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Dan McCalls Familienbuch: Jack der Bär

von bardola

Viele Liebhaber von Adoleszenzromanen behaupten, der Roman “Jack der Bär” sei besser als “Der Fänger im Roggen”. Jedenfalls ist “Jack der Bär” ein Geheimtipp. Eher unbekannt ist auch der Autor Dan McCall. Er wurde 1940 in Kalifornien geboren und ist inzwischen emeritierter Professor für Amerikanistik an der Cornell University in Ithaca, an der u.a. Pearl S. Buck, Vladimir Nabokov, Toni Morrison, Thomas Pynchon, Kurt Vonnegut oder John Naisbitt studierten oder unterrichteten. Dan McCall hat etwa ein Dutzend Bücher veröffentlicht, auch zu literaturwissenschaftlichen Themen. McCall gilt als einer der besten Kenner von F. Scott Fitzgeralds Werk. Von McCalls sieben Romanen wurden nur zwei – jeweils von Harry Rowohlt – ins Deutsche übersetzt.

In “Jack der Bär” lässt Dan McCall seinen Protagonisten Jack, der rasender Reporter für die Schülerzeitschrift ist und später Journalist werden will, über erste Rauscherfahrungen, Liebesabenteuer und viele Enttäuschungen mit Erwachsenen erzählen. Ein wildes Weltbild entsteht. Eine zornige Abrechnung mit der Heuchelei einer Wohlstandsgesellschaft, an der Jacks Dad zu zerbrechen droht.

Die Lage scheint trostlos: Jacks Mutter ist vor einem halben Jahr bei einem Unfall gestorben und Dad ist mit seinen beiden Jungen, dem dreijährigen Dylan und dem 13-jährigen Jack von Syracuse nach Oakland in ein Wohnviertel der unteren Mittelklasse gezogen. Dad, früherer Zirkusartist und „Monster vom Dienst“, ist inzwischen ein abgewrackter Fernsehclown, der so viel Schnaps trinkt und Haschisch raucht, dass er körperlich und geistig ziemlich am Ende ist. Vollgedröhnt mit Joints und Cognac oder Gin wird er selbst zum infantilen Monster, das er im Kinderfernsehen dargestellt hat. Die Aufgabe als alleinerziehender Vater zweier Söhne überfordert ihn. Jack muss deshalb Dylan bemuttern und auch auf Dad aufpassen:

Als wir beim Arzt in der Praxis waren, wusste ich, dass er sich jetzt wie ein beschissener Vater vorkam, aber was sollte ich schon sagen. Ich meine, ich kann ja auch nicht sagen: „Keine Sorge, du bist gar kein beschissener Vater.” (…) Wenn Dad gut ist, ist er sehr sehr gut – aber wenn er schlecht ist, ist er wahrhaft beschissen.

In einer Umgebung, die reich an kaputten Typen ist, hat es Jack nicht leicht. Zu Beginn ist der Alltag vor allem dank Dad noch erträglich, der großzügig und freundlich ist und mit seinen Söhnen und den Kindern der Nachbarschaft wunderbar spielt. Doch die unberechenbaren Dobermann-Hunde von nebenan, die schlimmen Mutterträume, die Jack verfolgen, der verrückte Norman, ein Rassist und Tierquäler, der Dylan entführt und Dad beinahe tötet, drohen auch den 13-Jährigen zu überfordern.

Jack will überleben, will seinen Vater als „Mister Wunderbar“ in Erinnerung behalten. Der schönste Moment fand noch zu Mutters Lebzeiten im Zirkus statt:

Als alles vorbei war, verbeugten wir uns Hand in Hand im Scheinwerferlicht. Syracuse lag uns zu Füssen, ein Vater und sein Sohn, und es war ganz einfach der Höhepunkt meines Scheißlebens. (…) Ich werde dieses Gefühl nie vergessen, und ich kann ihm dafür nie genug danken. Als wir nach Hause fuhren, sagte Mom nichts, aber wir sahen beide, dass Dad Tränen in den Augen hatte.

