Wolfgang Hermann: Tanzen (Patti Smith)
Sie tanzte, aber sie war nicht da. Sie war tief in sich eingeschlossen. Nur ein kleines Lächeln auf ihren Lippen zeigte, daß es ihr dort, wo sie war, gut ging. Sie trug das weiße Großvaterhemd bis zu ihren Knien, darunter Jeans. Wenn sie die Augen aufschlug, spiegelte sich das grüne Zimmer in ihrem müden Silberblick. Alles hier war müde. Die grünen Räume schliefen im Dämmerlicht, selbst der Rauch der Zigaretten stieg nur kurz auf und schlief dann ein. Zwei, drei Mädchen tanzten mit langsamen, abwesenden Bewegungen. Sie tanzten für niemanden. Für jemanden oder mit jemandem zu tanzen, das war altes Zeug. Tanzen bedeutete die Reise zu den Farben und Tönen des inneren Landes. Ein paar Züge an einem Joint verlangsamten die Reise, brachten das zufriedene Lächeln auf die Lippen, das diejenigen lächelten, die wußten. Was sie wußten, war jedem klar, obwohl es keiner verstand. Wissen hatte nichts mit Denken und Akademismus zu tun – der konnte nur öde sein, es war die Welt von Krawattenträgern -, Wissen war eine Reise ins Arkanum der Hingabe, ins innere Shangri-la. Wissen war nicht Bescheidwissen, war nicht Belesenheit. (Was hätte man außer Castaneda und Kerouac und vielleicht noch den Steppenwolf überhaupt lesen sollen?) Wissen war der Sprung ins kalte Wasser der Droge, war erweitertes Bewußtsein, das hatten wir irgendwo gehört, und wir wiederholten es, obgleich wir wußten, daß wir spät waren, alles war spät, die Luft war raus, das Leben war weit weg, vielleicht in Indien, wo die Erleuchtung wartete. Aber hier, im luftarmen Bregenz, was gab es hier zu tun als wegschauen, den Blick nach Innen, wo ein anderes Land aufstieg. Freunde waren diesen Weg gegangen, waren verändert aus Indien, aus Kabul, aus Nepal zurückgekommen, mit diesem Schimmer im Gesicht, einem Strahlen, das sie so anders machte. Sie passten nicht mehr hierher, wirkten wie Gandhi in Bregenz, wurden mit spöttischen Blicken bedacht. Ein paar von ihnen gründeten die Lichtheimat oben in den Bergen in einem alten versteckten Vorsäßhof. Da saßen sie erleuchtet in der Sonne, umbimmelt von den Kuhglocken auf der Sommerweide, tranken Chai, spielten auf der Sithara, sie waren Inder, redeten von den Veden, sagten, was sie vom Hörensagen wußten, irgendwo lag die Baghavadgita, keiner traute sich zuzugeben, daß ihm das Schlachtgetümmel dieses Buches der tausend Heere und ihrer Helden fremd blieb, denn Pazifisten waren sie alle, Wehrdienstverweigerer aus Überzeugung, doch das Make-love-not-war hatten sie hinter sich gelassen, sie waren woanders, dies hier war Indien in den Vorarlberger Bergen. Ein goldener Hund lag blinzelnd in der Alpsommersonne, leckte die Fußsohlen eines Mädchens im Sari, in deren Gesicht das Licht dieses anderen Landes am Ende der Welt spielte. Sie waren nur für kurze Zeit hier, die Zeit zwischen den Joints wurde kürzer, und wenn der Sommer endete stiegen sie vom Berg und arbeiteten als Briefträger, Nachtwächter, Platzanweiser. Das wenige Geld reichte für einen Winter in Indien, schwarzen Afghan bester Qualität weit weg vom Grau des Rheintals mit seinen Ignoranten und fleißigen Häuslebauern.
Sie tanzte, aber sie war nicht da. Keiner hier war da, und doch bewohnten wir alle gemeinsam ein Land, das die magischen Namen auf den Plattencovers erstehen ließen. Aber auch die Freude an der Musik mußte gebrochen werden, und wir brachen sie, indem wir Joints rollten oder uns Trips besorgten, die uns für viele Stunden das Leben aus den Köpfen saugten.
Wir alle tanzten, als wären wir nicht da. Unsere Körper bewegten sich, wie es die knielangen Großvaterhemden vorgaben. Wir durften nicht jung und voller Lebenskraft sein, wir mußten müde und kaputt und alt sein. Wir tanzten kaum, es war mehr ein In-der-Musik-Stehen. Wenn Patti Smith ihr Gloria sang, war die Tanzfläche voll. Auf den Mündern der Mädchen lag der Schein glücklicher Entrückung, Hinrückung ans Leben. Selbst die steifen Jungs, die sonst nur cool und reglos herumstanden, schwankten irgendwie im Rhythmus. Gloria! Es wollte aus uns raus, es wollte schreien, es war in uns, das Leben, wir hatten es noch nicht kaputtgeraucht, gespritzt, geschluckt, gesnifft. Es war da, es war in uns, jetzt! Gloria! Soviel Leben war nie in den Großvaterhemden gewesen.
Sie war hier, jetzt, in diesem grünen, von staubigem Licht niedergedrückten Zimmer. Doch das Zimmer konnte ihr nichts anhaben, sie schlug ihre Augen auf, da wurde es hell um uns. Sie hieß Uschi, ihr Haar glänzte, nein, es ging ein Licht von ihr aus, etwas spielte um ihren Mund, wir mußten sie ansehen, und sie strahlte noch heller. Ihr Körper legte das Korsett der kleinen Schritte ab, weit griffen ihre Arme aus, ihr Haar flog. Die Kraft, die in ihr steckte, zeigte sich, die Schönheit dieser Kraft. Sie riss die anderen mit sich, das müde grüne Zimmer bebte vor Leben, wir waren jung, die Welt da draußen war ein Dschungel, in dem das Böse wütete, doch jetzt waren wir jung, auch die Drogen in unseren Adern gaben uns frei, jetzt, Gloria!
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.