Gerd Berghofer: Someday never comes (Creedence Clearwater Revival)
„Du bist einfach“, begann sie plötzlich, als sie auf der Terrasse saßen und nachdem sie längere Zeit geschwiegen hatten, vor sich auf dem Tisch ein paar Oliven, etwas Käse und Rotwein, „du bist einfach ein Arschloch. War kein Kunststück, das nach fünfzehn Jahren Ehe herauszufinden, aber gut ist doch immerhin, dass ich’s selbst noch herausgefunden habe.“ Sie spielte verlegen mit einer Haarlocke, weil sie in diesen ernsten Minuten sich immer beruhigen musste, und ihre langen, blonden Haarlocken eigneten sich hervorragend dafür. Er saß ihr gegenüber, hatte die Füße hochgelegt und gab den Gönnerhaften mit einer Reval zwischen den Fingern, der Marke, die er seit fast dreißig Jahren rauchte. Wer Reval raucht, frisst auch kleine Kinder, hat man gesagt. Und die Seele der Ehefrau gleich mit. Zum Glück war sie zu betrunken, sich an ihm wirklich zu erregen.
Sie trank vom Wein und raunte ins Weinglas „ein Mann zum Abgewöhnen“. Drinnen aus dem Bungalow dröhnte der Plattenspieler. Creedence Clearwater Revival, die letzte LP – Mardi Gras. Ein Desaster wie ihre Ehe. Sie hörte ein wenig dem Lied hinterher, das da gerade begann, das letzte Lied der LP, Someday never comes. „First thing I remember was asking papa, why? For there were many things I didn´t know. And daddy always smiled; took me by the hand, sayin, someday you´ll understand.“
Er knurrte irgendetwas Unverständliches, sie fuhr ihn an, ohne das Ohr abzuwenden: “Tu mir einen Gefallen – halt` die Klappe!”
Abgesehen von dem Lied war da nur die Stille. Manchmal, wenn er den einen Fuß auf den anderen legte und die Beine überschlug, dann ächzte die Bank unter ihm lautstark, so wie sie unter ihm geächzt hatte, als… Sie verdrängte den Gedanken in den hintersten Winkel.
Die Platte war notwendig. Denn die Stille hätte Erwartungen erzeugt. Diese Stille hing so dick in dem Abend, dass sie gerührt werden konnte. Sie war so dick wie fetter Kakao. Nur, dass fetter Kakao süße Gedanken weckte. Diese Stille empfanden sie beide als eine einzige Provokation. Ein schwülheißer Tag ging zu Ende. Von Westen her näherte sich mit dumpfem Grollen ein Gewitter. Sie trank noch einen guten Schluck Wein und dachte sich, dass - wenn der Blitz in das große Arschloch einschlagen würde - sie ein Problem weniger hätte. Aber die Chance, dass sich der Blitz ausnahmsweise mal den richtigen Arsch suchen würde, hielt sie für gering. Der Wein machte sie nicht betrunken genug, dass sie es rosiger gesehen hätte. Er steckte sich eine weitere Reval an, mit einiger Verächtlichkeit. Dünn und steif ragte sie aus seinem Mund. Vermutlich passte sie deshalb so gut zu ihm; das Bild gefiel ihr, wie aus diesem Arsch eine Zigarette ragte.
“Well, time and tears went by and I collected dust, for there were many things I didn´t know. When daddy went away, he said, try to be a man, and someday you´ll understand.”
Ob er ahnte, was sie dachte, verriet er nicht. Es blitzte. Dann folgte ein naher Donner. Es blitzte noch mal. Sie sah den Blitz hinten am Horizont vom Boden zum Himmel und vom Himmel zum Boden fahren. Genau genommen hätte man erwarten können, dass nach einem solchen Blitz der Himmel in tausend Scherben auseinanderbrach, eine große davon hätte ausgereicht. Aber nein. Die ersten Tropfen klatschten herunter. Drinnen sang John Fogerty sein Abschiedslied.
