Jörg Graser: Ein Rock-Konzert in den Pyrenäen (Steppenwolf)


Ich hatte nichts gegen Rock n´Roll, aber ich war beileibe kein Fan. Meistens war mir das einfach zu laut. Auf Parties hatte ich vorsichtshalber Watte für die Ohren dabei.

Rock n´Roll hatte den Nimbus des Rebellischen und es wurde viel Geld damit gemacht. In Wirklichkeit war es doch so: wenn die Musik laut genug war, hat niemand mehr mitgekriegt, wie draußen die Welt zugemüllt worden ist.

In den Siebzigern ist der Rock n´Roll mehr und mehr aus den Radios verschwunden. Es war die Zeit der Diskomusik. Überall wurde Donna Summers „Love to Love me Baby“ gespielt. Das große Geld wurde mit dem Saturday Night Fever verdient. Die Bee Gees machten Disko zum Massenphänomen und einige Rockbands schwammen auf dieser Welle mit. Als eine der ersten Altrocker, die die Geldmaschine ausgespuckt hatte, spielten die Stones Disko. Mit „Miss You“ machten sie nochmal richtig Kasse. Die Stars hingen in den VIP-Räumen rum und zogen sich Kokain rein. Bei Kiss war schon in den Rock n´Roll-Zeiten der Fasching, den sie auf der Bühne veranstalteten, ein Marketingzirkus und natürlich nahmen auch sie einen Diskosong auf. „I was Made for Loving You“ wurde ihr größter Hit auf dem Bankkonto. Was mit Sex and Drugs and Rock n´Roll angefangen hatte, wurde immer mehr zu Money and Money and Money.

Einmal hab ich auch ein Rock-Konzert besucht. Das war in den Pyrennäen. Mitte der Siebziger wurde dort noch immer der gute alte Rock n´Roll aufgetischt. Ich hab damals an der Münchner Filmhochschule studiert und mit einem Kollegen zusammen einen Dokumentarfilm über Lourdes gedreht. Das ist ein katholischer Wallfahrtsort am Fuße der Pyrennäen, der auf Marienerscheinungen zurückgeht und vor allem für seine Wunder-heilungen berühmt ist. Eine ungeheuerliche Prozession von Totkranken und Krüppeln aus aller Welt wird von Frühjahr bis Herbst jeden Tag in Rollstühlen und rollenden Betten an der Grotte vorbeigeschoben, in der die Mutter Gottes einem später heiliggesprochenen Mädchen namens Bernadette erschienen ist. Auf einem riesigen Platz vor einer mächtigen Basilika kommt die Armada zum Stehen. Priester aus aller Herren Länder flehen abwechselnd in ihrer Landessprache: „Herr, mach, daß ich sehe! Herr, mach, daß ich gehe! Herr, mach, daß ich geheilt werde!“ Das wird von unzähligen Lautsprechern übertragen und dazwischen erschallt ständig geistliche Musik. Ave Maria, Halleluja, Amen.

Das Rock-Konzert fand oberhalb von Lourdes in einem Bergdorf statt. Mein Kollege hatte an einem Baum ein Plakat entdeckt, auf dem es angekündigt wurde. Wir klapperten die Informationsstände an den Eingängen zum Heiligen Ort ab und fragten dort die Dolmetscherinnen ob sie mitwollten. Alle wollten. So sind wir mit sechs Katholikinnen aus Irland, Holland, Italien, Argentinien, Spanien und Deutschland in zwei Autos die Serpentinen hochgefahren. Ein Mönch aus Bayern war auch dabei.

Er hatte am Tag davor noch vor der Basilika gepredigt und uns am Abend den Barock erläutert. Er war aus einem Kloster in der Nähe von Straubing und verbrachte seinen Urlaub in Lourdes. Ich hatte bis dahin gar nicht gewußt, daß Mönche Urlaub haben. Unsere Kamera interessierte ihn und so sind wir ins Gespräch gekommen. Es war ihm gelungen, in Lourdes ein Lokal ausfindig zu machen, in dem es Münchner Bier gab. „Der Barock sagt, daß es Stellen gibt, an denen ein Zipfel vom Himmel die Erde berührt“, erklärte er uns, „und daß wir hier zusammensitzen, mitten in Lourdes, bei einem bayerischen Bier, das ist so eine Stelle“.

