March Höld: Alter Käfer (Tom Waits)
Die Sonnenbrille ist ihm verrutscht, die Füße kalt. Was nützt es, wenn einer schon mit Marianne Faithful, mit Musikern von The Doors, Cream, Velvet Underground gespielt hat? Plattenaufnahmen mit Chet Baker und Miles Davis? Die Provinz ist taub, sie hat’s nicht gehört. Die beiden Mädels links von ihm haben ihm seinen Zipfel der Bettdecke weggezogen. Im Keller steht der kalte Rauch der letzten Nacht.
Mit dem Handballen schiebt er sich die dunklen Gläser zurecht. Was hat er geglaubt, hier in den Neunzigern, jetzt in diesem burgenländischen Dorf? Für sechs Personen nur zwei Decken. Da nützt es auch nichts, daß er mit den paar jugendlichen Außenseitern auf dem Matratzenlager liegt, die die Discographie der Doors auswendig hersagen können. Während der Party haben sie noch bei jedem Namen, den er erwähnt hat, eine passende Lyrikline gebrummt, einen Rhythmus auf ein Tschikpackerl geklopft. Aber nun schlafen und frieren sie. Sie teilen die zwei Decken ebensowenig, wie er sein Koks mit ihnen geteilt hat.
Er tastet sich durch die neben der Matratze verstreuten CD-Hüllen, zerbricht eine lose Silberscheibe unter seinem Knie. Oder vielleicht ist es auch nur sein alter Meniskus, der da knackt, beleidigt von den Stunden, die er im Schneidersitz auf der Matratze saß und trank. Da ist der Ölofen noch gelaufen. Kurz überlegt er, ob er nachfüllen und das Ding wieder anheizen soll. Dann findet er seine Lederjacke in einer Ecke. Unter einem großen, schweren Mantel, den er auch gleich mitnimmt.
Die Sonnenbrille hält ihm die Morgendämmerung vom Leib. Nur die Frischluft schlägt ihm kalt ins Gesicht, auf dem Land ist sie ihm schon immer so brutal vorgekommen. Und daß in diesem Staat außerhalb Wiens nur Pampa ist, war in den Siebzigern auch nicht anders. Was hat er sich gedacht, auf was er sich einläßt, als er sich von den Halbwüchsigen da unten einladen hat lassen? Daß eine Kellerparty ´93 sich von einer Kellerparty ´73 unterscheidet? In Lederjacke und Mantel steht er vor dem Haus an der östlichen Ortsausfahrt und schaut hinüber zur Grenze. ´73 mußten die Bauern hier noch damit rechnen, mit dem Traktor auf eine vom Regen ausgewaschene, herübergespülte Mine zu fahren. „Boom!“ Er hebt die Faust, reißt die Finger auseinander. ´73 waren Marianne Faithful und Males Davis noch seine Zukunft gewesen. „Tshiki, taka, boomtsha!“ Schlägt einen Takt in die Luft, bevor er die Hände wieder in die Manteltaschen schiebt. Heute nur noch Anekdoten, mit denen er diese jungen Außenseiter unterhalten hat, die stolz darauf sind, Ö3 zu verabscheuen, aber mit Kruder & Dorfmeister nichts anzufangen wissen. Dabei ist der eiserne Vorhang seit vier Jahren abgebaut. Er geht ein paar Schritte. Es nieselt.
Die Sonnenbrille ist ihm schon ganz feucht, und trotz des hochgestellten Mantelkragens auch die Haare bis in den Nacken. Was hat er gemeint, wohin er will? Gestern war er von den zwei Mädels, die ihm dann doch keinen Zipfel der Bettdecke gegönnt haben, hierher mitgenommen worden. Ihr Polo steht versperrt vor dem Haus. Daneben eine Vespa. Und ein alter Käfer, Fahrertür offen. Er hebt das Fußdackerl, klappt die Sonnenblende herunter. Hätte er sich gewundert, wenn er den Zündschlüssel so nicht gefunden hätte? In einer Manteltasche Tabak und Papers. Sein letztes Briefal sucht er vergeblich in der Brusttasche seiner Lederjacke. Dabei ist er sich sicher, nach seiner letzten, heimlich am Klo verzogenen Line noch was übrig gehabt zu haben. Anscheinend war er vor den Außenseitern eingeschlafen. Anscheinend hatten sie trotz seiner dunklen, seine Pupillen verbergenden Brille kapiert. Er seufzt den Rauch der Selbstgedrehten aus sich heraus. Der Straße, die aus dem Dorf führt, fehlt der Mittelstreifen. Was soll’s? Steckt er den Zündschlüssel deswegen nicht ins Schloß? Dreht er ihn nicht? Kuppelt.
