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Meine erste Antiquariatsmesse

von konecny

Ich vergesse nie die Panik in den Augen meines Antiquariatspartners Christof, immer wenn ich nach der Gründung unseres Abeceda-Antiquariats vom Flohmarkt in unseren Laden zurückkehrte. Breit grinsend und mit vollen Plastiktüten in den Händen. Glücklich breitete ich den eingekauften Antiquaritsmüll vor Christof aus, die zwar alten, doch unverkäuflichen und halb zerfledderten Kunst- und Prachtbände, die unvollständigen Klassikerwerkausgaben, die jeden Flohmarkt schmücken, und sagte stolz: „Tausend Mark haben die Schätze gekostet.“

„Hau das in die Wühlkisten!“ sagte Christof und seufzte. „Wir sollten uns für eine Antiquariatsmesse anmelden! Dort können wir etwas über wirklich wertvolle alte Bücher lernen.“

Klar hatte ich schon beim Packen der Bücher für unsere erste Messe in Düsseldorf mit Christof hart kämpfen müssen: Als er meine Favoriten – die späten Karl-May-Ausgaben, Italien- und Riviera-Baedecker in zigster Auflage, obskure Technikbücher und Kataloge aus den eingepackten Bananenkisten wieder raus hauen wollte. „Wir fahren auf die Messe!“ sagte er und stöhnte. „Nicht zum Flohmarkt!“ Doch ich blieb standhaft, irgendwann gab Christof nach. Endlich konnte es nach Düsseldorf gehen. Mit zwölf Bananenkisten, davon mindestens acht voller Trash – nur einige solcher Bücher auf einer Messe ausgestellt würden deinen Ruf als guter Antiquar für immer ruinieren. Leider passte der ganze Schund gar nicht in unsere Messeregale. Die wurden mit den teueren Fotobüchern und seltenen Erstausgaben bestückt. Wir mussten uns ja jenseits aller Experimente zuerst die Standmiete verdienen. Nur einen Stapel Karl-May-Bände, dreißig Mark pro Stück, durfte ich auf dem Boden unter einem Regal unterbringen – klar hinter dem Tisch versteckt – da hatte sich Christof durchgesetzt. Außerdem hatte ich noch einen Ausstellplatz für meine Lieblingsflohmarktbeute erkämpft: ein grandioses Buch über die Waldeisenbahnen vom Anfang des 20. Jahrhundert.

„Der Knaller“, sagte ich zu Christof. „Das Buch muss unbedingt ausgestellt werden. Wenn Du’s nicht erlaubst, pack ich die gesammelten Werke von Gustav Freytag aus!“ Schweren Herzens stellte Christof die Waldeisenbahnen ins Regal.

Die Messe fing am Freitagabend wie ein guter Thriller an. Damals waren noch angemietete „Läufer“ erlaubt, die pünktlich zu Beginn der Messe von der Kasse starten konnten, um die Schnäppchen aus dem Katalog vor den Konkurrenten zu erbeuten. Ein Fünftausendmarkbuch für einen Tausender anzubieten, ist der Alptraum jedes Messeantiquars. Wenn fünf Läufer wegen nur eines Titels deinen Stand stürmen, kannst du dir sicher sein, etwas Wichtiges bei dem Buch nicht gewusst zu haben.

„Es geht los!“ Mit Spannung schauten wir dem Eingang zu, den Läufern entgegen. Und da rannten sie schon, eine Horde Zähne bleckender Studenten, die sich mit unauffälligem Ellbogenkampf gegenseitig aus der Bahn zu werfen versuchten. In der Kurve schmiss es den ersten hin, die ganze Horde stürzte zu Boden. Großartig! Besser als Kino!


  Foto-Auge

Für uns lief die Messe ganz gut an. Am Freitag hatten wir mit von Christof ausgesuchter Ware schön Umsatz gemacht, Christof sprang hin und her, redete über Bauhaus und Alchemie, über Zauberei und Renger-Patzsch und verkaufte Kafka und alte Kräuterbücher wie warme Semmeln. Neidisch stand ich neben ihm und schwor mir, mich auch antiquarisch zu bilden – das heißt, ALLES zu lernen. Zuerst aber wohl über die Waldeisenbahnen, denn mein Waldeisenbahnenbuch wollte zum Verrecken nicht weggehen, genauso wenig wie die trashigen Karl-May-Bände. So musste ich mir am Abend einige sarkastische Anmerkungen von Christof gefallen lassen. Nur warte mal ab! Morgen werden die Karten neu gemischt. Doch am Samstag senkte sich die Langweile über die Messe. Vormittags verkauften wir kein einziges Buch. Mein Waldeisenbahnenschnäppchen für schlappe 120 Mark hatte man nicht mal angefasst. Das graue Buch hockte schmollend zwischen den Typografiewundern der tschechischen Avantgarde und den teueren Fotobüchern. Jeder schaute sich mit Ehrfurcht das „foto-auge“ von Tschichold und Roh an, für die Waldeisenbahn interessierte sich keine Sau. Christof schüttelte nur den Kopf, als sein Blick meinen Favoriten streifte und schob – wenn er sich unbeobachtet wähnte – die billigen Karl-May-Bände mit dem Fuß tief unter die Regale. Ich zog sie wieder heraus. „Es müssen doch irgendwann die Karl-May-Sammler auftauchen!“ sagte ich.

