Formenstrenge und Sprachmacht: Oskar Loerke als lyrisches Vorbild
von tergastDer Himmel fließt in steinernen Kanälen;
Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen
Sind alle Straßen, voll vom Himmelblauen.
Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote PfählenIm Wasser. Schwarze Essendämpfe schwelen
Und sind wie Wasserpflanzen anzuschauen.
Die Leben, die sich ganz am Grunde stauen,
Beginnen sacht vom Himmel zu erzählen,Gemengt, entwirrt nach blauen Melodien.
Wie eines Wassers Bodensatz und Tand
Regt sie des Wassers Wille und VerstandIm Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten, Ziehen.
Die Menschen sind wie grober bunter Sand
Im linden Spiel der großen Wellenhand.
1911 entsteht dieses Gedicht mit dem Titel „Blauer Abend in Berlin“. Ein Sonett, das das große expressionistische Thema des Molochs Stadt aufgreift, wenngleich nicht gar so düster wie es Georg Heym in seinen berühmten Versen vom „Gott der Stadt“ heraufzubeschwören wusste. Für seinen Verfasser, den 1884 in Jungen an der Weichsel (Westpreußen) geborenen Oskar Loerke, wurde der Moloch Berlin zur Heimat; fast ein Vierteljahrhundert lebte und wirkte er hier als Lektor in Samuel Fischers Verlag, der für die Literatur jener Zeit so ungemein bedeutend war.

Oskar Loerke
Loerke, Sohn eines Ziegelei- und Hofbesitzers, gehört zu den wirkmächtigsten Lyrikern des jungen 20. Jahrhunderts. Seine Verse haben viele spätere Autoren nachhaltig beeinflusst. Er selbst hingegen ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten, wirkt sein Werk doch auf den heutigen – und zwar selbst auf den mit Lyrik vertrauten und geübten – Leser zunächst recht hermetisch.
Loerkes Gedichte, die die reine expressionistische Lehre hinter sich lassen, befassen sich thematisch mit einer Ordnung der Dinge, die aus dem Raum-Zeit-Kontinuum herausragt. Der Mensch, so er sich als ichzentriertes Subjekt begreift, hat hier keinen Zutritt, denn es handelt sich um eine durchaus überpersönliche Ordnung. Stilistisch übt sich der Dichter nach ausschweifenden expressionistischen Anfängen schnell in einer sehr strengen Bild- und Sprachwelt, die oft für den Leser formal anstrengend wirkt. Dem reinen Gefühl gegenüber ist er misstrauisch; alles, was nach Erlebnislyrik riecht, findet vor seinen gestrengen Augen keine Gnade. In Loerkes eigenen Worten klingt das so: „Ich hatte mein Erleben heimzuleiten in die Form seiner Existenz durch Sprache.“
Der Westpreuße, der in jungen Jahren viel gereist war, wurde durch gesundheitliche und auch politische Umstände zu Zeiten des ersten Weltkriegs in Berlin sesshaft. Zunächst war er als Dramaturg beim Bühnenverlag Bloch tätig; 1917 wechselte er zum S. Fischer-Verlag in die Redaktion der Neuen Rundschau. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Lyriker Loerke bereits den Kleist-Preis gewonnen und verschaffte sich fortan mit seinen Essays und Kritiken Hochachtung in der literarischen Welt. Er entdeckte neue Autoren, wurde zu ihrem Förderer und rezensierte nebenbei so viele Bücher für den Berliner Börsen-Courir, dass es später zu einer eigenen Sammlung langte, die 1965 posthum unter dem Titel Der Bücherkarren erschien.
Loerke war in den 20er-Jahren eine zentrale Figur im Berliner Literaturbetrieb. 1926 verhalf ihm diese Stellung zum Posten eines Senators in der Preußischen Akademie der Künste, zwei Jahre später machte man ihn innerhalb der Akademie zum ständigen Sekretär in der „Sektion der Dichtkunst“.

Loerkes „Abschied“ (1914)
Für ihn, wie für so viele andere, kam mit dem Jahr 1933 der jähe Bruch in der bis dahin erfolgreichen Laufbahn. Er verlor seine Stellung in der Akademie und seine Verlagsarbeit war massiven Behinderungen ausgesetzt. Loerke schrieb fortan in der inneren Emigration, beschäftige sich fast manisch mit Büchern und Literatur und beschritt als Lyriker den konsequenten Weg hin zu einer Naturlyrik, die zwischen den Zeilen durchaus Kritik am Regime und den Zeitumständen erlaubte.
Der Band Der längste Tag deutete diese Entwicklungsrichtung bereits 1926 an. Es folgten Atem der Erde (1930) sowie Der Silberdistelwald (1934). 1936 gesellte sich noch Der Wald der Welt dazu, dann war Loerkes lyrische Stimme erschöpft. Sie verstummte bis zu seinem Tode 1941 in Berlin-Frohnau.
Loerkes Art zu schreiben war nach dem Krieg für viele Lyriker stilprägend. Wichtig waren dabei etwa die konsequent durchgehaltene kompositorische Strenge, die Musikalität, der Einsatz von Mythen, um die „Grundmächte des Daseins“ ins Licht zu rücken, sowie die Bildmächtigkeit von Loerkes Sprache.