Das Autoradio hat jetzt Strom: „One, two, three, four.” Klaviereinsatz! Das Kassettendeck knirscht leise, aber die Boxen funken geschmeidig. Die Stimme von Tom Waits war ´73 noch cremig. Und was schon rau war damals an ihr, kratzte nur sanft in der Kehle, nicht mehr als mit sehr grob gehackten Mandelsplittern zubereitete Esterházytorte. Sicher, die Mehlspeise mit Whisky hinuntergespült, Zigarette danach. Schließlich verging die Zeit schnell. Er hat seine Selbstgedrehte längst ausgeraucht, schnippt sie nach dem Ausparken aus dem Fenster und rollt los. Und singt los mit seiner ´93er zu Tom Waits ´73er Stimme, fällt ein in die nächste Lyrikline: „As I pulled away slowly, feeling so holy…“ Und wirklich fühlt er sich. Und erinnert sich, wie er sich ´73 gefühlt hat: „God knows, I was feeling alive.“ Gaspedal. Ortstafel. „And now the sun’s coming up”, singt er und meint, der Rost auf seinen Stimmbändern würde aufreißen, wie die Wolken just in dem Moment. Und ein paar schiefe Sonnenstrahlen fallen durch den Nieselregen. Er stellt die Scheibenwischer auf ganz schnell, weil sie so fröhlicher wirken. „I’m riding with Lady Luck ...“ Links und rechts von ihm rasen Bäume vorüber. Er überholt einen Traktor, „freeway, cars and trucks“, und hat nun die Landstraße für sich.
Er hält auf Eisenstadt zu. Alter Esterházysitz. Von dort geht die A3 Richtung Wien. Oder die Bundesstraße 16 nach Sopron, von dort geht’s weiter nach Budapest. Er kann es sich aussuchen. Seinen Paß hat er, er tastet unter dem mitgenommenen Mantel seine Lederjacke ab, dabei. Als stünden ihm alle Wege offen. Als wäre er wie ´73 noch ein Teenager, so jung wie diese Halbwüchsigen im Keller, meint er plötzlich wieder eine Wahl, eine Zukunft, mit oder ohne Marianne Faithfull, zu haben. Und Tom Waits singt unermüdlich. Wem auch immer diese Kassettenaufnahme der Closing Time Scheibe gehört, wem auch immer der rostfleckige Käfer. Tom Waits singt vom Glücklich-Sein, singt von seinem alten ´55er Caddy, während die Sonnenstrahlen den Nieselregen mehr und mehr vertreiben:
„Now the sun's coming up,
I'm riding with Lady Luck,
Freeway cars and trucks,
freeway cars and trucks,
freeway cars and trucks...”
Irgendwo, entweder auf der A3 oder auf der Bundesstraße 16, reiht Ronni Urini sich ein in die Kolonne. Überholt und setzt sich an ihre Spitze.
Peter, der in dem Haus mit dem Keller, in dem wir gefeiert haben, wohnt, betrachtet die Reifenspuren im feuchten Gras, die sein alter Käfer dort hinterlassen hat. Ich stehe neben ihm und halte die Hand meiner Freundin, mit der ich mir, bis gerade eben, bis Peter uns aufgeweckt hat, eine Bettdecke geteilt habe. Ich weiß nicht, ob Peter den Verlust der Kassette mit der ´73 Stimme von Tom Waits bedauert hat. Aber sein Auto, diesen rostigen Käfer zumindest, hat er nach zwei Wochen von Ronni Urini zurückbekommen.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.