Gerd Holzheimer: Die andere Seite des Lebens (Jefferson Airplane)


Utopie ist überall und nirgends, wie schon der Name sagt: kein Ort, nirgends. Bald ist das himmlische Jerusalem damit gemeint, bald das irdische, bald ist Jerusalem in Jerusalem selbst, bald in Altötting, bald in San Francisco: bless it, gepriesen sei es! Ort der Erlösung, Ort, der gepriesen sei, wo auch immer, gepriesen sei der Ort, an dem sich offenbart. Gepriesen sei die Ostküste, gepriesen San Francisco! Ein Flugzeug schießt über den Himmel: Jefferson Airplane!

Poesie wollte Leben werden, Asien ist nahe, der Buddhismus, Mexiko ist nahe, der Süden. Protest gegen die Herrschenden ist nicht nur in der politischen Demonstration vorstellbar, sondern in der Veränderung des eigenen Bewusstseins, vor allem da. Früh schon sind die Türen aufgestoßen an diesem Ort, 1937 war Aldous Huxley nach Kalifornien gekommen. Hier begann er mit Meskalin zu experimentieren, über seine Erfahrung berichtet er in „The Doors of Perception“. Die Doors benennen sich nach diesem Buch. Es stand schon alles geschrieben, wie ein Altes Testament für die neuen Menschen, für die neue Welt – ein New Age, wie man dachte, ein New Age, an das man glaubte. Auch „Alice im Wunderland“ gehört zu den Prophezeiungen für eine neue Welt.

Jede Tür lässt sich öffnen, das liegt so im Wesen der Natur - nur Dummköpfe und Angsthasen verharren auf der Schwelle. Logik ist bloß ein Spiel, Ehrfurcht vor scheinbar rationalen Denk- und Lebensmodellen ist vollkommen unangebracht! Bewusstsein kann man auch anders erweitern, die Seele schillert psychedelisch: Bless Its Pointed Little Head!

Bless Its Pointed Little Head! Live: Eine akustisch unverständliche Ansage, ein Sound, als sauge er die Wiederholung des Urknalls an, Zuschauergebrüll, ansteigende Streicher, Enttäuschungsgeheul bei einem natürlich erneut nicht sichtbaren Publikum, Radiogedudel, Gelächter, dann der erste Schlag des Schlagzeugers, einsetzender Bass, Trommelwirbel…

Der Bass, allein das Instrument des Bassisten Cassidy: der dunkelrote Halbcorpus von Rickenbecker, der helle Wahnsinn! Es gibt den von Fender und es gibt den von Gibson, aber nur der Bass von Rickenbecker gibt Jefferson Airplane den Sound, ohne den Jefferson Airplane nicht Jefferson Airplane wäre. Bis in die letzten Dörfer dringt erregend dieser Sound, mitten hinein in das Humpf-da-da von Feuerwehrblaskapellen – es war im wahrsten Sinn des Wortes unerhört.

“Ladies and Gentleman: The Jefferson Airplane!” Das Flugzeug startet, im Cockpit die Drogenqueen Grace Slick, Marty Balin wollte der Pilot sein, Paul Kantner der Co-Pilot, Jack Cassidy der Proviant- und Zahlmeister und Grace die Stewardess. Kann aber gut sein, dass die Stewardess zur Chefin aufstieg, Trennungen vorprogrammiert in der langen Geschichte der Band! Was aber war passiert?

Grace Slick weiß es selber nicht: „I don´t know how that got going”. Auf einmal war halt jeder dabei: Everybody suddenly wants something, vor allem eines: everybody needs somebody to love! - Refrain in “Somebody to love”. Saumäßig gute Rockmusik mit LSD im Blut und dazu die Stimme von Grace Slick: Don´t you want somebody to love, don´t you need somebody to love!

Die Beatniks hatten ihr Credo zehn Jahre vorher vorformuliert: “There´s a need for something” - Allen Ginsberg allen voran, in der „Sunflower Sutra“: „Jack Kerouac sat beside me… we thought the thoughts of the soul, bleak und blue and sad-eyed…” oder in der großen Hymne „Ökolog“: „In tausend Jahren, wenn´s dann noch eine Geschichtsschreibung gibt, / wird man sich an Amerika erinnern als ein mieses kleines Land / voller Arschlöcher, eine dornige Gewächshaus-Rose…“ und vielleicht auch an Nixon, „ein Knilch, spezialisiert auf seiner / Industrie-Insel, ein astreiner paranoider Mechaniker…“ Doch: „Die Erde wird sich weiterdrehen, Epen auf archaischen Zungen, / Fischer, die Inselgeschichten erzählen…“ Aus dem elitären Kreis der Beatniks wird mit der Musik von Jefferson Airplane, Grateful Dead und anderen Rockbands eine Bewegung: Tausende, Zehntausende, Hunderttausende. Kulminiert in Woodstock, wo Jefferson Airplane spielt, ist aber damit noch längst nicht an ein Ende gekommen.

