Jürgen Alberts: Das Ende vom Lied (Mose Allison)
Oh well a young man
Ain’t nothin’ in this world these days
Na gut, nennen wir ihn nicht beim richtigen Namen, weil er gegenwärtig immer noch in gehobener Position eine Krankenkasse leitet, nennen wir ihn: Sammy. Der kam eines Abends im Oktober des Jahres 1969 an, brachte ein solides piece Marihuana mit und rollte einen Wunderjoint. Dazu hörten wir Musik, um uns in Fahrt zu bringen.
I said a young man
Ain’t nothin’ in this world these days
An diesem Abend ging es darum, die Interessenten der Tübinger Studiobühne zusammen zu bringen, um mit ihnen über das Stück für das Wintersemester zu sprechen. Alles Neulinge, nur wenige vom alten Stamm dabei. Wir hatten in den letzten Semestern ein paar starke Abende hinter uns: Von Brechts Baal über Peter Weiss’ Vietnamdiskurs, mal Sprechtheater à la Handke oder Boulevardtheater im englischen Landhausstil. Was also jetzt noch auf die Bühne bringen?
Oh well a young man
Ain’t nothin’ in this world these days
Die Theaterinteressierten kamen, 17 an der Zahl, darunter eine Japanerin, die wollte Goethe auf japanisch rezitieren. Was wir, bekifft wie wir waren, schon mal eine sehr gute Idee fanden. Es tobte hin und her – Ideen flogen wie Vögel auf und fielen tot vom Himmel. Außer Sammy und mir saßen die anderen im Probenraum weitgehend nüchtern rum und warteten auf die Eingebungen der „alte Hasen“, Sammy und mich. Wir kicherten. Und wie?
Musik, erst mal Musik.
I said a young man
Ain’t nothin’ in this world these days
In the old days
When the young man was a strong man
All the people stand back
When the young man walked by
Mose Allisons Back country suite, ein giftgrünes Plattencover zeigt eine verschlossene Holztür. Was war dahinter?
Wir einigten uns, dass wir „nichts“ machen wollten. Und zwar den ganzen Abend. Einfach mal „nichts“ auf die Bühne bringen. Geht das? Das geht!
All the people stand back
When the young man walked by
Im oberen Saal, dem Uhland-Saal der Tübinger Landesbühne, war der Eingangsbereich mit Kunstdrucken gepflastert, so daß die Zuschauer etwas mit Füßen zu treten hatten. Auf dem kirchenvioletten Streifenplakat stand: Tübinger Studiobühne spielt BASF, oder: einen drin, zwei im Sinn. In der Flugblattwerbung hieß es: Im Baal haben wir einen Striptease gezeigt, bei Antonin Artauds Stein der Weisen drei kopulierende Männer, jetzt...
Wir hatten Dekostücke und Klamotten aus früheren Produktionen, unseren gesamten Fundus, ein Piano (was ein Fehler war) ein paar Stühle und 17 bekiffte Schauspieler auf die Bühne gestellt, um „nichts“ zu machen.
All the people stand back
When the young man walked by
Es gab eine Dia-Projektion, die darauf hinwies, daß heute Abend nichts passieren würde, aber wenn man jetzt losgehe, dann könne man im Kino “Blaue Brücke” noch diesen oder jenen Film sehen.
Gut, der Saal war gepackt voll, 300 Leute, die sich zum Teil auf dem Schoß saßen. Und auf der Bühne „Nichts!“ – Die Japanerin kicherte vor sich hin, ohne dass sie was Verdächtiges zu sich genommen hätte, hat aber eingesehen, dass Goethe selbst auf japanisch nicht ins Konzept passte. Die anderen Mitspieler grinsten, lachten leise, spielten Fußball, schossen ab und zu einen Ball ins Publikum.
Dann wechselte wieder die Dia-Projektion: „Heute Abend gibt’s hier nix – aber in 4 Minuten fängt die Vorstellung im Hirsch-Kino an! Das können Sie noch schaffen! Wenn Sie jetzt sofort losgehen...“
All the people stand back
When the young man walked by
Nach 45 Minuten wurde der Hauptschalter im Uhlandsaal betätigt. Stockdunkel. Schreie. Gekreische. Tohuwabohu. Riesenkrach. Kriegsgeheul.
Als eine viertel Stunde später das Licht wieder anging, war die Kasse weg. (Huch, wassen Schreck!) Die Bühne ein Schlachtfeld, die Kostüme überall verstreut, das Piano zertrümmert und Himbeersirup auf dem Bühnenboden ausgegossen. (Welcher Idiot von einem Verbindungsstudenten hatte den Himbeersirup dabei?)
Der Hausmeister tobte. Das wird ein Nachspiel haben. (Hatte es!) Wir müssten auf den Rechtsanwalt Guckes, den Vorsitzender der Theaterfreunde, warten, der würde uns die Leviten lesen. Wir haben die Zeit genutzt, um die zerrissenen Kunstdrucke, die überall herumflogen, einzusammeln, die Bühne weitgehend aufzuräumen. Langsam wurden wir nüchterner, blieben aber gleichermaßen vergnügt.
Es wurde bis nach Mitternacht, bevor wir die Abrechnung präsentiert bekamen. (Vorher erfuhren wir auf geheimen Kanälen, daß unser besorgter Kassierer die volle Abendkasse in Sicherheit gebracht hatte! Der Mann hatte Weitblick. Keine Ahnung, was aus dem geworden ist.)
But now’days the old man got all the money
And the young man
Ain’t nothing in the world these days.
Guckes hielt eine Standpauke. Wir dürften den Saal nie wieder benutzen. (Wir wollten „Nichts“ sowieso nur einen Abend auf die Bühne bringen. Mehr geht ja nun wirklich nicht.) Wir sollten den Schaden bezahlen. Auch klar. Wir sollten dies, wir sollten das. Und dann sollten wir machen, daß wir nach Hause kommen. Ob der Rechtsanwalt um diese Uhrzeit nüchtern war, kann ich nicht beschwören. Wir jedenfalls trollten uns zu Frau und Joint. Es wurde noch viel gelacht. In dieser Nacht. Auch den Mose Allison Titel haben wir noch ein paar Mal gehört.
All the people stand back
When the young man walked by.
Als wir alle Schulden bezahlt hatten, nicht gerade wenig, blieb immer noch ein Rest in der Kasse. Davon haben wir unser Publikum in den Schlachthof eingeladen, zwei Abende lang. Es gab gebratene Hähnchen satt, kosteten damals 2 Mark fuffzig das Stück. Um das Ende vom Lied zu feiern. Die Studiobühne Tübingen hat danach mehrere Semester Pause gemacht.
Ich hab Mose Allison viele Jahre später mal in einem Jazzclub gehört und ihn gebeten, on parchman farm zu spielen. Das Lied von einen Gefangenen, der sich keiner Schuld bewusst ist (wie so viele Knackies) und trotzdem eingebuchtet ist. Na gut, in der letzten Zeile gibt er zu, daß er seine Frau umgenietet hat. Das Lied hat nicht nur in den USA einen ziemlich Protest ausgelöst. Mose hatte keine Lust auf Krawall, aber den Blues, den hat er gerne gespielt.
Er wurde zum Motto des 1. Bandes meiner hanseatischen Juristentrilogie „Familienfoto“.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.