Ich möchte mit dir Sex haben
von konecnyManon ist eine Blume vom Land. Vielleicht aus der Provence, vielleicht von einem Meer mit einem Fisch darin, der jeden Fischer mit Geschichten über Manon vollquatscht, statt ihm seine drei Wünsche zu erfüllen! Diese Fischer suchen dann nach Manon, finden sie nicht, weil Manon nun mal wie jede kluge Frau nie dort ist, wo man sie sucht. Die Fischer sind so unglücklich darüber, dass sie Drogen nehmen müssen! Manon ist eine Wildblume – wenn du sie pflückst und in eine Vase auf einen Tisch zwischen Beton und Beton steckst, verwelkt sie. Zum Leben braucht Manon die Musik der weiten Wiese! Wenn am Abend die Singzikadenmännchen ihre Melodien zirpen, um Weibchen anzulocken, malt Manon diese Sehnsucht auf ihre bunten Blütenblätter, um sie in der Nacht für die Nachtfalter zu entfalten. Manons Bilderblütenbuch! Manon mag es, eine Nachtblume zu sein. Doch am schönsten blüht Manon an der Sonne auf. Manon ist eine Sonnenblume und eine Nachtblume! Manchmal freilich auch die Prinzessin aus Paris. Wenn ihr das Landleben auf den Geist geht. Mal so, und mal so!

Tom Waits
(Foto: Anna Wittenberg)
Ich konnte mir nicht vorstellen, mit Manon Sex zu haben. Wohl weil ich in Manon verliebt bin. Ma – non! Meine Nonne!.. Nein! Eine Nonne ist Manon sicher nicht! Manon dient keinem Gott! Manon ist eine Göttin! Die Unschuld und das Göttliche in einem Körper vereint. Jungfrau und Maria! Keine Nonne aber! Am Amazonas wäre Manon eine Orchidee: Mit exotischen Formen und Farben bannt sie den Blick des bunten Schmetterlings, der um ihre Blütenblätter balzt! Kann eine Blume nicht nur sanft bestäubt werden? Der Schmetterling flattert von einem Blütenblättchen zum anderen, saugt ein bisschen hie und ein bisschen da, lässt nur etwas Blütenstaub von einer anderen Blume zurück, leicht und fein! Ich musste ganz vorsichtig sein bei Manon.
Manon und ich haben uns bei einer Ausstellung kennen gelernt, bei der die Bilder dank Manon Musik spielten. Zum zweiten Mal trafen Manon und ich uns in der Bar ‚Zum gebrochenen Herzen’. Ich guckte Manon zu, wie sie mit ihrer Zigarette Rauchbilder in die Luft malte. Aus den Boxen sang Tom Waits:
A good man is hard to find
Only strangers sleep in my bed
My favorite words are good-bye
And my favorite color is red,
und gleich wurden Manons Rauchkringel zu Herzen! Es gibt nur wenige Orte, wo Manon ihrer Leidenschaft, dem Rauchen, noch frönen kann. Komischerweise macht das Rauchen Manon noch schöner und gesunder. Bei uns gewöhnlichen Menschen sind die Lungen bereits nach ein paar Jahren Rauchen mit einer dicken Asphaltschicht überzogen, du spürst nur etwas, wenn du mit einem Lastwagen drüber fährst, mit Gauloise schwarz oder so, doch Manons Lunge ist rein und kräftig geblieben. Womit könnte ich bei Manon ihr schönes Lächeln herbeizaubern, womit könnte ich sie beeindrucken?
„Ich bin Tscheche!“, sagte ich.
