Caroline Hartge: Déjà vu (Crosby, Stills, Nash & Young)
Auf dem Cover ein braunverblichenes Foto: eine Handvoll Männer posiert für den Fotografen. Wie richtige Cowboys sehen sie nicht aus, eher wie Bankräuber – abgerissen und verwegen. Schnauzbärtig, dunkelhäutig, langhaarig, vielleicht indianisch der eine. Ihre Kleidung samt einem oder zwei Patronengurten sieht echt aus, ihre Haltung natürlich und allemal verwegener, als man sich die Männer des Wilden Westens vorgestellt hatte. Richtige Desperados scheinen das zu sein, Outlaws. Ein Textblatt liegt der Platte mit dem Klappcover nicht bei, aber ihre Musik ist langsam und melodiös genug. Lauschen und merken: beinahe hätten sie sich das Haar geschnitten, nach Woodstock sind sie gefahren, man soll seine Kinder wohl lehren, denn die Liebe kommt, die Liebe kommt zu uns allen.
Wir tauschen Sprengsel aus, Lieder, Gedichte, Zeilen, bruchstückhafte Chiffren der Welt, in die aufzubrechen wir uns anschicken. Oder vielleicht erwachen wir nur aus dem Traum, der die Kindheit ist, und lassen unsere Blicke über das verwandelte Zimmer gleiten auf der Suche nach einem vertrauten Anblick. Ich war bloß ein Träumer, und du warst nur ein Traum. Es ist einerlei, wer das Stück singt. Noch Jahre später erkennt man es in einer dunstigen, windigen Bar wieder, verwandelt und vielfach elektrifiziert, und immer noch fährt es einem in die Beine und wirbelt einen davon in eine der anderen Dimensionen.
Den Chiffren war die Form egal, die sie annahmen. Sie konnten auch Kino, aus heiterem Himmel. Der den abgerissenen, langhaarigen Vater spielte, war angeblich mal ein Star in einem Motorradfilm gewesen; das war lange her, aber es war wirklich mehr an dem Bild dran, als ins Auge fiel.
Der Film begann und endete mit einem klagend zur Gitarre vorgetragenen Lied („my, my“), das Elvis und Johnny Rotten problemlos in ein und demselben Vers nannte, ein und demselben Atem („hey, hey“). Die gewalttätigen Bilder des Films, etwas, das Linda Manz gegen Ende mit einer Schere ausmachte, wusch die Zeit allmählich wieder aus der zerebralen Reuse heraus, aber das Lied hatte sich unbeirrbar-unentwirrbar in ihren Maschen verfangen: es ist besser auszubrennen als Rost anzusetzen, besser auszubrennen … als zu verbleichen.
Die Streiks der Bergarbeiter lagen schon einige Jahre zurück und Gold war in jenem Bergwerk ebenso wenig zu finden. Unter der Tür wurde nur ein rotes Papierherz hindurchgeschoben, durchgeschnitten und mit rotem Wollfaden zusammengenäht. Eine Schachtel voller Briefe wurde von einer steinernen Buckelbrücke in einen reißenden Fluß gestoßen und ex. Zwischendurch und drumherum zwar keine pazifischen Redwoodwälder, keine kalifornischen Hollywoodwälder, aber ausgiebige Lektüre, Austen, Oates, Cheddar, King und Cadbury, ein Chor, der über Gras sang, und Fahrten zu aufgelassenen Zinnminen im Moor. Aber nirgends, nirgends, nirgends war irgendwelches Gold zu finden, es sei denn, man wollte die Mundharmonikabegleitung für solches ansehen.
Der Flug an die Ostküste dauerte einen ganzen Tag, aber wenn man das Radio andrehte, hörte man Europa. Aber es war nicht Europa: der Taxifahrer wartet mit laufendem Motor, bis sich dir die Tür geöffnet hat, denn es wäre verantwortunglos, dich stehenzulassen falls niemand aufmacht. Es gibt Bushaltestellen, an denen man am hellichten Tag nicht wartet, wenn es sich vermeiden läßt; Viertel, in denen man nachts an roten Ampeln nicht anhält: wer still steht, ist verletzlich. Aber Bewegung schützt nicht, denn es wird auch wahllos in den Berufsverkehr auf dem Schnellweg hineingeschossen. Längs der Schnellwege Gefängnisse, in deren Umkreis große Tafeln davor warnen, Anhalter mitzunehmen. Schulen gibt es, in denen die meisten Glasscheiben ausgetauscht und durch Bretter ersetzt sind, und deren Lehrer gesetzlich verpflichtet sind, die, die mit Selbstmord drohen, der Polizei zu nennen, denn ein Selbstmörder besitzt höchstwahrscheinlich eine Waffe und wird damit nicht nur sich selber töten. Niemand redete mehr von Thunders, der nur sich allein getötet hat. Die Leute hätten von Dahmer sprechen müssen, aber schon den Namen konnte man nur wispern. Es war ein Land zum Fürchten.
