Andreas Niedermann: Mud Slide Slim und ich, sein Chili Dog (James Taylor)


Ist er‘s wirklich? Kann es denn sein? Diese wie gesalbt schimmernde Halbglatze, das schlanke, gekerbte Zeichenlehrergesicht, das Hemd von undefinierbarer Farbe, irgendwie blau und hell und ein Knopf geöffnet, ein bisschen zu weit für den dünnen Hals, die knochigen Schultern. Wer ist dieser Mann? Ein vitaler, selig grinsender Krebspatient nach überstandener Chemotherapie? Ein gütig lächelnder Vikar vor der Religionsstunde? Oder doch ein Arzt der „médecins sans frontières“, der sich vor dem Einsatz in Liberia von seinen früheren Patienten verabschiedet? Ein Weiser, der uns Erleuchtung bringen wird? Dann greift der Mann zur Gitarre. Schlüpft unter den Riemen. Der erste Akkord ist noch nicht verklungen, und bereits wissen wir alles. Jawohl, alles. Und noch mehr. Kein Zweifel. Da ist er. Mud Slide Slim.

Als ich dann seiner bestürzenden Fingerfertigkeit auf dem Gitarrenhals ansichtig werde, seinen etwas nasalen Tenor, bei dem Schlagerschmelz anklingt, höre, ist es beinahe wieder so wie 1971. Ist es das? Nein. Überhaupt nicht. Wie komme ich denn auf diese Idee? Hätte ich es denn gerne? Keine Spur. Ist doch nicht wichtig.

Als „Mud Slide Slim“ 1971 erschien, welkte auf der Grabplatte von James Douglas Morrison gerade die zweite Garnitur Blumen. Jimi Hendrix Gebeine, befreit vom hinfälligen Fleisch, jammten mit Robert Johnson, illuminiert wie ein Flipperkasten. Die geliebte Janis Joplin so tot, tot, tot. Und doch schienen sie lebendiger, als alles andere um uns herum.

Das wussten wir jetzt, das war jetzt klar: Drogen konnten töten. Wenigstens nach pfundweisem Genuss, und ein paar Flaschen Whisky dazu. So ging die Kunde. Aber waren denn diese Toten überhaupt tot? Und was war der Tod, wenn man so lebendig wie Janis, Jimi und Jim war? War das endlich die Auferstehung am dritten Tag?

Ein Freund drückte mir die Hülle von Mud Slide Slim in die Hand und legte die Nadel auf. Das Foto auf dem Cover war ein Schock. Der Mann, lässig zurückgelehnt, war eindeutig stoned. Schnurrbart. Schulterlange Haare. Die Daumen hinter den halbmondverzierten Hosenträgern. Jeanshemd mit verschlupftem Kragen, und der Blick eines gerade erstandenen WG-Bewohners, der noch vor dem Mittagsbier ein oder zwei Chillums gezogen hatte. Das war frech. Dieses sachte Grinsen. Dem Mann schien es gut zu gehen. Aber warum nur?

Dann, beim zweiten Hinsehen, erschien er mir eher wie Jesus, der gerade vom Kreuz gestiegen war. Es wimmelte zu jener Zeit von Jesus-Verschnitten. Fast jeder war einer. Nur Eric Clapton war Gott. Aber dieser Jesus, das konnte man sehen, hatte genug von seinem Job. „Schluss jetzt mit dem Scheiß! Was gibt’s denn zu Mittag? Shitrauchen macht hungrig.“

Und so begann auch gleich der erste Song: Don‘t come to me with your sorrows anymore... Da hatte einer die Nase voll vom Kummer. Wenigstens von dem der anderen.

Love has brought me around... Ach, ja? Interessant. Mich nicht. Aber was wusste ich denn schon?

You‘ve got a friend. Schlagermusik. Die mochte ich. Denn ich kam vom Schlager. Wie man so sagt. Von Freddy Quinn und Cornelia Froboess, von Ronny und Martin Lauer, den Boss-Buben und Peter Hinnen.

Keine Pause. Gleich der nächste Lovesong. Oh, sweet bitterness! The times gone by... Was für eine Songzeile! Sie sank direkt in mein 15-jähriges Herz, aber bevor sie dort ankam, waren wir schon mit der Railroad unterwegs: We are riding, on the railroad, singing someone elses song... forever standing by that crossroad...

Eine Countryfiddel lockte uns in den nächsten Song, eine Miniatur über gefallene Soldaten. Einer kehrt aus dem Krieg zurück: With eleven sad stories to tell. Das war schlimm. Peinlich. Aber so in etwa, sah ich es auch. Krieg. Soldaten. Hey, Peace, Leute! Das Töten in Vietnam, ein Anlass für einen Melancholieanfall und ein bisschen Hippiekitsch? „Hey, Mann, wann hört denn endlich mal einer auf uns, und stoppt diese Scheiße!?“

Der Typ auf dem Cover sah aus, als hätte er schon eine Menge mitgemacht. Wenn man sein Alter bedachte. Er war dreiundzwanzig und sah aus wie ein schlecht erhaltener 40er. Ein Überlebender. Er hatte die harte Drogenkarriere bereits hinter sich. Aber er lag nicht auf dem Père Lachaise wie Jim. Man konnte die Sache also überstehen. Gut zu wissen. Und Mud slide slim klang doch irgendwie nach Muddy Waters und Slide Guitar. Ich mochte Slide Guitar, die jüngere Schwester der Hawaiigitarre. Und hatte Schlamm nicht in Woodstock eine Hauptrolle gespielt?

Und dann: Hey, Mister that‘s me upon the Jukebox.
Das war es. Ganz klar: I need your Golden Gated City, like a hole in the head.

Brauchte ich auch nicht. Gab hier zwar keine Stadt in der Nähe und auch keine goldenen Tore, aber wer wollte denn kleinlich sein? Wir verachteten die Citys, ohne einen Begriff davon zu haben.

Ein Jahr später lebte ich in einer. Das Zeug, das ich nahm, verlangte nach stärkerem musikalischem Umschlag. Mud slide slim blieb im Keller meines Freundes, wo ich sie zuallererst gehört hatte.

Nun richtet der Mann den Schulteriemen seiner Gitarre, sagt zu Joni Mitchell, die im Publikum sitzt: „Thank you, for writing this.“ Und dann: Wish I had a River...

Oh, ja, Mann, er kann‘s noch. Die Slide Guitar ist auch da, die Fiddel und sein näselnder, schmelzender Tenor, sein Lächeln, die gute Laune. Mühelos nimmt seine Stimme alles, was sie zu nehmen hat, und seine Finger bewegen sich so perfekt und geschmeidig über die Bünde, dass ich mich kaum satt sehen kann. Wie gerne würde ich einmal auf dieser Gitarre spielen. Oh, sweet bitterness!

Nach 1:32 Minuten drückte ich auf Stopp.
Es tat mir augenblicklich leid.
Aber warum nur, Mister James Taylor ?


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Mit Texten von Horst Fascher, Lisa Fitz, Chuck Hermann, Jürgen Herrmann, Chris Howland, Klaus Kreuzeder, Gabriele Krone-Schmalz, Uschi Nerke, Abi Ofarim, Brian Parrish, Helmut Schmidt, Manfred Sexauer, Tony Sheridan, Pete York uvm.
Fotos von Bubi Heilemann, Werner Kohn, Ulrich Handl, Rainer Schwanke, Frank Seltier, Günter Zint u.a.