„Ist es eine schwere Bürde, ein Tscheche zu sein?“, fragte sie und blies mir ein Monsterherz ins rechte Nasenloch bis meine Nasenflügel vor Freude flatterten. Ich zog tief ein – als ein Exraucher musst du jeden legalen Weg nutzen, deinem Hirn etwas Nikotinsäure zuzuführen. Und ein Rauchherz direkt aus der Lunge von Manon!.. Wow! Diese Symbolik! Waren wir beiden Hübschen nicht für einander bestimmt? Oh, Mann! Frag sie einfach, ob sie dich heiraten würde! Du kannst es ja ganz poetisch sagen! Zum Beispiel: Manon, möchtest du irgendwann im demselben Grab wie ich liegen? Wäre es echt nicht an der Zeit, eine Kiste mit Manon zu starten? Wir hatten uns ja schon einmal gesehen. Gekannt haben wir uns also genug! Vielleicht sollte ich sie einfach an der Hand fassen! Dann versteht sie mich! Doch Manon zu berühren, traute ich mich immer noch nicht. Trotzdem lief mein innerer Monolog weiter auf Hochtouren: „Fass sie endlich an der Hand!“, brüllte eine Stimme in meinem Hirn. „Pack sie wie Cary Grant seine Eva Marie in „Der unsichtbare Dritte“! Küss sie! Du warst doch der Walzerkönig in der Tanzschule! Du bist der Kusskönig, Mann! Ein Weiberheld!“
„Ein Verbalheld!“, sagte eine andere Stimme in meinem Kopf, und ich beugte mich den Tatsachen. Dann quatschen wir halt ein bisschen und klären die Fronten. „Die Tschechen müssen mit Frauen über den Sex reden!“, sagte ich. „Das ist eine schwere Bürde. Ich mag dieses Sexgelaber nicht, aber was kann ich da machen? Ich muss! Also wenn ich dir zu nah komme…“
„Ich habe keine Angst vor den Tschechen!“, sagte Manon und holte ein kleines Notizbuch aus der Tasche. „Kannst du mir auf Tschechisch hinein schreiben: ‚Ich möchte mit dir Sex haben!’“
„Ich möchte mit dir Sex haben?“, wiederholte ich laut.
„Aber bitte nicht hier!“, sagte der vorbeilaufende Kellner. Zumindest den hab ich beeindruckt!
Ich schrieb in Manons Notizbuch auf Tschechisch: „Ich möchte mit dir Sex haben“. So hat Manon die zweitwichtigste tschechische Phrase in ihrem Merkbuch festgehalten. Die wichtigste tschechische Phrase ist: „Bitte, ein Bier!“. Manche Tschechen lassen aber das „bitte“ aus! Vor allem die Tschechen, die keine Stabreime mögen. „Wozu brauchst du das?“, fragte ich, doch Manon lachte nur. Mit Lachen beantwortet Manon blöde Fragen.
Zu noch blöderen Fragen peitschten mich die Stimmen in meinem Hirn: Warum bist du bei Manon so schüchtern? Sag ihr einfach, dass sie keinen besseren als dich findet! Wo denn, bei diesen ganzen Luschen um dich herum? Sag ihr: „Manon, ich möchte dich zur Freundin haben!“ Da wird sie sicher nicht „nein“ sagen! Du bist doch der Weltmeister des Wortes, Mann! Der Dichtergroßfürst Jaromir! Das Sexgeschichtengenie! Reif für den Sexliteraturnobelpreis! Für den Sex-Bambi! Der tschechische Liebespapst, der zeigt, wo der Mauli seine Löcher gräbt, der Pan Tau – die Bühnensau! Der Luca Toni der Stabreimbundesliga! Die Umlautkanone! Frauen werfen ihre Höschen nach dir, wenn du nur „ä“, „ö“ oder „ü“ sagst! Der Dompteur der „W(ö/e)lfe, B(ä/e)ren und F(ü/i)chse“! Na, los, Mensch! Sag Manon, dass du sie zur Freundin haben willst! Also sagte ich, „Manon, ich möchte dich…“ Da zögerte ich aber plötzlich.
„Ja?“, sagte Manon.