Nur eines Nachmittags, in einer stillen Seitenstraße unter einem Zickzack von Stromdrähten, einer von fensterarmen Backsteinwänden und mannshohen Mauern gesäumten Straße, durch die nie jemand fährt, oder geht, in der Stille eines menschenleeren Nachmittags höre ich eine Musik von hier. Aus der warmen Mitte dieses Landes weht es aus einem der offenen Fenster herüber und geht über die Straße hinweg. Und da schneide ich mein Haar nicht. Da gebe ich meiner Angst keine Fußbreit nach, denn das bin ich irgendwem schuldig, irgendwem.
Es ist Nacht; wie dunkel die Nacht auf dem Land ist, hinter den Bergen, weit weg von den Lichtern der Stadt. So weit weg. Wie viele sind wir, fünf? Sechs? Egal, ins Auto. Wieviele Gänge hat es? Vier. Und ein Radio. Hat es Empfang? Nein es hat Tape. Was läuft da, ich kenne das nicht, mach das lauter mach ganz laut. Was ist das, was ist das? Die Nacht statt uns zu verschlingen legt schützend eine weiche Hand um unser Fahrzeug, der Klang füllt es von innen völlig aus, dehnt die blecherne Kapsel an die Ränder des Universums pulsende Bassnoten dehnen die knöcherne Kapsel noch weiter keine Engnis noch Bedrängnis hey Frank mach die Scheinwerfer aus dann sehen wir besser was auf uns zukommt mach den fünften Gang rein dann den sechsten wir singen wir singen bis wir die Lichter sehen.
Am Straßenrand steht erst ein Schild: ZZ Top und CSN&Y – . Na und? Es war nur ein kleines Schild. Aber da steht noch eins – spielen am Baggersee. An dem dritten Schild halten wir an: der Baggersee ist noch drei Dörfer weiter, und das Datum ist heute. Zwar hat es schon angefangen, aber noch schaffen wir es rechtzeitig. Wir parken in der Neubausiedlung und gehen an dem Schlagbaum vorbei, der den Feldweg absperrt. Totensamstagnachmittagsstille, weit und breit keine Menschenseele in Sicht, nur ganz weit hinten tuckert ein Trecker im Dunst über den Acker. Wir gehen weiter und weiter und spitzen erwartungsvoll die Ohren. Als wir eben genug haben, kommen wir an einen niedergetrampelten Maschendrahtzaun, Gestrüpp, dahinter umherstreifende Menschen, dann eine offiziell aussehende Pforte mit Wachpersonal, Metalldetektoren, Buden, am aufgeschütteten Strand des Sees die Bühne. Wir treten im Sand von einem Bein aufs andere, das Ungeborene auch. ZZ Top war schon; wir haben genau die Pause erwischt. Stehen, unter Lehrertypen und Jungpunks der xten Generation herumstreunen, unsäglichen Kaffee trinken, stehen, streunen, stehen. So gut wie nur Männer, aber die vibes sind gut, freudig und gespannt.
Ein dicklicher Mann mit schütterem Haar, in wehendem Holzfällerhemd und schlechtsitzenden Jeans kommt bei hereinbrechender Dämmerung auf die spärlich beleuchtete Bühne, greift sich eine Gitarre und fängt an zu spielen, „hey hey, my my / Rock ’n Roll can never die“. Die Menge schiebt sich wie hypnotisiert in Richtung Bühne, oder wird von dort magisch herangezogen, und auch wir schieben Hand in Hand durch den aufgeschütteten Sand oder lassen uns ziehen. Als die Musik kurz darauf losbricht und sich mit gewaltiger Wucht entlädt, berge ich meinen Bauch schnell im Schallschatten des Vaters. In diesem Schutz hört und fühlt das Ungeborene die quicklebendige Strömung um sich herum, hört und fühlt es den Herzschlag und das im Blut verschüttete Glück der Mutter.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.