Günter Ohnemus: Der Fänger in Deutschland
von bardolaDer Tiger auf deiner Schulter
“Es gibt dich und Karen, und das darf niemand zerstören. Das könnt ihr beide vielleicht kaputtmachen, aber sonst hat niemand das Recht dazu.”
Welcher Teenager wünscht sich nicht so eine Mutter, die ihrem Sohn das Auto leiht und Tipps gibt für die Suche nach seiner Freundin! Damit endet dieser preisgekrönte moderne Klassiker.
Vincent, genannt Gogo, heißt der Sohn, der sich auch mit seinem Vater gut versteht. Die Konflikte liegen woanders: Vincent sehnt sich nach Ehrlichkeit, liebt Literatur, philosophiert gerne. Er liebt Karen, muss aber feststellen, dass diese Beziehung von den Erwachsenen torpediert wird. “Alligators all around” warnt sie ihn. Während eines High-School-Jahres in Amerika hatte er sich in Tiffany verliebt, doch deren Eltern unterbanden die Beziehung. Dieser doppelte Konflikt bildet den Kern des Romans. Niemand schildert verletzte Gerechtigkeitsliebe in der Adoleszenz besser als Ohnemus.
Gogo bleibt gefangen zwischen Tiffany und Karen, vielleicht sogar zwischen drei Frauen, denn seine Mutter versteht ihn besser als die beiden Freundinnen zusammen. Wenn Mädchenserien nur noch anöden, wenn Jungen verletzlich werden, weil sie Mädchen verstehen möchten, dann ist es höchste Zeit für diese lakonisch-jubelnde Geschichte einer Jugendliebe, worin Ohnemus dem heimlichen Lehrmeister dieses Romans Referenz erweist, indem er einen erwachsen gewordenen Mr. Holden Caulfield einen Schulbus chauffieren lässt. Ohnemus wollte ein Buch wie Salingers “Fänger im Roggen” schreiben, seitdem er 19 ist. Erst mit 52 ist es ihm gelungen.
Der Ich-Erzähler wechselt virtuos die Tonlage von bescheiden über realistisch-vernünftig bis zu überheblich-übertreibend. Trotzdem erzählt Gogo seine traurig-schöne Geschichte geradlinig und nimmt den Leser mit seiner Offenheit und seiner Sentimentalität und Sensibilität sofort gefangen. Man möge Jugendlichen ab 13 Jahren nicht nur dieses Buch, sondern auch den alten Soundtrack dazu schenken. Er könnte eine Brücke zwischen den Generationen bilden, die ewig hält: die “Trinity Session” der Cowboy Junkies oder Joni Mitchells “Hejira”.
Der Autor und Übersetzer Günter Ohnemus wurde 1946 in Passau geboren, kam mit 19 Jahren nach München, machte eine Buchhändlerausbildung, war in verschiedenen Buchhandlungen und Verlagen tätig, studierte Anglistik und Germanistik und lebte in Schottland und in den USA. Er übersetzte das Werk Richard Brautigans, veröffentlichte Erzählbände und Romane und schreibt Buchbesprechungen seit 1994 in der “Zeit”. Er bekam 1998 den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik und den Tukan-Preis der Stadt München für “Der Tiger auf deiner Schulter”.
Günter Ohnemus im ZVAB
Zähneputzen in Helsinki (1982)
Die letzten großen Ferien (1993)
Siebenundsechzig Ansichten einer Frau (1995)
Der Tiger auf deiner Schulter (1998)
Reise in die Angst (2002)
Ein Macho auf der Suche nach seinem Stuntman (2003)
Als die richtige Zeit verschwand, Droemer Verlag
Diese Kolumne erscheint außerdem im – der Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedien.
4 Kommentare
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Jaromir Konecny schrieb am October 24, 2007:
Lieber Nicola,
wirklich schön, dass Du über Günter Ohnemus schreibst – ein großer Mann! Früher mal freilich sträflich vernachlässigt – schon als er sozusagen “ehrenamtlich” – aber congenial!!! – Richard Brautigan ins Deutsche übersetzte, im Selbstverlag verlegte und ihn hier bekannt machte. Auch die drei großartigen Geschichtenbände von Günter Ohnemus, die bei Maro-Verlag erschienen waren, wurden erst nach der schönen Besprechung von Benedikt Erenz in der Zeit etwas bekannter. “Der Tiger auf deiner Schulter” ist meiner Meinung nach einer der besten deutschsprachigen Romane aller Zeiten. Bin selbst recht stolz auf mich, dass ich schon im Jahre 1996 über Ohnemus einen längeren Artikel schrieb: “Die siebenundsechzig Millionen Geheimnisse des Günter Ohnemus”. Müsste im Netz zu finden sein.
Liebe Grüße
Jaromir
Nicola Bardola schrieb am October 26, 2007:
Lieber Jaromir,
danke!
Ja, der Tiger ist unfassbar schön.
Bin schon gespannt auf die 67 Millionen.
Herzlichst, Nicola
Wolf schrieb am November 20, 2007:
Herrn Ohnemus kennt noch jemand – und würdigt ihn sogar. Ich hatte Angst, dass nach dem kurzzeitigen Halbhype, der nach der von Jaromir erwähnten “Zeit”-Besprechung um ihn losbrach, schon wieder Ruhe wäre. Die handelte von “Zähneputzen in Helsinki” – ergreifender kannn ein Band Kurzprosa kaum noch werden. Die last time I looked einzige Besprechung bei, hüstel, einem ziemlich großen Online-Buchhandel stammt von mir, ich verschenke Ohnemus wo ich nur kann – und wenn man in die wirklich wichtigen Blogs guckt, trifft man sogar jemanden, der das Zeug auch mag. Sapere aude.
Und willkommen, ZVABlog, in meiner Linkrolle.
b. albert schrieb am August 20, 2009:
hallöle,
gerade bin ich(62) erst auf diesen wundebaren schriftsteller gestoßen, lese im moment von ihm “als die richtige zeit verschwand” und bin restlos begeistert über seine sensible und präzise schreibweise, ich lese sehr, sehr viel und halte ihn, schon nach ein paar kapiteln, für den größten schriftsteller unserer zeit, ich werde mir alle bücher von ihm besorgen!