„Das schon!“ sagte Christof. „Die suchen aber meist nach den Fehsenfeld-Erstausgaben und nicht nach diesem Schund!“

Am Samstagnachmittag kam mir ein Buchverkauf schon so unwahrscheinlich vor, dass ich langsam glaubte, nie etwas verkauft und den gestrigen Abend nur geträumt zu haben. Anderen Kollegen erging’s ähnlich. Und dann – mitten in die Messe-Ödnis – platzte eine aufgedonnerte Blonde herein. So um die fünfzig, koloriert wie ein bunter Kupferstich, mit Schmuck behangen, als solle gleich die Weltwirtschaftskrise ausbrechen. Auf Stöckelschuhen stolzierte sie zwischen den Vitrinen und guckte hie und da. Plötzlich blieb sie stehen. Verdutzt brachte sie ihr Gesicht ganz nah an die Glasvitrine eines Kollegen und guckte gebannt hinein. „Sie!“ rief sie und winkte den Kollegen mit dem Zeigefinger zu sich.

„Bitte?“

„Das Buch da! Sehen Sie! Das da! Das Blaue! Das kostet wirklich 10 000 Mark!“

„Ja“, sagte der Kollege.

„Das nehme ich!“ sagte sie und holte ein Scheckbuch aus der Tasche.

Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm der Kollege das Buch aus dem Regal und fing an, es zu verpacken.

Wahnsinn! So verkaufen sich also alte Bücher! Ich schöpfte neuen Mut! Da müsste doch bald auch bei uns etwas passieren. Und ich hatte Recht! Ein Herr in mittlerem Alter tauchte auf: „Guten Tag! Hätten Sie etwas über Brückenbau?“

Und plötzlich kam eine Erleuchtung über mich – eine antiquarische! „Über Brückenbau haben wir nichts“, sagte ich. „Aber dafür haben wir etwas über Waldeisenbahnen!“ Ich führte den Herrn zum Regal und pries die Waldeisenbahnen an wie ein persischer Teppichhändler! Ach was pries! In diesen fünf Minuten erhob ich die Waldeisenbahnen zum wichtigsten Sammelgebiet des 20. Jahrhundert. Ganz erfreut trug der Herr das Waldeisenbahnenbuch von unserem Stand weg.

„Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!“ Was? Sah ich da einen Anflug von Respekt in Christofs Augen? Mann! Ich fühlte mich wie ein richtiger Antiquar! Grandios gut! Wollte nichts anderes mehr machen, als Bücher über Waldeisenbahnen zu verkaufen. Aber echt!

12. November 2007

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8 Kommentare

  1. Eibl Gernot schrieb am November 14, 2007:

    Alles ist möglich und nix i´s fix, aber die Wahrscheindlichkeit spricht für Christof.
    Weiterhin viel Erfolg beim Verkaufen und beim Schreiben. Danke Gernot

  2. Jaromir Konecny schrieb am November 14, 2007:

    Hallo Kolle, hallo Gernot,

    nach einem solchen Lob wie dem von Euch würde ich am liebsten sofort eine neue Altpapiergeschichte in die Tasten hauen. Nur ist das Bett um diese Zeit ein gnadenloser Verführer… Aber gleich morgen!.. Das schwöre ich!

    Gute Nacht und liebe Grüße

    Jaromir

  3. Julia Schöpf schrieb am November 18, 2007:

    Hey Jaromir!

    Wie immer habe ich deine Geschichte mit Vergnügen gelesen. Oder war es eher ein Bericht? Oder eine Mischung aus beidem? Egal, Hauptsache ist doch, dass sie glaubhaft und unterhaltsam ist… Und das ist dir gelungen.

    Liebe Grüße, Julia

  4. Jaromir Konecny schrieb am November 20, 2007:

    Liebe Julia,

    wie immer vielen Dank! Bin gerade auf Tour in der Schweiz und hoffe, dass ich mit diesem Kommentar durchkomme. Der Rechner spinnt! Aber echt!

    Ich halte es so mit den Geschichten/Berichten: Jede Geschichte ist wahr – wenn sie einmal aufgeschrieben wird.

    Liebe Grüsse aus Luzern

    Jaromir

  5. aD! schrieb am November 21, 2007:

    hallo jaromir

    der rechner spinnt? wer schreibt auch schon mit einem rechner?

    danke, dein auftritt in der loge (hm, das tönt irgendwie nach freimaurertum) hat spass gemacht. ich freu mich darauf dem jäger des verlorenen schatzes glücks auf die schliche zu kommen. das von dir signierte buch liegt griffbereit…

    komm bald wieder. luzern liebt deine ärsche herzen!

    herzlichst

    aD!

  6. Jaromir Konecny schrieb am November 22, 2007:

    Lieber aD! (schreib ich Dich jetzt richtig?),

    vielen Dank für Deine schönen Grüsse. Ich hock immer noch in Luzern, an diesem teuflischen Rechner. Morgen geht`s nach Frauenfeld. Der Abend in der Loge war wirklich schön, und Du hast eine sehr nette Freundin! Grüsse sie, bitte, von mir!

    Jetzt muss ich noch für die nicht Eingeweihten die Aersche/Herzen erklären. (Krieg an dieser Tastatur keinen Umlaut über “A” hin. Ach, die Schweizer…) Vor ein paar Wochen hab ich nach einer Show im Cafe Blau in Mannheim Bücher singiert und auch Herzchen reingemalt (ich kann ja nichts anderes malen… na, ja, noch das Peacezeichen), und da fragt mich einer: “Jaromir, warum schauen Deine Herzen wie Aersche aus?” Ist mir bis jetzt echt nicht aufgefallen.

    Liebe Grüsse

    Jaromir

  7. Roel schrieb am December 10, 2007:

    Das Buch mit den Waldeisenbahnen? Hört sich interessant an! Wo gibt es das noch?

  8. Jaromir Konecny schrieb am December 10, 2007:

    Wusste doch, dass die Waldeisenbahnen ein Knaller sind! Leider ist das Buch schon wieder irgendwo da draußen auf Tour: Sammler – Antiquar – Sammler…

    Liebe Grüße

    Jaromir


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