Er war ein fideler Mönch. Der Rock n´Roll war ihm weitgehend unbekannt, aber er war neugierig. Die vielen Frauen, die wir dabei hatten, irritierten ihn ein wenig. Die Irin war sehr hübsch. Rote Haare, blaue Augen und ein Lächeln, bei dem man die Welt des Barock schon mal klingeln hören konnte. Ich fragte sie, wie ihr Lourdes gefalle. „It`s to holy“, sagte sie. Wieso sie dann dort sei, wollte ich wissen. „To see the world. I`ve no money. I `ve to pray“, antwortete sie und lachte. Noch lachte auch der Mönch.

Die Band wilderte kreuz und quer in der Rockgeschichte. Chuck Berry, Bill Hailey, die Stones, Steppenwolf, ein paar von den Stücken erkannte sogar ich. Die Musiker waren aus den umliegenden Dörfern. Der Sänger quälte sich mit den englischen Texten und unsere Dolmetscherinnen rollten mit den Augen. Der Blick des Mönchs wurde immer skeptischer.

„Ich verstehe hier Born to be Wild“, sagte er. „Das ist richtig“, beschied ihm die Holländerin. Sie war einen halben Kopf größer als er und behielt den Überblick. Beim „Jailhouse Rock“ wurde er allmählich mißtraurisch. Und dann kam auch noch Eric Claptons „I shot the Sheriff“. Der Mönch wurde sehr ernst. Die Irin hatte das auch bemerkt und rief mir ins Ohr: „If they play the Stones, Sympathy for the Devil, he `ll cry, I bet.“ Aber der Mönch hatte ein feines Gehör und starrte uns entsetzt an. „Nur ein Songtitel“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Aber ihm wurde schwindlig. „Das kommt vom Grass“, meinte die Holländerin, „hier stinkts verdammt nach Grass!“ „Grass?“ „Haschisch.“ „Rauschgift!?“ Jetzt hatte er genug. Er bat mich um den Autoschlüssel. Er wollte in meinem Vauwee warten, bis alles vorbei war.

Allmählich nahte die große Stunde meines Kollegen. Er war ein echter Rock n´ Roller mit weißen Lederschuhen, Röhrenjeans und der Kurzfassung einer Elvisfrisur. Er tanzte den klassischen Stil, hüpfte auf den Fußballen und setzte seine Kicks mit einem souveränen Lächeln. Keiner in diesem Bergdorf hatte es so drauf wie er. Die anderen Tänzer machten ihm Platz. Er lockte die kleine Italienerin mit einem lässigen Winken zu sich auf die Tanz-fläche. Sie versuchte, seine Schritte irgendwie nachzumachen und hielt sich ganz gut dabei. Auch die Kicks brachte sie einigermaßen hin. Sie war begabt. Vor der Filmhochschule war er an der Düsseldorfer Kunstakademie. Ein Beuys-Schüler. Er war immer für eine Überraschung gut. Er hatte auch die Akrobatik drauf, den Überwurf, aber er hat seine Tanzpartnerin nicht darüber informiert. Plötzlich flog sie hoch in die Luft, mehrere Meter. Sie ruderte mit den Armen und den Beinen. Dann krachte sie auf den Bretterboden. Es war ihr nichts weiter passiert, sie war mit dem Schrecken davongekommen, aber danach wollte keine mehr mit ihm tanzen. Die Irin frage mich, ob er verrückt sei und ich sagte ihr, „I think so“. Ihr Beuys zu erklären fand ich dann doch zu kompliziert.

Die Dolmetscherinnen hielten sich schließlich an mich, als den einzig vertrauenswürdigen Mann weit und breit. Mir war das gar nicht recht. Mit sechs Frauen kann man weniger anfangen, als mit einer, zumindest wenn man nicht grob unhöflich ist.

Der Mönch hatte sich anderntags soweit erholt, daß er den deutschsprachigen Part der Predigt wieder übernehmen konnte. Aber er war noch sehr blaß. Vermutlich hatte er im Vauwee around the clock gebetet. „Die Botschaft von Lourdes ist nicht das Wunder“, dröhnte seine Stimme aus den Lautsprechern, „die Botschaft von Lourdes ist, daß wir mit unserem Leiden in die Fußstapfen des Herrn treten. Der Herr hat auch gelitten, gelitten durch seinen Sohn Jesus Christus!“

Ich denke, er hat versucht, dem ausweglosen Leiden, das sich vor der Basilika versammelt hatte, einen Sinn zu geben. Es waren auch etliche strahlende Gesichter unter den Dahinsiechenden zu sehen. Ich muß sagen, dieser Mönch hatte es wirklich drauf, auf seinem Gebiet.

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LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.