Fitzgerald Kusz MY TRIBUTE TO KEVIN (Kevin Coyne)


Von 1967 bis 1968 lebte ich ein Jahr als Assistant Teacher für Deutsch in Nuneaton, Warwickshire, England, einem entsetzlich öden Provinzkaff in den Midlands. Da half nur die Flucht nach Swinging London. Anderthalb Stunden mit der Bahn und man war in einer anderen Welt, die vor Energie vibrierte. Ich kaufte mir die hippe International Times, der letzte Schrei der Londoner Subkultur, eine total verrückte Zeitung mit psychedelischen Grafiken, Agitprop-Collagen gegen den Vietnam-Krieg und anarchistischer Underground- Literatur.

Für mich war jedoch der Veranstaltungskalender am allerwichtigsten. Ich sah The Who, The Jimi Hendrix Experience, Pink Floyd, Ten Years After, Jethro Tull und die Incredible String Band. Manchmal ging ich auch in den Beatschuppen Middle Earth, der in einem Kellergewölbe unterhalb des Gemüsemarktes von Covent Garden untergebracht war. Genau dort, wo Hitchcock seinen Film Frenzy gedreht hat. Die Auftritte begannen um 22 Uhr und dauerten bis 6 Uhr in der Früh. Blinzelnd kroch man, die atemberaubende Musik der Fairport Convention noch im Ohr, aus dem schummrigen Keller ans Tageslicht, wo die Gemüseverkäufer in unverständlichem Cockney ihre Gurken anpriesen. Und dann ging´s zurück ins „bloody Nuneaton“, wo man unangenehm auffiel, wenn man in der scheppernden Musikbox des Pubs Strange Brew von den Cream drückte. Da bliebt einem nichts anderes übrig, als sich ans Radio zu halten. Jede Nacht um elf hörte ich John Peel, den besten DJ aller Zeiten mit seiner Sendung Night Ride auf BBC One. Ich bilde mir ein, dass ich dort auch Kevin Coyne zum ersten Mal gehört habe. Diese eigenartige, ungekünstelte, einen im Innersten berührende Stimme blieb von da an in meinem Unterbewusstsein haften. Erst viel später erfuhr ich, dass John Peel Kevins Entdecker und Freund war und die ersten beiden noch sehr Rock´n´Roll-lastigen LPs auf seinem Dandelion-Label herausgebracht hat.

Jahre später war Kevins Stimme immer wieder mal im popkulturellen Minderheiten-Programm des Zündfunks zu hören. Besonders ein Song blieb mir in Erinnerung, der aus dem Meer des anspruchslosen Popgedudels wie ein Fels in der Brandung herausragte: Marjory Razorblade. Ein messerscharfer und doch hochpoetischer Song-Text, der jederzeit einem Vergleich mit Bob Dylan standhielt: Marjory Razorblade is as keen and sharp as can be / will always settle my problems for me…

1979, nach einem Konzert im Rockpalast des WDR, verschlug es Kevin nach Deutschland, 1981 strandete er in Nürnberg. Als ich mit meiner Frau Birgit, die mit unserem ersten Kind schwanger war, eines Tages an der Pegnitz entlang spazieren ging, torkelte uns ein Betrunkener entgegen, der sich nur schwer auf den Beinen halten konnte. Es war Kevin Coyne oder das, was der Alkohol noch von ihm übrig gelassen hatte. Der endgültige Zusammenbruch kam 1985, aber da nahte auch schon der rettende Engel: Kevin lernte seine zweite Frau Helmi kennen, eine Fränkin, die mit beiden Beinen auf dem Boden stand und ihm durch die Kraft ihrer Liebe half, für den Rest seines Lebens trocken zu bleiben.

Kevins zweites Leben begann. Unermüdlich, als habe er einiges nachzuholen, schrieb er Songs, zeichnete, malte, schrieb Gedichte und Geschichten. Er suchte den Rausch jetzt nur noch in der Kreativität. Seine Produktivität war schier unerschöpflich. Eine neue LP mit dem programmatischen Titel Stumbling on to Paradise entstand. Die Galerien rissen sich um seine skurrilen Bilder, die vor hintergründigem Humor barsten. Manchmal war das auch sehr kurios: So schenkte er seinen fränkischen Schwiegereltern einmal ein Bild mit dem Titel Rotten Potatoes, das prompt einen Ehrenplatz über dem Fernseher im kleinbürgerlichen Wohnzimmer bekam. Midlands meet Middle-Franconia! Kevin fühlte sich wohl in Franken, wenn er auch hin und wieder grantelte und weit weg wollte. Das „grumbling“, wie das Granteln auf Englisch heißt, hatte er mit uns Franken gemeinsam. Da ging ihm der Stoff nicht aus.