Das 1967 erschienene Album „Surrealistic Pilow“: noch vergleichsweise harmlos. Grace Slick lacht richtig nett, die Herren präsentieren sich mit Pilzkopffrisuren und Witzen von der Art, durch die Schnecke der Geige hindurch zu linsen – der Schriftzug Jefferson Airplane auf dem Fell eines Banjo, aber die Musik, als hätten sich die Bilder von Salvatore Dali auf einmal in Töne verwandelt. One pill makes you larger / One pill makes you smaller…, und auf einmal jagst du Hasen. Some kind of mushrooms, Möwen und Kindergeschrei sind mit im Spiel wie in dem Song „Lathe“r, eine ungeheure Erregung, stetig sich steigernd, ohne Erlösung, wie in Bruckners Symphonien, nur zum orgiastischen Wirbel verkürzt, den ganzen kosmischen Tanz. Du hast keine Chance, feed your head!, und Jefferson Airplane hauen jedem die Schöpfungs-Genese noch einmal um die Ohren. Fragt sich nur, ob man´s überlebt, sein Hirn mit weißen Hasen zu füttern, den Kopf auf einem surrealistischen Kopfkissen.

„Crown of creation“ kann ein böser Trip sein, schon auf dem Cover: die inzwischen reichlich flippigen Mitglieder von Jefferson Airplane im Brennpunkt eines Atompilzes. Grace Slick schleudert den Schlamm ihrer Botschaft der bürgerlichen Welt vor die Füße; mit einer Stimme, die jeden Rücken in eine Gänsehaut verwandelt, ob es ihn schaudert vor Schrecken oder ob Eros ihn elektrisiert. Auf späteren Cover-Ikonographien sind fliegende Toasts als Wecker mit Engelsflügeln keine seltene Erscheinung. Das Unbewusste ist Ereignis geworden: And the earth moves again - mit einem Tempo, einem so ungeheuren Drive, als wäre ihre Musik nichts anderes als die Energie, mit der die Erde um ihre eigene Achse wirbelt. Wer in dieses Flugzeug einsteigt, könnte Schwierigkeiten bekommen mit der Landung. Landungen sind nicht vorgesehen.

Seltsame Dinge passieren. Ernst Jüngers Werke werden aus den Regalen der Bundeswehr-Bibliotheken entfernt. Der Heros des Soldaten hat ein Buch über Drogen geschrieben, eines der besten überhaupt: „Annäherungen“. Darin gibt Jünger sehr präzise Beschreibungen von seinen Reisen durch die Türen ins Märchenland wieder. Wirft mit seinem Freund Albert Hofmann aus Basel, Vater des LSD, ein paar Trips ein, um deren Erkenntnismöglichkeiten zu testen. Raus mit den „Stahlgewittern“, raus mit den „Strahlungen“! Es gibt ein Photo von den beiden nicht mehr ganz so jungen grauhaarigen Knaben aus dem Jahr 1978, wie sie fröhlich im Garten von Albert Hofmann sitzen: It´s the other side of this live. I don´t know, where I´m going…

Mit Calderon empfindet Jünger das Leben als Traum, als Rausch, als „eine der sublimen Dekompositionen der Materie.“ Den Satz hätte man auf jedes Cover von Jefferson Airplane schreiben können. Annäherung: mehr ist nicht drin für die Krone der Schöpfung, Annäherung an die Götter, an das Universum, an Erkenntnis, und diese Annäherung hat kein greifbares, kein nennbares Ziel: der Sinn liegt im Weg. Man kann auch ein Flugzeug auf diesem Weg benutzen: Jefferson Airplane, bless them, gepriesen seien sie: Better you look for somebody to love …

Beatlemania!
50 Jahre Beatles! Wir feiern mit einem sensationellen Bildband von Fans für Fans, mit Insider-Stories, fantastischen Fan-Fotos, Dokumenten und Faksimiles.

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.