Facebook und Wikileaks haben neue Standards gesetzt. Für manch einen leiten sie ein Zeitalter der (Daten-)Transparenz ein. Doch wenn wir den Herausforderungen gewachsen sein wollen, die das Jahr 2011 für uns in petto hat, dann müssen wir uns, so Krystian Woznicki, eines klar machen: Transparenz ist nicht gleich Transparenz. Facebook und Wikileaks stehen in dieser Hinsicht für zwei gänzlich unterschiedliche Ideen.
Wie Markus Beckedahl in seinem Jahresrückblick treffend formuliert: “Die Diskussion um Wikileaks führte auch dazu, dass über Grenzen der Meinungs- Presse- und Informationsfreiheit diskutiert wurde. Gerade in den USA als eines der Kernländer dieser Grundrechte entbrannte eine Debatte, die für unsere Grundrechte im Netz eine Bedrohung werden kann.” Im Angesicht dieser Bedrohung sollten wir uns klar machen, was Transparenz im Falle Wikileaks und im Falle Facebook konkret bedeutet.
Transparenz im Falle Facebook
Facebook wird von Regierungen nicht zuletzt deshalb so kritisch beäugt, weil es als privatwirtschaftliches Unternehmen ein Monopol des Staates ins Wanken bringt: allumfassende Daten über den Bürger zu sammeln. Transparenz ist in diesem Zusammenhang klassischerweise eine Einbahnstraße der panoptischen Macht. Hier ist allein der Bürger transparent.
Wenn Facebook das panoptische Machtmonopol des Staates erodiert und so etwas wie Privatsphäre im Zuge dessen neu definiert wird, dann sollten wir uns fragen, was das für die Idee der Transparenz bedeutet. Für die einen untersteht sie fortan keinem Machtdispositiv mehr – sie wird Gemeingut. Für die anderen fällt Transparenz fortan in die Hände von Wirtschaftsunternehmen. Diese haben in ihrer Eigenschaft als Global Player mehr Macht als manch ein Staat. Nur, welche Rechte hat man als corporate citizen in einem corporate state?
Transparenz im Falle Wikileaks
Auf die eben gestellte Frage gibt es seit einigen Dekaden keine aussichtsreichen Antworten. Siehe zu dieser Problematik die Schriften von Saskia Sassen (Territory, Authority, Rights) oder Naomi Klein (The Shock Doctrine). Gerade vor diesem Hintergrund ist die Arbeit von Wikileaks von großer Bedeutung, schließlich geht es einer solchen Organisation darum, Global Player (wie Staaten und Konzerne) zur Rechenschaft zu ziehen. Speziell im Hinblick auf rechtliche Verstöße.
Transparenz ist in diesem Zusammenhang klassischerweise ein emanzipativer Begriff und versteht sich als zivilgesellschaftliches Werkzeug des Widerstands gegen Zumutungen der panoptischen Macht. Der Bürger dreht hier den Spieß um. Die Machtachse wendet sich. Transparent im Sinne von verantwortlich, rechenschaftspflichtig und haftbar werden jene, die das Monopol auf Transparenz für gewöhnlich inne haben: Staaten, Konzerne, etc.
Wie Geert Lovink und Patrice Riemens in ihrer zweiten These zu Wikileaks richtig festhalten, hat die kleine Organisation inzwischen (anscheinend) soviel Macht wie ihre internationalen Gegenspieler. Nicht zuletzt deshalb werden im Hinblick auf die Verwaltung der Ressource Transparenz künftig rechtliche und politische Fragen zu klären sein. Hierbei gilt es klaren Kopf zu bewahren und möglichst trennscharf zu denken.
Gefährliche Vermischungen von Kontexten
Besonders besorgniserregend lesen sich daher Analysen, die Facebook und Wikileaks, beziehungsweise Zuckerberg und Assange in einen Topf werfen. Wie kürzlich bei Blogger Klaus Kusanowsky oder CARTA-Mitherausgeber Matthias Schwenk geschehen. Schwenks just erschienener Beitrag Soziale Netze, neuronale Netze und das Zeitalter der Transparenz spielt die Möglichkeit eines vollständig transparenten Bürgers in sozialen Netzwerken durch.
Nachdem Schwenk gezeigt hat, dass dies mit Hilfe neurowissenschaftlicher Forschung umsetzbar ist, trifft er eine äußerst irreführende, ja geradezu fatale Einschätzung: “WikiLeaks mit seinen Depeschen amerikanischer Diplomaten wird dann im Rückblick wie eine harmlose Aufregung und eine Art Auftakt zum Zeitalter der Transparenz erscheinen.”