Heutige Beschäftigung mit Oskar Loerke vermag gewiss – ganz abgesehen davon, dass sie ein Reich bewundernswerter Sprachkraft erschließen lässt – ein Bewusstsein dafür wecken, wie geistige Tätigkeit den Menschen durch schwere Zeiten tragen und manch Unbill aushalten lassen kann. Und das ist in eher technokratischen Zeiten wie unseren ja nicht das Allerschlechteste…
Oskar Loerke im ZVAB
Vineta (1907)
Franz Pfinz (1909)
Der Turmbau (1910)
Wanderschaft (1911)
Gedichte (1915)
Chimärenreiter (1919)
Das Goldbergwerk (1919)
Der Prinz und der Tiger (1920)
Der Oger (1921)
Pompeji (1921)
Die heimliche Stadt (1921)
Zeitgenossen aus vielen Zeiten (1925)
Der längste Tag (1926)
Pansmusik (1929)
Atem der Erde (1930)
Der Silberdistelwald (1934)
Das unsichtbare Reich. Johann Sebastian Bach (1935)
Das alte Wagnis des Gedichts (1935)
Der Wald der Welt (1936)
Anton Bruckner. Ein Charakterbild (1938)
Der Steinpfad (1938)
Magische Verse (1938)
Stichwörter:
Expressionismus, Loerke, Lyrik, Nationalsozialismus6 Kommentare
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Hans-J. Singer schrieb am July 9, 2008:
An Loerke zu erinnern kann sicher nicht schaden; er ist in der Tat einer der versiertesten, formbewusstesten Lyriker in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts – und sein Einfluss auf andere ist offensichtlich, wenn man sich ein wenig in der Lyrik dieser Zeit auskennt. Danke für den faktenreichen Artikel.
Reimar Lindauer-Huber schrieb am August 4, 2008:
Schließe mich meinem Vorredner an, vermisse aber Hinweise auf die überragende Rolle, die die Musik im Leben, Denken und Schaffen Loerkes einnahm, sowie auf seine Tagebücher. Auch ist ein zweiter Band Rezensionen (oder Feuilletons?) posthum erschienen.
Außerdem wüsste man gerne Genaueres über seinen Einfluss. Ich würde tippen, dass Krolow, Eich, Huchel, Bobrowski und vielleicht auch die Bachmann sich mit ihm (und daneben mit Wilhelm Lehmann) intensiver auseiandergesetzt haben. Wer aber noch? Mit dem späten Benn und der “Kahlschlaglyrik” schlug die Entwicklung der Lyrik in der Bundesrepublik doch auch ganz andere Bahnen ein, denke ich.
Wolfgang Ch.Scheider schrieb am August 22, 2008:
Der im 2. Kommentar erwähnte vermisste Band ist: “Literarische Aufsätze aus der Neuen Rundschau”, hg. von Reinhard Tgahrt, Heidelberg/Darmstadt 1967
Loerke, Thomas schrieb am October 26, 2008:
Sehr geehrte Damen und Herren,
für Sie vielleicht etwas ungewöhnlich, aber für uns eine letzte Möglichkeit:
wir haben unseren Familienstammbaum – Name: Loerke – erstellt und enden leider schon bei
Paul Alexander Loerke geb.: 03.05.1879
in Wittkow
gest.: 31.12.1950
in Altentreptow
zu dessen Vater wissen
wir nur den Namen Johann Loerke
auch wohnhaft in der Gegend bei Wittkow
uns wurde immer erzählt, dass Oskar Loerke (Dichter, 1884 in Jungen, Kreis Schwetz, geboren -1941 in Berlin getorben) ein Onkel der Familie sei.
Wittkow liegt in der Nähe von Schrotz, bei Schneidemühl, Kreis Deutsch Krone und damit leicht westlich von Schwetz; die Namens-Schreibweise ist gleich, sodass eine Familienverwandschaft vermutet werden kann.
Sollten Ihnen Angaben und/oder Hinweise zu einem Stammbaum von Oskar Loerke bekannt sein, so möchten wir Sie bitten uns nähere Informationen zu zu senden oder Adressen für weitere Informationen mit zu teilen.
Für Ihre Bemühungen im Vorfeld besten Dank
mit freundlichen Grüßen
Thomas Loerke
Philipp O. schrieb am January 4, 2009:
Hallo!
Ich habe ein kleines Problem…
Ich soll ein Referat über Oskar Loerke halten! Dabei soll der Zusammenhang des Werkes “Der Wald der Welt” zum Nationalsozialismus bzw. zur Zeitgeschichte hergestellt werden und der Inhalt des Buches kurz wiedergegeben werden!
Kann mir jemand helfen?? 🙂
Eric von Mechler schrieb am October 1, 2009:
…die Tätigkeit Loerkes als ständiger Sekretär der Sektion Dichtkunst der Preussischen Akademie der Künste endete NICHT 1933, sondern dauerte auch in der nazifizierten Nachgeschichte dieser Institution noch an. Worüber er erhellendes&erschütterndes Zeugnis in seinen posthum veröffentlichten Tagebüchern abgelegt hat. Seine Urteile über die heute zurecht&gottseidank noch viel verscholleneren&vergesseneren (wenn´s diesen Komparativ gibt) Autoren der Nazi-Blut&Boden-Literatur sind knapp, präzise und stets zutreffend.