Hans Eichhorn: Im Jethro Tull gefüllten Autogehäuse


Die Katze springt auf das Fenstersims, kurze Zeit später landet der Klebestick auf dem Fertigparkett. Es scheppert und es ist vier Uhr morgens. Die Katze will fressen und will hinaus. Sie schärft sich die Krallen am Polstermöbel, steht dann unschlüssig im Minus-fünfzehn-Grad-Luftzug der geöffneten Balkontür. Auch du wartest da mit ihr, aber der Zug ist längst im Autoinneren abgefahren, der Kopf dröhnt und rast durch eine sonnenhelle Winterlandschaft. Die Bäume stehen in dick eingepacktem Raureif, ab und zu löst sich ein Kristallgewusel und fließt als Schneestaub vom Gipfel weg. Und über allem flutet, wispert, hämmert und schwingt es: Thick as a Brick , Jethro Tulls musikalische Umsetzung des Gedichts vom achtjährigen Protagonisten Gerald „Little Milton“ Bostock aus dem Jahre 1973. Wir schreiben mittlerweile das Jahr 2009, die Katze hat genug von der Kälte draußen, sie tappt mit den Vorderpfoten auf das Balkontürglas, streckt sich und schreit. Ich öffne die Tür und lasse sie wieder herein. Really don´t mind if you sit this one out. Ian Andersons Stimme zu dem perlend hellen Sound und nach gut dreißig Jahren my word´s but a whisper - your deafness a shout kommt nicht nur die Melodie an, erschließen sich auch Gedichtzeilen. I may make you feel but I can´t make you think. So in der Frühmorgenstille auf dem Bettsofa halb liegend, halb sitzend braust die Erinnerung im Jethro Tull gefüllten Autogehäuse dahin. Zufällig entdecke ich vor ein paar Tagen die Thick as a Brick – CD im Ramschkasten. Ob ich die zerbrochene Hülle reklamieren soll? Die Verkäuferin sieht nichts und steckt die CD samt dem Kassabon in einen kleinen Plastiksack. Am Fünfuhrmorgenplatz, halb sitzend, halb liegend braust, fliegst du über die Autobahn dahin. Im Baustellenbereich ist ein Unfall passiert. Ein Pkw liegt auf dem Dach. Der Polizist winkt energisch, was heißt, schnell weiterfahren. And the love that I feel is so far away. Was du nicht sagst! Die Katze hat wieder ihren Schlafplatz aufgesucht. Es ist eine Vollmondnacht. Polstermöbel, Beistelltisch und schwarzer Fernsehbildschirm; trotzig formiert sich das Alltagspersonal im Wohnzimmer. Die zum Trocknen aufgehängte Wäsche, my word´s but a whisper, tut nichts zur Sache, tut auch nichts gegen die Sache, ist nur Anblick, ist nur der Refrain eines anderen Gedichtes, work in progress, das vom Frühmorgensitzplatz aus beobachtet wird. Spin me back down the years and the days of my youth. Dieses Mal mit einer Honda SS 50, die der Adoleszente zu einer Jesus-loves-you-Veranstaltung lenkt. Es werden Zeugen für die Erweckung gesucht und gefunden. Es ist eine groß angelegte gesprächstherapeutische Sitzung. Die Veranstaltung findet auf Schloss Klaus, einer Burg im Umkreis des Toten Gebirges, statt. Du stehst ein wenig abseits und beobachtest im Innenhof eine Gruppe Jugendlicher, die rauchen (sic!) und sich keinen Deut um den religiösen Aufbruch scheren. Sie haben einen Plattenspieler und Boxen aufgebaut, um die sie herumsitzen. Es ist Mitte Mai und aus den Boxen dröhnt die Musik Jethro Tulls. Spin me down the long ages, das liegt etwa drei Jahrzehnte zurück, und let them sing the song. Diese Gruppe Jugendlicher, rauchend, nachlässig gekleidet und Jethro Tull hörend ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben. Die Veranstaltung selbst ist vergessen. Spin me back down the years and the days of my youth. Wörter und Melodie sind eins. Die eingerauchten Jugendlichen, die