30 Kommentare zu
wikipedia kennt da ziemlich viele Ebenen
( http://de.wikipedia.org/wiki/Transparenz )
Deshalb ist der Hinweis auf gefährliche Kontextvermischungen wichtig und hilfreich, nur er hätte ruhig noch weiter ausgeführt werden können, denn wenn ich das Gehirn durchleuchte, transparent werden lasse, hat das zunächst einmal keine politische Dimension. Sondern eine medizinische, bio-technologische.
Doch das es da eine politische Dimension gibt, das muss sich erstmal zeigen lassen. Mit den Mitteln der Sprache, sauber, differenziert.
http://de.wikipedia.org/wiki/Transparenz_%28Politik%29
das sind doch alles nur Beschäftigungsprogramme und Ablenkungsmanöver, damit wir nicht zu dem kommen, was wir eigentlich machen wollen
@deitch: danke für den hinweis! stimmt natürlich. ich hätte weiter darauf eingehen können, nur ist der beitrag eine kurze intervention, ein festhalten von grübelei, statt essayistische ausführung
@zk: wenn ich mir die glaskuppel anschaue, die den wikipedia beitrag über transparanz illustriert, muss ich denken: transparenz (im hinblick auf den staat, die regierung), das ist auch oder in erster linie ein symbolisches geschäft. was durchsichtig ist (oder zu sein scheint/vorgibt), ist noch lange nicht im politischen sinne transparent, lies: accountable, etc.
und vielleicht ist gerade der gegenteil der fall. man hat sich auch im angesicht der cablegate-auswertungen mit dem stempel "enthüllt" hin und wieder fragen müssen, WAS um himmels willen hier denn enthüllt worden ist: dass us-amerika eine zynische sicht auf die welt hat, wussten wir doch auch schon vorher...
@Peter: gute frage! und wichtiger punkt. es gibt inzwischen eine umfrangreiche kritik an der idee der partizipation bzw. an an solchen angeboten und deren "design" (siehe dazu u.a. das aktuelle buch des berliner gazette autors markus miessen). schlimmstensfalls kann partizipieren genau das bedeuten, was du hier skizzierst.
@Rainald Krome: was eigentlich klar ist oder klar sein sollte ist häufig erst überhaupt zu klären, manchmal klammert man sich doch zu sehr an annahmen und gemeinplätzen und setzt bei anderen, der öffentlichkeit, dinge vorraus, die man bei genauerer betrachtung so nicht vorrauszusetzen kann.
Transparenz staatlichen Handelns (Informationsfreiheit, Open Data, Leaking) ist ein Mittel für Demokratie, Transparenz des Nutzers bei Facebook eines im Geschäftsmodell Mark Zuckerbergs. Differenzierungen sind deshalb besonders wichtig. "Transparenz für wen?" könnte vielleicht eine davon sein.
@Silvia: ich auch. ich hoffe nur, dass Wikileaks hier selbstbestimmt Schritte einleitet und nicht erst im Zuge von gerichtlichen Zwängen dazu veranlasst wird.
@Torsten: "verstanden zu werden" - das ist das große Versprechen, speziell im Bereich der Kommunikation!
@Huflaikhan: wenn sich die Begriffe nicht mehr begreifen lassen, müssen neue Begriffe her oder bisherige Begriffe dekonstruiert werden. Ich glaube in unserem Fall ist die gezielte Dekonstruktion angebracht, die darauf abzielen sollte die Konstruktion der Begriffe offenzulegen, auf den Kopf zu stellen und zu verschieben. Ich glaube mit Transparenz lässt sich nach wie vor arbeiten- eigentlich ist uns doch allen immer klar, dass der Kontext in dem ein Begriff Verwendung findet, ausschlaggebend für seine semantischen Implikationen ist.
@Christoph Bieber: danke für den Link in Deinem lesenswerten Blog Internet und Politik. Die "Verbindungslinie zwischen Wikileaks und offenen Daten" ist ein wichtiges Stichwort für unsere Agenda. Interessant auch die Frage aus Deinem Zeit Online/Zeitschrift für Politikberatun-Text:
( http://blog.zeit.de/politik-nach-zahlen/2010/12/01/wikileaks-und-offene-daten-%E2%80%93-zwei-seiten-einer-medaille_2686 )
"Was haben die „Enthüllungsplattform“ Wikileaks und die scheinbar nur für Verwaltungsexperten und Programmierer interessanten E-Government-Angebote wie data.gov, data.gov.uk oder bund.offenerhaushalt.de miteinander gemein?"