Seine Verbindung mit England riss nie ab. In dem Londoner Kleinverlag Serpentine erschienen Gedichte und Kurzgeschichten. Und das war endlich auch der Zeitpunkt, dass ich Kevin persönlich kennen lernte. Man fragte mich, ob ich Lust hätte, einige seiner schrulligen Gedichte für ein Buch zu übersetzen, das - wo doch seine deutsche Band schon Paradise Band hieß - den Titel Paradise haben sollte. Ich sagte sofort zu. Wir trafen uns in seiner mit Teddybären, die er seit Jahren sammelte, voll gestopften, kleinen Wohnung in der Großweidenmühlstraße. Ein für einen Engländer nahezu unaussprechliches Wort.

Kevin war für mich ein Seelenverwandter, ein Soulbrother: gleicher Jahrgang, eine vergleichbare Kindheit im kunstfeindlichen Milieu der Nachkriegszeit und, last not but least, ein ähnlicher Humor, der sich aus der Melancholie speist. „Humor ist“, so der fränkische Dichter Jean Paul, „überwundenes Leiden an der Welt.“ Der Song The world is full of fools aus dem Album Millionaires and Teddybears von 1979 ist geradezu sein Programm. Die Botschaft ist einfach: The world is full of fools/ but that doesn´t make them bad people. Dass wir alle Narren sind, muss nicht unbedingt schlecht sein, aber es gehört schon eine Portion Humor dazu, mit den Narren zu leben. Das ist Sisyphus-Arbeit. Und Sisyphus muss man sich seit Albert Camus als fröhlichen Menschen vorstellen.

Als ich Kevin anlässlich einer Vernissage zum letzten Mal traf, war er schon schwer von seiner Krankheit, der Lungenfibrose, gezeichnet. Seine Frau Helmi trug ihm die Sauerstoffflasche hinterher, die ihn mit zwei Plastikschläuchen, die er in die Nase einführen musste, mit Sauerstoff versorgte. „Like a dog on the lead“, wie ein Hund am Halsband komme er sich vor. Er nahm auch das noch mit Humor.
Einige Wochen vorher, an einem schönen Spätsommertag, saßen wir auf unserer Terrasse. Kevin atmete ohne die Sauerstoffflasche. Wir sprachen über den Rock´n´Roll, der sein Leben umgekrempelt hatte. Als alter Rock Rebell konnte er mit den Beatles nichts anfangen, da waren ihm die Stones schon lieber. Und er war froh, dass er das Angebot seines Lebens ausgeschlagen hat: Nach dem Tod von Jim Morrison wollten ihn die Doors zu ihrem Leadsänger machen. Er hat es abgelehnt: „It was the right decision.“ Starrummel war ihm immer suspekt. Er wollte seinen eigenen Weg gehen. Eigensinnig und unbeirrbar: Learn to swim, learn to drown.

Kevin Coyne starb am 2. Dezember 2004. Am Abend dieses Tages hätte er mit seinen Nürnberger Musikern im Rahmen seiner Herbsttournee in Wien auftreten sollen. Zwischen den Gigs war er im Studio gewesen. Sein Vermächtnis ist die grandiose posthum erschienene CD Underground. Im Titelsong heißt es, den nahen Tod vor Augen:
Return to the ground. I´m gonna sink right in. / Back to the basics, back to the underground. / Into the darkness where I just hear the breathing of a million souls…
Und der Song schließt mit: I´m not goin´ anywhere. I´m not goin´ anywhere.
I´m goin´ home. I´m goin´ home.



Beatlemania!
50 Jahre Beatles! Wir feiern mit einem sensationellen Bildband von Fans für Fans, mit Insider-Stories, fantastischen Fan-Fotos, Dokumenten und Faksimiles.

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.