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Edwin A. Abbott: Flächenland – Ein mehrdimensionaler Roman

von bardola

Es war der letzte Tag des Jahres 1999 … Ich saß neben meiner Frau und dachte über die Ereignisse des vergangenen Jahres nach und über die Aussichten des kommenden, über das kommende Jahrhundert und über das kommende Jahrtausend … Nur wenig Sand war noch in dem Halbstundenglas übrig. Ich erhob mich aus meinen Gedanken und drehte die Sanduhr zum letzten Mal im alten Jahrtausend nach Norden …
Edwin A. Abbotts Quadrat hat sich in der Sylvesternacht auf den Weg durch fremde Welten gemacht. Der Traum vom Linienland und die Reise durch das Punkt- und das Raumland gehören zu den faszinierendsten Leseerlebnissen für Jung und Alt. Abbotts „Flatland. A Romance of Many Dimensions“ erschien erstmals in England im Jahr 1884. Doch das ist nicht der Hauptgrund für die überraschende Ausdrucksweise des Ich-Erzählers, eines alten Quadrates, das die nur einmal alle tausend Jahre wiederkehrende Chance erhält, eine neue Dimension kennen zu lernen. Seine Welt, die nur Länge und Breite, also nur die ersten beiden, jedoch nicht die Höhe, die dritte Dimension, kennt, ist der Grund dafür, dass das Stundenglas nicht auf den Kopf gestellt werden kann. Sein Land ist flach wie ein Blatt Papier. Darauf leben Linien, Kreise, Dreiecke und viele andere zweidimensionale Figuren wie Schatten, unfähig aufzusteigen oder abzutauchen. Doch sie ahnen nichts von diesem Mangel und können sich weder Höhe noch Tiefe vorstellen.

Im ersten Teil des Buches wird bis in erstaunliche Einzelheiten das Leben in der zweidimensionalen Welt geschildert. Schritt für Schritt verlässt der Leser seine gewohnte Denkweise und versetzt sich in den Alltag im Flächenland. Das alte Quadrat, „ein Mathematiker von nicht unbedeutendem Ruf“, besucht danach auch das Linienland. Mit großer Überheblichkeit versucht es den Punkten die Breite zu erklären. Aber wie mühevoll gelingt es ihm nur wenig später die Höhe zu verstehen!
Der Leser wird im Lauf dieser Reisen hin- und hergerissen, von der zweiten zur ersten und schließlich in die dritte Dimension. Mit jeder Seite wird seine Vorstellungskraft auf die Probe gestellt. Mit jeder Reise erfährt er, wie selbstzufrieden, beschränkt und borniert die Bewohner dieser Länder sind und wie schwer es ist, ihnen die Augen für das Nächstliegende zu öffnen. „’Flächenland’ stellt die Relativität der Wirklichkeit schlechthin dar“, schrieb Paul Watzlawick und ließ sich in „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ durch Abbotts Roman zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für das Akzeptieren von relativen Wahrheiten und für Phantasie und Toleranz anregen.

Die ausufernde Phantasie des damaligen Direktors der City of London School hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Abbott würde zufrieden schmunzeln, sähe er, wie sein Buch eingefahrene Denkweisen nach wie vor zu hinterfragen vermag und wie kläglich unsere zaghaften Versuche ausfallen, die Zeit als vierte Dimension zu definieren. Es ist keine Übertreibung, wenn man heute Abbotts detaillierte Schilderungen der Bewusstseinslage seiner anthropomorphisierten geometrischen Figuren und deren zahlreiche Versuche, den eigenen engen Horizont zu sprengen, als eine brillante Vorwegnahme aller Bemühungen der Wissenschaftler des 20. und 21. Jahrhunderts liest, die vierte Dimension in der Folge der Relativitätstheorie zu erklären. Ratlos sagt das Quadrat zur Kugel: „Ich muss gestehen, dass ich den gnädigen Herrn (die Kugel) durchaus nicht begreife. Wenn wir in Flächenland eine Linie sehen, so sehen wir Länge und Helligkeit … Soll ich nun annehmen, dass der Herr der Helligkeit die Qualität einer Dimension beizulegen wünscht und dass wir ‚hell’ nennen, was bei Euch ‚hoch’ heißt?“
Welche Qualen das Quadrat erleidet, um den perfekten Kreis, also die Kugel in ihrer wirklichen Gestalt zu erleben, könnte allen Raumland-Bewohnern nicht plastischer geschildert werden als in dieser ungewöhnlichen Begegnung. Höhepunkt der Reise ist der unstillbare Wissensdurst, die gefährliche Neugier des Quadrates, beim Versuch, sich nach dieser Entdeckung in analoger Weise auf die Suche nach der vierten Dimension zu machen. Ist es ein Gedankenland? Das kategorische Nein der Kugel, das dem Quadrat nach all seinen Erfahrungen so vertraut ist, folgt auf dem Fuß. „O nein. Ein solches Land gibt es nicht. Die Vorstellung davon allein ist – unvorstellbar … Niemand hat je die Theorie einer vierten Dimension vertreten oder vorgeschlagen. Lass uns also mit diesen Bagatellen aufhören.“

Beim Versuch im Jahr 2000 – nach der Rückkehr ins Flächenland – seinen Mitmenschen die dritte Dimension zu erklären, scheitert das Quadrat. Mit seinem Traktat über die dritte Dimension handelt es sich nur Scherereien und am Ende lebenslange Haft ein. Verglichen mit dem Referat eines „ungeheuer dummen Individuums, in welchem die genauen Gründe aufgeführt wurden, warum die Vorsehung die Anzahl der Dimensionen auf zwei beschränkt hat“, bleibt die Schrift des Quadrates folgenlos. In seiner Zelle versucht es trotzdem die Mitgefangenen aufzuklären. Doch es hat nicht die geringste Wirkung und keinen Einfluss und nach sieben Jahren im Gefängnis beginnt es schließlich selbst an seiner Erfahrung und Entdeckung zu zweifeln.
Es geht eine eigentümliche Faszination von diesem kleinen Millenniums-Roman aus, der seit erscheinen in viele Sprachen übersetzt wurde und immer wieder neue Leser findet. Es inspiriert auch die Graphiker und Gestalter von Buchumschlägen zu immer neuen Entwürfen.
Bis es der Wissenschaft gelingt, die Scheuklappen abzuwerfen und (dank der Einsicht, dass ein sich schneller als mit Lichtgeschwindigkeit bewegender Körper zeitlich rückläufig ist) sowohl die Richtung als auch den Raum, die von der Zeit gebildet werden, als vierte Dimension zu erklären, ist die Lektüre von „Flächenland“ mehr als ein guter Zeitvertreib.

Edwin A. Abbott: Flächenland. Ein mehrdimensionaler Roman. Deutsch von Joachim Kalka. Renate Götz Verlag, 2000, 96 S., ab 10 J.
Flächenland. Herausgegeben und übersetzt von Peter Buck. reprinta historica didactica, Bd. 5. Verlag Franzbecker, 1990, 160 S., für Erwachsene und zum Vorlesen.
U.v.a.

Edwin A.Abbott im ZVAB

Diese Kolumne erscheint außerdem im Eselsohr – der Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedien.

1. October 2007

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1 Kommentar

  1. Lineares Denken (oder: Flachländer) « Evolution ist Fakt schrieb am November 13, 2009:

    […] Eintöner, die auch im 21. Jahrhundert noch die Welt beherrschen, und nannte es „Flachland“ (auch „Flächenland“ in anderen Übersetzungen), eben über jene überragende […]


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