Dein Zwischenfazit:
"„Enthüllungs-Website“ und „Verwaltungs-Plattform“ basieren auf ganz ähnlichen Funktionsprinzipien: Sie machen umfangreiche Datenmengen einer größeren Zahl von Menschen zugänglich, und sie erlauben denjenigen, die über die nötigen Kompetenzen und eine individuelle Motivation verfügen, einen kreativen Umgang damit."
Und Deine Abschlussthese:
"Während die Regierungsplattformen eher als ein (ergebnis-)offener Prozess der Gesellschaftsberatung zu charakterisieren sind, lassen sich die Bemühungen von Wikileaks als eine in zielgerichtetes Beratungshandeln verkleidete Intervention verstehen, wobei eine bestehende Agenda unter Nutzung vernetzter medialer Öffentlichkeiten gegenüber politischen Akteuren durchgesetzt werden soll."
sind für die Diskussion an dieser Stelle von wegweisendem Interesse.
Für die Berliner Gazette im allgemeinen und unsere (aktive, pratizierende) Beschäftigung mit der neuen Journalismuskultur ist jedoch auch folgende Beobachtung interessant:
"Wesentliche Triebfeder für Projekte mit offenen Daten ist die Idee der Co-Creation neuer Inhalte im Rahmen flexibler, datengestützter Kooperationen zwischen Bürgern und öffentlichen Akteuren. Ziel ist dabei nicht etwa eine vertragsbasierte Zusammenarbeit, sondern die Hoffnung auf individuelle Weiterentwicklungen und Re-Kombinationen der öffentlich verfügbaren Daten durch Dritte."
Ich verweise an dieser Stelle nur kurz auf den Beitrag von Mercedes Bunz über kollaborativen Journalismus:
https://berlinergazette.de/bunz-social-media-kollaborativer-journalismus/
"Ich stehe für einen starken Staat"
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-75803459.html
Hier zum Gespräch im MP3 Format
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2010/12/29/dlf_20101229_1915_59564fd1.mp3
http://www.zerohedge.com/article/here%E2%80%99s-look-what-goldman-facebook-fund-will-look-it-ignores-sec-peddles-private-shares-publi
Der Begriff der Transparenz ist mMn einfach ein Begriff, dessen organisatorische und politische Anwendung man im einzelnen benennen muss. Das gilt ja für andere Begriffe dieser Sphäre auch, etwa "Macht", "Strategie", "Teilhabe" usw. - Ein Begriff für sich transportiert keine Botschaft, man muss und wird schon auch weiter kommunizieren.
Insofern scheint mir die Setzung, es ginge hier um eine "Ressource", kaum haltbar.
Ich denke, dieser Begriff verweist auf die Politizität sowie auf das bellizistische Klima rund um unser gegenwärtiges Verständnis von Transparenz.
@Don: thanks for the link. Ich interesse mich für die Facebook-Bubble aus einer historischen Perspektive auf den Kapitalismus und damit für die so genannten Nuller Jahre, die im Zeichen der globalen Krise standen (911, Krieg gegen den Terror, Weltwirtschaftskrise, etc.). Mit Facebook ist in dieser düsteren Ära ein unerwartetes Märchen entstanden, jetzt auch
in Ihrem Kino:
https://berlinergazette.de/der-facebook-film-kapitalismus-ist-unsterblich/
http://www.alternet.org/module/printversion/149369
http://rushkoff.com/2010/12/10/just-another-cyberwar/
Ron Deibert sagt:
Many lament the loss of individual privacy as we leave digital traces that are then harvested and collated by large organizations with ever-increasing precision. But if individuals are subject to this new ecosystem, what would make anyone think governments or organizations are immune? Blaming WikiLeaks for this state of affairs is like blaming a tremor for tectonic plate shifts.
http://www.nytimes.com/roomfordebate/2010/12/09/what-has-wikileaks-started/after-wikileaks-a-new-era
"Transparenz ist in der Politik ein Zustand mit freier Information..."
Nö, es gibt keine "FREIE Information".
Wenn INFORMATION wahrgenommener Unterschied ist, ist sie dadurch bereits "frei", und eine "freie" FREIE Information - ist etwas schwierig ...
Also: Entweder Information (dann frei) oder nicht "frei" = nicht wahrgenommen / wahrnehmbar - damit KEINE Information, und nicht etwa eine "unfreie".
Geht es um Transparenz, dann geht es um Wahrnehmbarkeit - das ist der Vorgang, der "frei" zu sein hat, nicht "die Information".
Damit ist gleichzeitig jeweils umrissen, WIE diese Freiheit zu schaffen sein könnte: Wahrnehmbarkeit herstellen und sichern.
Nun dürfen sich andere an der freien Wahrnehmbarkeit abarbeiten...