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Die schöne neue Welt der falschen Nikoläuse

von konecny

   Nikolauskostüme aus Prerov,
   Tschechien (Foto: Pazuzu)

Die Kommunisten in Mähren haben eine ganz perfide Art der antireligiösen Aufklärung betrieben. Zum Beispiel durften am Nikolaustag der Nikolaus, ein Engel und zwei Teufel in einem Pferdeschlitten von Haus zu Haus fahren und Geschenke bringen. Der Nikolaus in seinem Bischofsmantel, sich auf den zwei Meter langen Hirtenstab stützend… Das Schönste am Nikolaus freilich ist die Mitra – seine Bischofsmütze, die wie ein gegrillter Hühnerarsch ausschaut. Um diesen knusprigen „Bischof“ streitet in Mähren der Sohn mit dem Vater, wenn’s Grillhendl zum Essen gibt. Die Mutter mag keine Hühnerärsche.

Der mährische Nikolaus wurde von einem Engel und von zwei Teufeln begleitet. Und von einer Schar Kinder – in sicherer Entfernung. Immer wenn der Schlitten anhielt, stürzten sich die Teufel mit ihren Hexenbesen auf uns Kinder und wir stoben kreischend auseinander. Ideologisch schlau hatten die Kommunisten für den Nikolaustrupp die vier größten Säufer des Dorfes verkleiden lassen, die dann zu allem Überfluss von den beschenkten Familien mit Wodka bewirtet wurden. Beim Anblick dieses besoffenen Himmelfahrtskommandos musste jedes noch so naive Kind zwangsläufig seinen Glauben an den Heiligen Nikolaus verlieren.

Das ist im Westen selbstverständlich anders. Wie freuten uns Karin und ich, dass unser Sohn Adam noch in der dritten Klasse an den Nikolaus glaubte. Ist das nicht schön, wenn ein Mensch sehr lange die Märchen seiner Kindheit behalten darf? Leider nur haben die Kommunisten bereits die CSU infiltriert. Das bayerische Kultusministerium hat dem Nikolaus den Krieg erklärt. Trotz Christuskreuz im Klassenzimmer!

Im letzten November hat Adam aus der Schule eine Nikolausbildgeschichte angeschleppt, in der am Schluss der Nikolaus als ein verkleideter Onkel entlarvt wurde. Adam sollte den Begleittext dazu schreiben. Erschrocken guckten Karin und ich zu, wie sich unser Kind am Küchentisch daranmachte, seinen Nikolausglauben den Götzen der Aufklärung zu opfern. Zum Glück lief die Nikolausenttarnung erst auf der zweiten Seite des Blattes. So weit war Adam noch nicht.
„Geh pinkeln!“, sagte ich zu ihm. „Wenn du gepinkelt hast, arbeitet dein Hirn schneller!“
„Echt, Papa?“
„Na, klar!“, sagte ich. „Weil ich geistig arbeiten muss, bin ich ständig am Pinkeln. Am liebsten würde ich nur auf dem Klo sitzen.“
„Das ist bei alten Männern so, Papa!“, sagte Adam. „Das hat Mama gesagt!“
„So was habe ich nie gesagt!“, sagte Karin.
„Sei nicht frech und geh endlich pinkeln!“, sagte ich.
„Ich?“, fragte Karin.
„Nein, verdammt! Dein Sohn!“
Adam trippelte aufs Klo. Jetzt aber schnell! Karin und ich entsorgten den Nikolauscomic. Adam freut sich immer, wenn Hausaufgaben auf unerklärliche Weise verschwinden. Eine Woche später brachte er leider wieder dieselbe Nikolausbildgeschichte aus der Schule heim. Das bayerische Kultusministerium wollte dem Heiligen Nikolaus endgültig den Garaus machen! Klar ließen wir auch diesmal die obskuren Blätter verschwinden.

