Wolfgang Schömel: Twin Peaks (ountain)
Mit der 1969 vom Cream-Producer und -Musiker Felix Pappalardi sowie von Leslie West gegründeten Hard-Rock Band Mountain und ihrem Doppelalbum Twin Peaks glühte ich mich in den fortgeschrittenen 1970ern für meine Wochendtouren vor. Vielleicht vorher noch den Break Song von Vanilla Fudge, dann aber nichts anderes als Mountain und Twin Peaks. Freitags Abends gegen 22 Uhr dröhnten sie aus meinen riesigen KLH-Boxen mit dem unglaublichen Bass, befeuert vom Receiver der legendären Marke Sansui, der bis ins Jahr 1990 alles schlug, was da an neuerem Kram rumstand. Im Technikwahn glaubte ich leider, moderneres Gerät beschaffen zu müssen. Schade um die schönen Geräte.
Das am 30. August live 1973 in Osaka aufgenommene Doppelalbum bricht los wie ein, sagen wir es ruhig gut japanisch, wie ein Tsunami. "Never in my life could I find a girl like you", heißt das erste Stück, mit dem immerzu wiederholten Rhythmus-Mantra aus der Bass-Gitarre Felix Pappalardis, der, was kann es Schöneres geben für einen Rockmusiker?, 1983 von seiner Ehefrau erschossen wurde, und mit der Rhythmus-Gitarre von Bob Mann, aus deren Klang sich das ekstatische Gitarren-Solo des monströsen Lead-Gitarristen Leslie West erhebt, rein und klar, unirdisch. Jenseitigere E-Gitarren-Soli als er konnte auch Jimi Hendrix nicht spielen, bloß sah der bedeutend besser aus. Dafür lebt der 1945 in New York geborene West, eigentlich Leslie Weinstein, noch heute, und er spielt auch noch Gitarre (jüngstes Album: Blue Me. 2006)
Die finale Einstimmung auf die kommende lange Nacht in den Kneipen geschah dann, unter gleichzeitiger Zufuhr wechselnder Psychostimulanzien, mit dem unglaublichen Nantucket Sleigh Ride, über dreißig Minuten lang, ein Stück, das mich derart aufpeitschte, dass ich Atemnot bekam. Rauschhaft ist es, gewalttätig, und dennoch sehnsüchtig. Man muss es laut hören, sehr laut!
Es beginnt mit einer sparsam instrumentieren balladenhaften Passage voller Saudade. Leslie West singt das "Goodbye, little Robin-Marie". Es ist der Abschiedsgruß eines ausfahrenden Walfängers an seine große Liebe, der er die Rückkehr verspricht. Man bricht von der Insel Nantucket, vor der Küste von Massachusetts gelegen, zu einer dreijährigen Fangreise auf, auf der Suche nach dem Pottwal. "The next tide will take us from shore".
"Starbuck is sharpening his harpoon" – spätestens jetzt wissen wir, dass wir in der Tat die Ausfahrt der Pequod, Captain Ahab's Schiff aus Melvilles Moby Dick erleben, und dass der "mighty sperm whale" niemand anderes sein wird als der weiße Gigant selbst. Starbuck, nach dem auch die amerikanische Coffeeshop-Kette benannt ist, ist der Obermaat des Schiffes, der berühmte Gegenspieler der tragischen Figur des Captain Ahab. "The black man's playing his tune", einer der beiden Schwarzen an Bord, Daggoo, der Harpunier, wird es sein, spielt seine Lieder, "an old salt's sleeping his watch away / he'll be drunk again before noon".
Man sieht das Meer, man schaut in die Weite, man spürt den Abschied, vielleicht ohne Wiederkehr, ehe, genau an dieser Stelle, wenn der Vollrausch des alten Seebären vorhergesagt wird, der Gesang endet und die gemeinsame dämonische Wucht der beiden E-Gitarren einbricht. Für schier endlose Zeit gibt es nichts anderes mehr gibt als die musikalische Reise durch die wilde See. Besonders das erste lange Leslie-West Solo vor dem Hintergrund des stark verzerrt gespielten Bassthemas ist heute noch ein Gänsehauterlebnis. Zwischendurch kommt das Geschehen zur Ruhe, die See wird glatt, ehe wieder wellenartig-bassläufig das Inferno zurückkehrt, aufgipfelt in einer wunderbaren E-Gitarren-Zwiesprache, außerdem als Schlagzeugsolo von Alan Schwartzberg, als Bass-Solo von Pappalardi. Gerade hier spürt man: Es geht um Leben und Tod.
Nantucket Sleigh Ride, die Nantucket-Schlittenfahrt, war der Ausdruck, den die Walfänger für den Höllenritt hinter dem harpunierten Wal benutzten. Pottwale konnten die kleinen Boote mit mehr als zwanzig Meilen pro Stunde hinter sich herziehen.
Am Ende beruhigt Leslie West mit seiner Gitarre – wir hören es förmlich – die Wellen, schafft Ruhe, Erlösung, Heimat, man könnte fast sagen: einen romantischen Raum, wie man ihn übrigens auch in anderen Stücken von Mountain erkunden kann, die sehr weich und sanft sein können. Und dies funktioniert gerade deswegen besonders gut, weil auf der anderen Seite das musikalische Inferno steht. Der wieder einsetzende Gesang feiert – anders als bei Melville – tatsächlich die Rückkehr des Walfängers nach Nantucket und zu Robin-Marie.
Ich selbst allerdings sorgte mit meinen musikalischen Vorlieben für den dreißigminütigen Höllenritt eher für die zuverlässige Isolierung meiner Person vom Rest der Welt. Zu jener Zeit war ich überdies Generaloppositioneller, Ekstatiker, las Nietzsche und pflegte, lauthals frühexpressionistische Gedichte zu deklamieren, was bei meinen Mitmenschen ebenfalls zu Irritationen führte. Nantucket Sleigh Ride, Mountain, das war Musik, mit der ich über mich informierte, eine Art musikalisches Psychoprofil und gleichzeitig, wie ich beschloss, ein Prüfstein der Verpaarungstauglichkeit der jungen Damen, die ich kennenlernte. Frauen, die Mountain, laut gespielt, nicht ertragen konnten, waren für meine kosmisch-orgiastischen Pläne nachweislich ungeeignet. Da musste man keine Zeit verschwenden. Das Problem war: Mehr als zwei, drei Minuten vergingen nie, ehe die jeweils Betroffene mich bat, diesen Terror zu beenden. Und wenn ich außerdem noch mitgesungen hatte, bedeutete das, ich war beleidigt und in die Flucht geschlagen. Ja, Mountain, das war und das ist immer noch Jungs-Musik, und es hat immer noch keinen Sinn, eine Frau dafür begeistern zu wollen.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.