Diese letzte Scheibe hatte sie sich noch euphorisch besorgt, aber schon nach den ersten Liedern hatte sie gespürt, dass der Weggang von Tom Fogerty der Band den guten Geist genommen hatte. Er war der Puffer gewesen zwischen dem Rhythmusduo Stu Cook am Bass und Doug Clifford am Schlagzeug auf der einen und seinem Bruder John auf der anderen Seite. Für sie war Creedence dann auch nicht mehr Creedence gewesen, denn gerade Tom Fogerty hatte ihr es angetan. Sie würde sich, hatte sie sich geschworen, alle Solo-Platten von ihm besorgen. Er hatte nämlich auch die schönere Stimme als sein Bruder John. Weicher. Weniger rau. Insgesamt war er eine Augenweide. Und was saß ihr jetzt gegenüber? Ein mutierter Kloß mit sprechenden und qualmenden Phasen.
John Fogerty hatte vermutlich nicht umsonst Someday never comes komponiert und auf dem Album untergebracht: Der Abschied spielte bei der Platte im Hintergrund ein dunkles Instrument. So wie der Donner, der lauter grollte als zuvor. „Trauriger Höhepunkt für so ein Jahr“, raunte sie vor sich hin. Es war das Jahr 1972, und neben der Tatsache, die ihren Mann so beglückt hatte wie schon lange nichts mehr, nämlich die gewonnene Fußballeuropameisterschaft, hatte sich wenige Wochen zuvor Creedence Clearwater Revival aufgelöst. Und in ihren Gedanken spielte der Song weiter, wie eine Platte, die immer wieder von vorne gespielt wurde, in endlosen Passagen. Es war nicht ihr Lieblingssong gewesen. Ihr Lieblingssong hieß Ramble Tamble. Aber Someday never comes brachte sie nicht mehr aus den Gehirngängen. Die Platte hatte längst geendet. Der Tonabnehmer lag still auf dem Vinyl. Da war sie nun, die gefürchtete Stille. Er nahm ächzend seine Füße von der Bank und murrte „Ich gehe jetzt rein“. Im nächsten Augenblick prasselte auch schon der Regen satt herunter, auf den Ort, den Bungalow, auf sie, die sie noch dasaß. Die Weinneige füllte sich auf, verwässerte. Bald hatte sie ein volles Glas verdünnten Wein vor sich, und sie sah zu, wie der letzte Tropfen einschlug und den Inhalt zum Überlaufen brachte. Das leichte Sommertop klebte an ihrem Leib, aber sie spürte so schön die Wärme des Regens und eine Leichtigkeit im Sein. Ob es daran lag, dass er ihrem Blick entschwunden war, schien ihr nicht überlegenswert, darauf kam es nicht an. Über ihr blitzte und donnerte es, und die Möglichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, schien ihr für Sekundenbruchteile weniger furchtbar als die Zeit einer weiteren Ehe mit ihm und seiner steifen Zigarette, mit der er jetzt den Bungalow vollstank. Aber das war auch schon alles gewesen. Dem plötzlich dunkelgrau verfärbten Himmel folgte eine helle Spur nach. Das Licht faltete sich aus den Wolken hervor und kam in ungeahnten Farben über den Abend. Der Regen hörte so plötzlich auf, wie er begonnen hatte, ein Regenbogen tat sich auf. Das Grollen rollte ostwärts. Das Schweigen kehrte zurück. Aber jetzt, da er weg war, ignorierte sie es und sah die Sonne. Die liebe, untergehende Sonne. Sie hörte in ihrem Kopf die letzte Strophe: And then, one day in april, I wasn´t even there, for there were many things I didn´t know. A son was born to me; mama held his hand, sayin, someday you´ll understand. Sie hatte keine Kinder bekommen. Er hatte keine gewollt. Sie war nun 37, aber doch noch nicht zu alt. Noch nicht zu alt, dachte es in ihr. Noch nicht. Someday never comes.
Nach einer Weile rief er nach ihr. Antwort blieb aus. Irgendwann sah er nach draußen. Auf dem Feldweg, der zum Haus führte, entdeckte er ihre Silhouette. Sie trug ihre Schuhe in der linken Hand und ging vorsichtig wie ein kleines Mädchen barfuss in den Sonnenuntergang.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.