Am Nikolaustag brachte ich die Kinder zur Schule und in den Kindergarten und holte sie dort wieder ab. Der 6. Dezember ist auch in Bayern der große Nikolausentlarvungstag geworden; an diesem Tag haben Kinder auf der Straße nichts zu suchen. In den 30ern hat Coca Cola als Werbegag seine Fahrer in rote, mit weißem Pelz besetzte Klamotten gesteckt und so eine maßlose Weihnachtsmannverklonung in der ganzen Welt verursacht. Bis dahin konnten sich die Zipfelmützenkreaturen nur in einigen wenigen Kinderbuchillustrationen austoben, seitdem aber vermehren sich die Viecher im Dezember wie die Karnickel. Sogar im katholischen Bayern hat diese Witzfigur weitgehend den Heiligen Nikolaus ersetzt. „Nikolaus, Nikolaus!“, rufen die Kinder, wenn sie diesen Coca-Cola-Kitsch- und Kuschelopa erblicken. Doch der echte Nikolaus war ein Bischof im vierten Jahrhundert, verdammt! Ein strenger Mann im Bischofsmantel, mit Mitra und einem Hirtenstab. Kein roter Geschenkheini mit Zipfelmütze, der das traurige Wesen der Ladenketten verschönern soll! Der echte Nikolaus bringt am 6. Dezember den Beelzebub mit. Oder seinen schrecklichen Knecht Ruprecht. Oder den noch schrecklicheren Krampus. Wohin sind nur diese Berserker verschwunden, he? Ohne die Sünde und die Prügel dafür ist die katholische Kirche doch ein Waschlappenverein! Das muss ich als Atheist dem Ratzinger einfach mal sagen! Sogar in den Perlacher Einkaufspassagen wimmelt es heutzutage am Nikolaustag nur so von diesen teddybärartigen Nikolaussurrogaten. Bald wird der Weihnachtsmann in den Einkaufszentren schon im Sommer herumwildern, um die Ware schneller an die Kids zu bringen. Und dann packt der Schlussverkauf-Weihnachtsmann auch den Osterhasen an den Eiern. Ein Freund hat seinen Söhnen am letzten Nikolaustag eine Luftpistole geschenkt, damit sie auf die falschen Nikoläuse Jagd machen können! Ein Jahr zuvor hatte er sich beim Nikolausdienst einen Nikolaus bestellt und dann tauchte in der Familie auch so’n roter Zipfelmützen-Nikolaus auf. Den find ich schlimmer als Clausthaler, Kaffee Haag und Sojawürstchen zusammen! Oh, Gott! Wer kauft eigentlich diese perversen Sojawürstchen…? Leben wir in einer Ersatzwelt, verdammt?

Leider musste ich am Nachmittag des Nikolaustages mit den Jungs zu unserem Kung-Fu-Training fahren. Nach dem Training landeten wir in einer langen Autoschlange am Mittleren Ring. Vor der Ampel an der Balanstraße. Und dort hat uns dann doch noch der Schicksalsschlag ereilt. Ein Prachtstück von einem rot-weißen Weihnachtsmann torkelte die Straße entlang. Besoffen wie ein Kommunist. Bei einem solchen Double würde der echte Nikolaus vor Scham im Grab herumwirbeln. „Schaut Jungs!“, rief ich und zeigte auf die andere Straßenseite. „Ein super Haus!“ Doch meine zwei Söhne hatten ihre Augenweide leider schon entdeckt.
„Papa!“, rief Adam begeistert. „Der Nikolaus!“
„Das ist nicht der Nikolaus!“, sagte ich. „Das ist ein Pseudoweihnachtsmann, noch vor dem Krieg von Coca Cola in die Welt gesetzt. Und am Nikolaustag hat er hier schon überhaupt nichts zu suchen!“
„Doch, Papa!“, sagte Tom. „Das ist der Nikolaus! So einen hatten wir heute im Kindergarten!“
„Die Weiber bei euch im Kindergarten haben auch keine Ahnung!“, sagte ich.
„Das stimmt nicht!“, sagte Tom. „Sie wissen alles besser als du. Das hat auch Mama gesagt!“


