie mehr überarbeitet hat:

„Du hast mich an die Grenze geführt/damals vor 29 Jahren/vermutlich von Whitman und Tod gesprochen/Nun weißt du, was dahinter steckt.“

Einfach Kirschen essen ist nicht mit dem alten Punk und Benzedrin-Cowboy, obwohl er mit seiner Frau Pam, einer Tochter von Mary Beach, die ihrerseits eine legendäre Gestalt der französischen und amerikanischen Boheme gewesen ist, im noch einigermaßen idyllischen Cherry Valley im Staat New York lebt, wo er heute einen kleinen Untergrund-Verlag betreibt. Seine eigenwilligen Ansichten sind eben nicht vereinbar mit den esoterischen Blüten, die auf dem Mist des Naropa-Institutes gedeihen, der einzig staatlich anerkannten Universität, die Dichtkunst auf der Grundlage buddhistischer Prinzipien lehren will und die von dem umstrittenen tibetischen Meditationslehrer Chögyam Trungpa und Allen Ginsberg 1974 in Boulder, Colorado gegründet worden ist. „Friß dir bloß nicht den Verstand weg, wenn die letzte Posaune bläst, du kommst nicht raus aus deinem Hirn, es ist ne Escher Walnuß“, sagt uns Charles, der Atheist. Nebenbei bemerkt, hält er die durch Naropa betriebene Gehirnwäsche nicht nur für mehr als fragwürdig, sondern sogar für anrüchig, da geradewegs von der CIA gefördert. Man bedenke doch, ausgerechnet eine staatliche Universität lehrt auf der Basis scheinbar subversiver Beatkultur!

Bevor Charles Plymell nach Tirol gereist ist, hat er mit Thurston Moore von Sonic Youth eine kleine Anti-Bush-Tour durch Albany, Baltimore, Philadelphia und NYC absolviert. Von Mike Watt (Minutemen, fIREHOSE, Stooges) am Bass begleitet, hat er dabei neuere Gedichte rezitiert, von denen einige im hier vorliegenden Band abgedruckt sind. Er verabscheut den fundamentalistischen Schwindel: Typen wie Sarah Palin sind für ihn schlicht evangelikale wiedergeborene Nazis. Charles Plymell ist eben ein echter Cowboy, kein übler fake wie der Yale-Lümmel, der sich zwei Amtszeiten lang im Weißen Haus rekelte. Von vornherein wäre es wohl besser gewesen, meint er, wenn in der Frühzeit der weißen Besiedlung Amerikas der Transzendentalismus eines Ralph Waldo Emerson oder Henry David Thoureau mit dem vorhandenen indianischen Spiritualismus zu einer Einheit verschmolzen wäre, denn dann gäbe es jetzt eine wirkliche amerikanische Religion, ganz anders beschaffen als der bedrohliche fundamentalistische Glauben, dieses miese Karma, von dem die Mehrheit der weißen Amerikaner geprägt ist, selbst dann, wenn sie sich liberal dünken und die brillante Rhetorik von Barack Obama schätzen.

In Tirol zweifelte Charles Plymell noch ein wenig am - in der Zwischenzeit tatsächlich vollzogenen - Regierungswechsel, am regime change in den Staaten. Er meinte nämlich, Obama würde seine Gewandtheit im Stich lassen, sobald er von weißen Rassisten attackiert werde; der Kandidat würde dann in einen Ton und eine Gebärde verfallen, woran auch die vorgeblich liberalen weißen Amerikaner den nigger wittern können, den sie inwendig fürchten und immer noch verachten. Was er eigentlich von dem schwarzen Dichter Amiri Baraka, vormals Leroi Jones halte, frage ich, der mit seinem antizionistischen Poem über den 11. September 2001, „Somebody Blew Up America“, politisch angeeckt ist? Charles Plymell dreht an den schweren Ringen, die an seinen Fingern stecken. Der sei eben auch nur ein Rassist, antwortet er.

