Helmut Haberkamm: Mein Freund Bully (Holy Modal Rounders)
Was, deine Mutter ist eine geborene Stampfel?
So fing die ganze Geschichte an, mit dieser herausgeschlenkerten Frage von mir.
Weißt du denn gar nicht, was das heißt, Mensch?
Mein Freund Bully schaute mich verdutzt an. Er drehte gerade die LP der Holy Modal Rounders auf dem Plattenteller herum und schwärmte mir von diesen zwei irrwitzigen Spaßvögeln vor. Sein Vater hatte sich wieder verzogen, er hasste diese Krakeeler mit ihrem Gejaule und Remmidemmi, wie er es nannte, aber wenn ich da war oder andere Leute, dann ließ er Bully in Ruhe.
Schau doch mal auf die Namen der beiden Musiker. Steve Weber, und...? Genau, Peter Stampfel. Und was sagt dir das? Mann, der Stampfel hat deutsche Vorfahren! Wahrscheinlich bist du mit ihm verwandt!
So fing die ganze Geschichte an, mit diesem als Spaß gedachten Ausspruch von mir. Was dann kam, konnte keiner von uns ahnen.
Bully war das größte Liedermacher-Talent, das Westmittelfranken damals Ende der siebziger Jahre besaß. Er spielte klasse Gitarre und schrieb lustige bis kritische Songs im fränkischen Dialekt, die bei seinen Auftritten in Gemeindeheimen und Wirtshaussälen, bei Landjugendfeiern und Geburtstagspartys spitze ankamen. Die Mädchen fanden ihn süß und dufte, die Jungs hielten ihn für einen komischen Kauz, und seine Eltern fingen langsam an zu verzweifeln. Vor allem weil ihm Noten in jeder Form wurschtegal waren und er alles frei Schnauze und nach Gehör raushaute, was ihm so durch den Kopf flatterte, ob in der Schule oder sonstwo. Dass Bully damit die besten Voraussetzungen für eine Bruchlandung im bürgerlichen Berufsleben mitbrachte, das sahen seine Eltern schon ziemlich früh mit glasklarem Entsetzen.
Wenni erschd mei Auto hobb, bretschi rum wie a junger Gott! Na fohri gleich in Deifel zamm, ehra is ka Ruh derhamm! Hobbi na mei Häusla baut, werdsi in die Falln neig’haut! Na lebi mei Leem ganz lescheer, ärbern du ich goor nix mehr! Geeberds mehr so Kerl wie miech, wär die Welt a lustigs Viech!
Wenn Bully dazu sein Gesicht verzog und die Stimme immer neu verstellte, dann war das wirklich zum Schießen. Aber er hatte auch einige echt tolle Songs drauf, die ernst und nachdenklich waren. „Der liebe Gott, der will des so“, eine bittere Ballade gegen die Not in der Welt. „Wenn der Schnee na daut, na sichtmer die Haufn“, ein Lied über geschmierte Politiker und vertuschte Schweinereien. Oder sein wunderschönes Liebeslied „Kumm, ich dudder helf dein Reengboong baua“. Immer wieder fallen mir Zeilen und Wortspielereien aus seinen Liedern ein. „Solls sei, wies mooch – morng is aa nu a Dooch.“ „Doo machi drei Greizle und hängmi net noo.“ „Wemmer net so wärn, wiemer sinn, meecherdi net wissn, wos na widder wär mit uns“. Manche Verse werden heute noch angestimmt bei Sessions, Feiern oder beim Wirtshaussingen: Allmächt, allmächt, die Welt! Der aa hat in Beitl, der anner des Geld. Allmächt, allmächt, die Leit! Der aa hat an Schoodn, der anner die Freid. Allmächt, allmächt, mei Freind! Der aa hat an Schlooch, der anner, der greint. Allmächt, und na erscht du! A Worscht im Darm und an Käs im Schuh!
Bully hieß eigentlich Peter, aber jeder nannte ihn Bully, wegen diesem Lied, das er immer sang. Ein Lied der Holy Modal Rounders: I’m going down on Peter Street, if I find that bully, he will be bloody meat, for I’m looking for that bully of this town. Die Holy Modal Rounders machten 1963-65 ihre ersten Platten, abgedrehte Folksongs mit Gitarre, Banjo und Fiddle: I pinched Eve on the bottom, patted Adam on the back, I just smiled at the serpent and he smiled back, I took a bite from the apple with two bites gone and shouted Euphoria!
Manche Lieder waren durchgeknallte Spielereien, wie „Nova“: First a bunch of flying saucers flew over, then I smelled the burning metal reek of Nova, and the CIA and Jehova said: Blame it on the Bossa Nova! Time is on my side, slime is on my tide, I ride my time slide all the time, I’m lazy…Bei “Mole In the Ground” wird ewig lang immer das Gleiche wiederholt: “I wish I was a mole in the ground”, und dann “I wish I was a lizard in the spring”. Verrückt. Noch besser beim „Flop Eared Mule“, wo das gesamte Lied nur aus dem besagten “Maultier mit Schlappohren“ besteht und am Ende dutzendfach „real world“ gesungen wird, das war’s, unglaublich abgedreht.
Wie kam Bully eigentlich auf diese Freaks? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls waren wir völlig begeistert. Er hat sich viel von diesen Kiffköpfen abgelauscht und in seinen Songs umgesetzt. Und als ich ihm dann sagte, dass Peter Stampfel als Sohn deutscher Einwanderer vielleicht mit ihm verwandt ist, da machte es Klick in Bullys Kopf, anders kann’s nicht gewesen sein. Er forschte nach, schrieb Briefe, telefonierte sogar mit Amerika. Nach und nach vervollständigte sich das Mosaik.