   Santa Claus aus der Cola-Werbung
   (Foto: Brain Toad Photography)

Ich wollte einfach nur weiter fahren. Doch es ging nicht! Heute stand alles auf Rot! Vor uns mindestens hundert Autos. Klar hielt auch der besoffene Ersatz-Nikolaus an. Scheiße! Vielleicht könnte ich noch umdrehen und über die Ampfinger- auf die Ständlerstraße kommen? Aber auch hinten staute es. Zwei Damen im Auto hinter mir glotzten mit weit aufgerissenen Augen den herumtorkelnden Weihnachtsmann an. Auf ihrem Rücksitz hockte ein kleines Mädchen. Der falsche Nikolaus stellte sich an einen Baum gleich neben unserem Auto, holte seinen Schwengel heraus und fing an, den Baum zu gießen. „Aaaah!“, röhrte er dabei wie ein Hirsch.
„Papa!“, rief Adam. „Der Nikolaus macht Pipi!“
„Das ist kein Nikolaus, verdammt noch mal!“
„Doch!“, sagte Tom. „Wusste gar nicht, dass der Nikolaus Pipi machen muss.“
„Das ist kein echter Nikolaus!“, sagte Adam, und ich war ihm echt dankbar für diese Einsicht. „Das ist irgendein verkleideter Onkel!“, fügte er hinzu. „Das haben wir in der Schule gelernt. Es gibt keinen Nikolaus!“
„Echt?“, fragte der sechsjährige Tom.
„Können Sie das nicht anderswo machen?“, schrie plötzlich die Beifahrerin im Auto hinter mir aus dem heruntergekurbelten Fenster. Der besoffene Weihnachtsmann drehte sich um und brüllte: „Halt’s Maul, blöde Kuh!“
„So redet aber kein Nikolaus!“, sagte Tom.
„Fahr zu!“, brüllte ich. „Grüner wird’s nimmer!“ Und so haben unsere Kinder ihren Nikolaus-Glauben verloren. Irgendwie waren die Nikoläuse im Sozialismus viel gesitteter, als es die Weihnachtsmänner in katholischem Bayern sind. Daran ist sicher Coca Cola schuld. Limonade halt. Muss mal Ratzinger anrufen.

24. November 2008

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7 Kommentare

  1. Marc schrieb am November 25, 2008:

    ach wie wunderbar, Jaromir. Danke für diese Vorweihnachtsgeschichte. Zum Krampus fällt mir gleich was aus meiner Jugend ein, das werd ich in meinem Blog verwursten …

    Gruß, Marc
    http://laufdusau.blog.de

  2. Jaromir Konecny schrieb am November 25, 2008:

    Danke Marc! Ich hab mir Deinen hübschen “Jogger”-Blog angeguckt – wie’s der Zufall so will, jogge ich jeden Tag, der Wald steht ja da, gleich hinterm Haus, es wäre blöd, den nicht zu nutzen. Ich freue mich auf Deinen Krampus-Text.

    Liebe Grüße

    Jaromir

  3. Marc schrieb am November 26, 2008:

    Sag Bescheid, wenn du mal im Raum Stuttgart bist oder liest.

  4. Mike schrieb am November 26, 2008:

    *brüllendes Gelächter*

    … und wenn ich mir die Lach-Tränen aus den Augen gewischt habe: Danke, Jaromir, für die wunderbare Geschichte!

  5. Jaromir Konecny schrieb am December 1, 2008:

    Hallo Marc,

    bin gerade auf Tour in Tschechien. In Stuttgart bïn ich z. B. am 1.02.09 bei Poetry Slam im Rosenau. Solltest Du dort auftauchen, dann melde Dich bei mir.

    Liebe Gruesse

    Jaromir

  6. Jaromir Konecny schrieb am December 1, 2008:

    Vielen Dank, Mike!

    Liebe Gruesse

    Jaromir

  7. Marc Bischoff schrieb am December 8, 2008:

    ich komme auf jeden fall, wenn’s irgendwie geht!


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