Viele ernüchternde, ziemlich trocken vorgetragene Einsichten und Anekdoten über legendäre Gestalten und mythische Begebenheiten der sonst anscheinend von Geld und Staat aufgekauften oder längst verflossenen nordamerikanischen Boheme kommen während der Fahrt durch die wolkenverhangenen Berge aus seinem Mund. Charles Plymell glaubt nicht an den Schwindel einer staatlich subventionierten Subkultur, an die „epiphanische“ Dichtkunst aus Princeton. Für einen alten hipster seines Schlags war es ohnehin nie cool, zu einer sogenannten Szene zu gehören. Dafür wird er wiederum von den Künstlern der nachfolgenden Generation geschätzt, die ihn für sich entdeckt haben - von Leuten wie Mike Watt, Thurston Moore oder Grant Hart.

Lieber Charles, du hast in so vielem recht,
wahrscheinlich auch damit,
daß es nirgendwo Hamburger gibt
am Fernpaß und in den Mieminger Bergen.

Egon Günther




RAPID RONNIE RAP BACK JIVE, Kansas, 1955

Doc Moonlight kauft’n brandneuen T-Bird mit gefälschten Speed-Rezepten
nagelte in ultraschnellen Hardbodies über hohe Steppen.
Fünfzich Jahr ist’s her, und sein Dad erstand’n Gaul in Dodge City,
Wyatt Earps Sohn vertickt jetzt neue Schlitten in Witchititty.

Leben auf den High Plains, durch und durch auf Pump,
ich drückte aufs Gas, Ronnie gab mir Poes Selected Poems.
Vor Zip’s Club zogen wir was durch und drinnen liessen wir
ne Stange Wasser, Pack Rat hing verzückt am Bass
mit hoch gestellten Augen, hielt den Bund gepresst.
Scoo bop to do, de bip bip, from hep
to hip, be de bop... nächster Set,
flappend wie’n Haufen Comic-Cats brandneu auf dem Parkett.
Swiinnging man, voll aufm Astro-Stern,
hat die Nasen-Uppers hinterm Tresen versteckt,
Schokoriegelhüllen-Kosmos und Benzedrin-
Schleppnetz, Luncheonette und voll da auf dem Set,
komm gradaus raus, auch wenn’s Schicksal sagt..’s beste
is für dich wirklich schlecht und todtraurig obendrein,
dann shuffle weiter wie gehabt und bleib der Masse fern
wanna smiz zoke a jiz zoint of griz zass?
Rapid Robert Ronnie Rasmutin von und zu Amok.

Dieb, Pimp, Künstler, Gauner
alias Barbitol Bob stand
unterm Neon von Zip’s Club.
Seine unterirdischen Bellhop-Kindheits-Beutezüge
prallten auf die rauen Sitten der Kansas Big Intersection.
Im Licht verschmierter Fensterscheiben
entwarf er zwischen den Gigs seine Bilder.
Illuminiert in goldgesichtig hinschwindenden Stories
sah er seine Träume vom Fliegenschiss des Ruhms zermalmt.
Er stopfte sich die Taschen mit Dope und Nuttennummern voll
und starrte dabei allzu weit hinter jene bunt bemalten Türen.

Rapid Ronnie flog high auf Mondlicht,
Pack Rat warf gierig Pillen ein und spielte seine Melodie,
soff Oxybiotic und wurde neurotisch.
Jimmy Mammy, frisch aus dem Knast, kriegte spitz, wie
Big Indian dabei war, sich Docs Thunderbird zu krallen.
Ronnie stieg mit ein, rezitierte Poes Lyrik dazu
und passierte die grauenhaften Kreuzungen des Universums.



Big Indian liess nen gellenden Schrei, erfüllt vom Schmerz der Jahrhunderte,
und nagelte in die Bulldog-Traktor-Trailer-Bahn.
Jimmy Mammy brach sich den Kiefer und blieb jahrelang high auf Medikation.
Ronnie wurde einfach bloss alt und geheimnisvoll unter der Sonne Kaliforniens.

Big Indian blieb leblos liegen, den Blick verwirrt starrend
zum Himmel gereckt… die Augen weiter
als die Neue Erde seines Monds, der ihm den Schutz vor
der Grossen Weissen Spinne verweigert hatte.

Charles Plymell
aus MINDEATER/Altes Land
Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2009
Übers. aus dem Amerikanischen von Gregor Pott



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