Peter Stampfel war in den vierziger Jahren in Milwaukee aufgewachsen, in Wisconsin. Sehr früh entdeckte er seine Leidenschaft, die Folkmusik, die Fiddle und das Banjo mit den fünf Saiten. Er liebte Bluegrass und Country, den Blues und die uralten Volksweisen, Bill Monroe, Pete Seeger, Robert Johnson, den Country Blues der Jahre zwischen 1927 und 1933. Das merkt man am Repertoire der Rounders: “Give the Fiddler a Dram”, “Black Eyed Susie”, “Sail Away, Ladies”, “Junko Partner”, “Hesitation Blues”, so lauten die Titel. Seinen Kompagnon Steve Weber traf Stampfel im New Yorker East Village, und obwohl sie einmal wie Zwillingsbrüder waren und dann wieder wie Hund und Katz, spielen sie seit Jahrzehnten immer wieder mal miteinander. Auch wenn der ewige Freak Weber derzeit nicht mehr mit Stampfel sprechen mag und irgendwo in West Virginia abgetaucht sein soll. Sie erfanden verrückte Bandnamen für ihre ersten Auftritte: „Total Quintessence Stomach Pumpers“, „The Motherfucker Creek Babyrapers“, “Total Modal Rounders”. Ein Mitstreiter, der den Namen falsch verstand, machte daraus dann „Holy Modal Rounders”, ein Zufallstreffer, der passte und fortan so blieb.
Stampfel mochte nicht die pathetische Ernsthaftigkeit der Folkies, die partout immer politisch sein wollten, mit anklagenden Weltverbesserungssongs und schuldschweren Schicksalsballaden. Er liebte das traditionelle Liedgut über alles, aber er wollte verschmitzt damit herumspielen und es schelmisch auf die Schippe nehmen, und eben auch Unsinn machen, wie ein Kind, nachmachen, improvisieren, herumblödeln. Bei den Aufnahmen zu ihren ersten Alben waren sie angedudelt, bekifft und angedröhnt mit Amphetaminen, und das hört man den ausgelassenen Gesängen auch an. Falsche Noten, schräge Töne, aberwitzige Zeilen. So entstanden Nonsense-Texte und groteske Szenarios jenseits von Botschaft und Bedeutung.
Ihr größter Erfolg war dann das Lied, das im Film „Easy Rider“ ertönt, als Jack Nicholson bei Peter Fonda auf dem Motorrad sitzt und mit Dennis Hopper daneben durch eine sonnige Landschaft rollt und abhebt: der psychedelische “Bird Song”. If you want to be a bird, why don’t you try a little flying? There’s no denying, it gets you high. Why be shackled to your feet when you’ve got wings you haven’t used yet? Don’t wait for heaven, get out and fly! Just glide there through the clear air, making figure eights through the pearly gates, where the soul and the universe meet…
Naja, eines Tages war Bully dann von der Bildfläche verschwunden. Keiner wusste Bescheid, seine Eltern redeten nicht mehr über ihn. Für die Mutter war es bitter,für den Vater kein Wunder. Ich wusste, dass Bully in Amerika war, weil er mir die ersten Jahre noch Postkarten aus New York, Oregon und Wisconsin schrieb, die er mit Teddy Boy Forever unterschrieb. Angeblich soll er einen Laden in Florida haben, der Cyco-Deli heißt. Einmal erzählte jemand, sie hätten ihn im Radio in Kalifornien gehört, in einer deutschen Sendung. Er nannte sich Wild Blue Yonder und sang absurde Verszeilen: Hannelore, hollmer amoll a Ribbla Schogglood! Hannelore, geh sei so gut und hollmer a Stiggla Schogglood! Ich will ka Bier, ich will ka Brot, kann Brootn und kann Saloot – Ich will nix wie a Ribbla Schogglood! Na hollermer mei Hooserbrot und mampf mein Schogglood.
Bully hat sich hier nie mehr blicken lassen. Auch bei mir hat er sich schon ewig nicht mehr gemeldet. Seine Eltern haben ihn totgeschwiegen. Das mit seinem Vater, das ging ja nie gut, der war ein harter Hund. Als der starb, wurde aus seiner Asche angeblich ein Diamant gemacht, auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin. Das würde zu ihm passen. Vielleicht tastet sich der Diamant gerade in eine schwarze Rille einer Vinyl-Schallplatte hinein, in so ein aberwitziges Lied der Holy Modal Rounders. Das hat er nun davon.
Beatlemania!

1. Auflage 2010, ca. 140 Seiten, mit über 100 Fotos, Dokumenten u. Faksimiles
ISBN: 978-3-7844-3221-2
19,95 EUR D / 20,60 EUR A / 34,50 CHF (UVP)
LangenMüller
Als sie noch live auftraten, wurden sie von ihren Fans in einem Maße verehrt, wie es keiner anderen Popgruppe je zuteil wurde. Der Kult um die vier Jungs aus Liverpool hält bis heute ununterbrochen an. Die Beatles haben die Musik revolutioniert und die Menschen begeistert. Die Beatles und ihre Fans – das ist ein seit damals andauerndes Liebesverhältnis, fast schon eine Weltanschauung. In diesem aufwändig und liebevoll gestalteten Album wird diese besondere Beziehung dokumentiert – mit vielen raren, zum Teil unveröffentlichten Fotos und Texten. Ein Buch von Fans für Fans.
Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.