Franziska Sperr: In mich waren alle verliebt (Moody Blues)


Nach der Flötenstunde fuhr ich mit dem 54er Bus ins Cadore. Die anderen waren schon da, saßen, wie jeden Donnerstag um halb fünf, zu ‚acht um einen der kleinen runden Cafétische hinten in der Ecke, gegenüber den Toiletten. Einige hatten die Schuhe ausgezogen, saßen in Strümpfen, manche waren barfuss. Ohne Schuhe, so fühlten wir uns frei. Im Cadore an der Leopoldstraße waren wir weit weg von den Kontrolleuren zu Hause. Hier führten wir selbst Regie. Barfuss gingen wir zum Tresen und bestellten Café oder Eis, auf den Tischen hatten wir Hefte und Bücher ausgebreitet, die Älteren lernten fürs Abitur und ließen sich bewundern. Nur Dietmar, der machte eine Druckerlehre und hatte schwarze Ränder unter den Fingernägeln.

Im Cadore konnte man ausprobieren, wie es sich anfühlte, ein Leben ohne Oberaufsicht. Auch deshalb zogen wir die Schuhe aus. Wir tranken Espresso statt Nesquick und Ovomaltine, und die Mutigen bestellten sich einen Whisky. Wir saßen stundenlang herum und tauschten Songtexte von Jim Morrison aus oder Bob Dylan, und wenn wir Probleme mit den englischen Vokabeln hatten, sahen wir im winzigen gelben Langenscheidt nach. Unser Spiel hieß Wer-mit-wem?. Blicke schossen kreuz und quer durch die dunstige Atmosphäre, brandgefährlich und hell wie Blitze. Senden, empfangen, abschmettern. Helmut W. war höchstwahrscheinlich verliebt in mich, und Paulus Sch. Gar nicht zu reden von Flori S. und Schorschi von W. und Mike N. sowieso. Und der eine Kellner, den wir süß fanden, weil er, wenn etwas gut schmeckte, mit dem Zeigefinger in seine Wange bohrte. Der stellte einen Tutti Frutti Becher vor mich hin: Von mir. Für dich. (Klar. Für wen denn sonst!)

Barfuss und ohne Eile bewegte ich mich zum Tresen und ließ mir acht lange Löffel geben: Für alle. Für meine Freunde. Wir stocherten im Tutti Frutti herum und hatten die Leopoldstraße im Blick, das heißt das Stück der Leopoldstraße, wo sich das Leben abspielte, und wenn die Steinerschule von gegenüber aus hatte, machten wir arrogante Gesichter. Topflappenhäkeln. Eurhythmie. Keine Noten, keine richtigen Zeugnisse: Streichelzoo. Wir dagegen waren die Intellektuellen, scharfzüngig und kritisch. Wir sahen französische Schwarzweißfilme und rezitierten „Die letzten Tage der Menschheit“ mit österreichischem Sound. Wir konnten auch häkeln aber wir gaben es nicht zu, dafür hörten wir Mothers of Invention und Cream und John Mayall. Wir trugen den Kopf ganz oben. Und Freitagnacht gingen wir ins Big Apple oder ins PN Hithouse oder ins Birdland zu den amerikanischen GIs, obwohl wir eigentlich für Jacques Brél und gegen die Amis waren. Und spielte beim Abschlussfest die Schulband C.C. Rider, See See Rider, dann bildete ich mir ein, die ganze Band, oder mindestens der Drummer und der Sänger seien in mich verliebt. Si-ssi. Leider hieß auch der ewig kläffende weiße Spitz des Hausmeisters unserer Schule Sissi. So wie ich.

Ich hatte ihn gar nicht kommen hören bis er plötzlich ganz nah bei mir stand. Dabei waren seine Schritte eigentlich nicht zu überhören gewesen, denn hatte er kleine Eisen an den Schuhen, er sagte, dann hielten die Absätze länger und sie müssten nicht so oft zum Schuster. Und obwohl er es in britischem Englisch sagte, dachten wir, dass er die Eisen nur zum Angeben an den Absätzen hatte. Stepptanz, das hätte mir Eindruck gemacht. Aber einfach so, nur damit die Absätze länger halten?

Bis eine Woche später.
Ich war mit dem Bus vom Hohenzollernplatz gekommen und wollte mich gerade zu den anderen an den viel zu kleinen Tisch setzen. Meinen Flötenkasten und die Noten trug ich, mit einem alten Ledergürtel zusammengebunden steil aufrecht, eng an der Brust. Ich war schlechter Laune. Frau Markus hatte laut FIS!! gerufen und gestöhnt, bis ich wirklich jedes fis verpatzte. Sie sagte, wenn ich am nächsten Donnerstag den langsamen Satz des Telemannkonzerts wieder nicht geübt hätte, wäre der ganze Unterricht herausgeschmissenes Geld.

Sie ließen mich erzählen, und einer sagte Tengelmannkonzert, und wir lachten uns halbtot. Ich schnorrte eine Zigarette, zog die Schuhe aus und bestellte einen Espresso. Der Engländer setzte sich nicht zu uns, er ging zum Tresen und sah zu uns - nein! zu mir - herüber. Paulus Sch. hatte sich meinen Flötenkasten auf den Schoß gelegt und ließ gekonnt die beiden Metallverschlüsse aufschnappen. Ich will mal hören wie du spielst, sagte er, spiel mal was, komm spiel was. Ich ließ mich bitten, aber irgendwann steckte ich meine schöne silberne Flöte zusammen und trommelte mit den Fingerspitzen ein bisschen auf den Klappen herum. Komm, spiel was!

Ich stand auf und ging die drei Schritte zum Damenklo. Die Akustik in dem gekachelten Vorraum war ziemlich gut, ich stellte mich vor den Spiegel, setzte die Flöte an und spielte das Solo aus Nights in White Satin. Es ist leichter zu spielen als die Bourée bei Jethro Tull, geübt hatte ich beide. Zuerst hörte ich die anderen draußen reden, dann kamen zwei von den Mädchen herein, eine hielt die Tür auf. So laut, so schön, so rein hatte ich noch nie gespielt, es hallte, und die rauen Töne meiner Reynold’s glitten die gekachelten Wände entlang, hinaus bis vor zum Tresen, das sanfte Vibrato kam von dem gefliesten Fußboden zurück, dass es eine Wonne war, und einen Moment lang gab es keinen Mucks, jedenfalls im hinteren Teil des Cafés, vor dem Damenklo. Keiner lachte jetzt, keiner sagte Tengelmannkonzert. Es war einen Moment lang richtig still.

Und dann hörte ich die Eisenabsätze. Sie klackten durch den Raum auf mich zu, blieben neben mir stehen. Jetzt, als er die Arme ausbreitete, erkannte ich ihn. An den weißen Spitzenrüschen, die sich aus den Ärmeln des weinroten Samtjacketts heraus sanft über seine Handrücken legten. Und dann: Die unverwechselbare, melancholische Stimme, hier bei der herrlichen Akustik im Damenklo ... never reaching the end, letters are written, never meaning to send...
Er war es.
Cause I love you! Yes I love you! Oh Oh I love you

Denny Laine, der Sänger von den Moody Blues. Kein Zweifel, auch der war in mich verliebt. So wie der mich ansah.

Beatlemania!
50 Jahre Beatles! Wir feiern mit einem sensationellen Bildband von Fans für Fans, mit Insider-Stories, fantastischen Fan-Fotos, Dokumenten und Faksimiles.

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.