Und es herrscht noch einige Zeit ein gutes Einvernehmen zwischen Vater und Sohn, beispielsweise nach einer Prügelei:

„Ich fand es Klasse, wie du Dexter eine reingesemmelt hast, aber tu das nie wieder, -kay?“
„-kay“, sagte ich, sah auf meinen Teller, und dann musterte ich Dad verstohlen, und er grinste mich an. Er wurde ernst. „Nie wieder. Klar?“„Alles klar“, sagte ich stolz.

Solche Momente sind jedoch Ausnahmen, zumal Jack der Bär (benannt nach dem Song „Jack the Bear“ von Duke Ellington) auch eigene Probleme hat: Er fühlt sich einsam, möchte seine Unschuld verlieren und Ordnung in sein Leben bringen. Aber als seine Großeltern ein heiles Heim anbieten, haut Jack ab. Er raucht Gras, macht Erfahrungen mit Alkohol und möchte sobald er sechzehn ist, all das hinter sich lassen und nach Europa flüchten.

Dan McCall schildert das Gegenteil heiler Familienidyllen und spart ein Happyend aus.

„Ach Jacky, du weißt es wahrscheinlich nicht mehr, aber eines Tages, du warst erst sieben oder acht, da kamst du nach Hause gepoltert und sagtest: ‚Mensch, Mom, macht es dir auch soviel Spaß, am Leben zu sein?’“
Ich weiß nicht mehr, dass ich das gesagt habe, aber ich werde nie vergessen, wie sie mir gesagt hat, dass ich das gesagt habe. Dann hat sie noch gesagt: „Jacky, ich wünsche mir so, dass du das immer sagen kannst.“ Ich auch, Mom. Ich wünschte, ich könnte.

Jack der Bär“ ist ein früher All-Age-Titel, ein fundamentales Familienbuch, nach dessen Lektüre Tennessee Williams begeistert schrieb: „Dan McCall ist ein Schriftsteller, Gott steh ihm bei!“ Diese tragikomische Kinderbiographie, die dank einer hartnäckigen Katastrophenphilosophie voller Lust, Witz und Leben ist, hat aus einem weiteren Grund an Bedeutung gewonnen. Die Erwachsenen wirken bei McCall schwach und zerbrechlich, sind dem Leben weniger gewachsen als die Teenager. Ein Trend, der sich verstärkt hat: Kinder, die sich um ihre Erzieher kümmern müssen.

Jack der Bär” wurde 1992 mit Danny DeVito in der Hauptrolle unter dem Titel „Mein Vater – Mein Freund“ verfilmt. In “Der Kampf geht weiter” schreibt Harry Rowohlt, dass McCall lieber Robin Williams in der Rolle des Vaters gesehen hätte. Zu spät? Wir warten geduldig auf eine Neuverfilmung. Und auf eine Neuauflage, für die Rowohlt den Text gerne überarbeiten würde.

Dan McCall: Jack der Bär. Aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt. Insel 1975, Suhrkamp 2001, 208 S., ab 12 J.

Diese Kolumne erscheint außerdem im Eselsohr – der Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedien.

20. November 2007

3 Kommentare

  1. Lutz Hagestedt schrieb am November 21, 2007:

    Ein schöner Text, ein dankenswerter Hinweis auf ein anrührendes Buch. Von der Textsorte her eher eine Rezension als eine Kolumne.

  2. Regula Venske schrieb am December 7, 2007:

    Danke für die interessante Empfehlung, habe mir das Buch sofort bestellt für drei Euro siebzig.
    Adventsgruß aus Hamburg, Regula Venske

  3. Rudolf Herfurtner schrieb am January 31, 2008:

    Stimmt Nicola, das ist ein schönes Buch, das ich einst gern gelesen habe.


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