um ihre Musikmaschine sitzen und mit den Köpfen nicken, sind das andere Inbild eines Bekenntnisses. Und du? Willst du etwas bekennen? Willst du etwas Vergangenes heraufbeschwören? Thick as a Brick als Baukastensystem wenigstens ansatzweise zusammenfügen, nicht nachzeichnen, sondern neu und neu gruppieren, wobei die Katze, die sich am Polstermöbel die Krallen schärft, was soviel bedeutet wie, ich will ins Freie, ihre Rolle spielt. Auch das Bettsofa, der Frühmorgensitzplatz spielen ihre Rolle. Das in der Wintersonnenlandschaft dahinbrausende Auto spielt seine Rolle und das funkelnagelneue Hondamoped, unterwegs nach Schloss Klaus, spielt seine Rolle. And the poet lifts his pen while the soldier sheaths his sword. Jethro Tull, der Name, lese ich, geht auf einen britischen Agrarpionier aus dem 18. Jahrhundert zurück, der unter anderem eine Sämaschine erfand. Ian Andersen, ein gebürtiger Schotte, hat der 1967 gegründeten Band mit Querflöte, Text und Stimme sein Unverwechselbares gegeben. Das Vorgängeralbum von Thick as a Brick ist Aqualung, dessen populärster Song Locomotive Breath auch heute noch oft zu hören ist. Auf Thick as a Brick folgt A Passion Play, Passionsspiel und hier vollzieht sich bereits ein Zerfall ins klassisch Jazzige oder ins jazzig Klassische. Die Themen in allen drei Alben, die zwischen 1971 und 1973 herausgekommen sind, haben zum Thema Gott, die Kirche, die Gesellschaft und den Einzelnen. Ein drittes Mal wird frühmorgens Stellung bezogen auf dem ausziehbaren Bettsofa im überheizten Wohnblockwohnzimmer und wieder ist die Erinnerung angefüllt mit dem Dröhnen der Jethro Tull Kompositionen im Autoinneren während der gestrigen Linzfahrt. Thick as a Brick mehr, Aqualung weniger, zu vereinzelt stehen hier noch die einzelnen Titel, zu inhomogen und manchmal zu grobschlächtig. Die Enttäuschung darüber ist groß und steht diametral zur Begeisterung über Thick as a Brick, das so frisch und unbekümmert in perlender Schärfe dahindonnert. Ich weiß, lange hält das nicht, aber jetzt ist es noch einmal da, der Lebenssound der Siebzigerjahre mit seinen Erinnerungssplittern, den im Innenhof von Schloss Klaus sitzenden Jugendlichen, die der religiösen Erneuerungsbewegung mit ihrem Abdriften in die Jethro-Tull-Suggestion eine eigene Note aufsetzen. Als ich die Band 2007 erstmals live in St. Pölten erlebe, springt der ehemals zündende Funke nicht über. Es ist nur ein Wiedererkennen, das Alter, der Glatzkopf, Rucksack Flöte, und so nehme ich sie zur Kenntnis. Erst jetzt auf dem Frühmorgensofaplatz und im Wiederhören in der Autokabine ist es wieder da, zumindest für die Zeit dieser Niederschrift.

Lebensschiff ahoi! Der Mond steht bei der Heimfahrt von der Abendveranstaltung in Linz leicht geköpft als hellgoldene Schale am Nachthimmel. Da hinein fährt und dröhnt: Do you believe in the day? Do you? Believe in the day! Während mir damals nur der Klang und nicht der Inhalt der Sätze und Wörter aufging, fügen sie sich jetzt zumindest für Momente zusammen. Of course - so you ride yourselves over the fields and you make all your animal deals and your wise men don´t know how it feels to be thick as a brick.

Beatlemania!
50 Jahre Beatles! Wir feiern mit einem sensationellen Bildband von Fans für Fans, mit Insider-Stories, fantastischen Fan-Fotos, Dokumenten und Faksimiles.

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller

Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.

Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.