Und hier bekam ich, der Verbal-Champion, der Schaumschläger vor Gott, einen Anfall von Schüchternheit, den ich seit der Pubertät nicht erlebt hatte. Vielleicht war’s doch zu schnell, Manon gleich beim zweiten Treff eine Beziehung anzubieten! Was sollte ich jetzt aber hinzufügen, verdammt, wenn ich den Satz schon so blöd angebissen hatte: „Ich möchte dich…“? Was sollte ich sagen statt „zur Freundin haben“! Sag zum Beispiel „malen“, Mann! Ja! Du sagst einfach: „Manon, ich möchte dich malen“? Ach, nöö! Du kannst ja gar nicht malen, du Depp! Du kannst nur Geschichten schreiben! Zum Beispiel wie ein Hamster aus dem 9. Stock eines Plattenbaus mit ’nem Fallschirm runtergesprungen ist. Soll ich also sagen, „ich möchte dich mit meinem Hamster bekannt machen“? Nee! Das ist nicht tiefsinnig genug! Sag ihr besser… aber was, verdammt? Und so sagte ich einfach doch: „Ich möchte dich zur Freundin haben“, gab aber der Feigheit nach und fügte mit zitternder Stimme hinzu. „Aber ich glaube, du willst nicht, oder?“
„Ich bin Manon!“, sagte Manon. „Und nicht das, was du glauben willst!“ Und dann wurde sie ganz streng mit mir und hielt mir einen kleinen Vortrag darüber, dass sie ein Mensch sei und nicht irgendein Bild in meinem Kopf, ein Gedicht, das ich dichten, ein Roman, den ich schreiben möchte. Wahnsinn! Ist die Frau klug! Und mächtig! Wie sie mich so schön zur Sau machte. Noch vor fünf Minuten fühlte ich mich wie der Schiri beim Frauenfußballspiel, und jetzt guckte ich blöd drein: Ein kleiner Junge, den die Lehrerin zurechtstutzt. Kein Ritter der Prinzessin aus Paris mehr, sondern der Page der galaktischen Königin! Manon! Du bist die Gewalt eines Quasars! Vor dir würde sich Darth Vader vor Angst in seine schwarze Rüstung scheißen! Boah! Ich war so eingeschüchtert durch Manon, dass ich statt Bier glatt heiße Schokolade bestellte. Zum Glück durfte ich Manon nach ihrer kleinen Rede tschechische Witze erzählen und so wurde sie wieder sanft und mild zu mir.
Ein paar Stunden später tanzte Manon aus der Bar „Zum gebrochenen Herzen“ heraus. Ich hinter ihr im Salsaschritt. Ich hatte nach der heißen Schokolade einiges an Bier getankt, und so war ich wieder Don Juan, Zoro und Cassanova in einem, der Tschechentarzan, voll auf Stabreim, der Megamacho! In meinem Kopfkino spulte sich jetzt ein noch wilderer Film ab! Warum hatte sie gewollt, dass ich in ihr Notizbuch auf Tschechisch schreibe, „Ich möchte mit dir Sex haben!“? He! Warum, denn? Manon blieb stehen und guckte mich an! Ach was „guckte“! Sie lachte mich an! Die sanfte Göttin der Liebe! Sie griff in ihre Handtasche! Krass! Suchte sie nach ihrem Notizblock? Ich konnte mein Glück nicht fassen! Würde sie mir jetzt auf Tschechisch meinen Sex-Satz vorlesen, und dann mit mir eine verrückte Nacht ohne Tabus verbringen? Die Sexstory unseres Lebens? Und anschließend mit mir den Lebenstrubel zusammen meistern? Die Bundeslade unter den Beziehungskisten! Manon holte tatsächlich ihren Notizblock heraus! Boah! Baby! Sie blätterte ihr Büchlein auf der Suche nach meinem schönen tschechischen Satz durch: „Ich möchte mit dir Sex haben!“ Die Nacht explodierte zum Tag im Paradies! Endlich! Manon fand die Seite und trug langsam auf Tschechisch vor:
„Do-bro-u noc!“ (Gute Nacht!)
„He?“
Zu meinem verdutzten Gesicht sagte sie: „Da staunst du, was? Das hat mir eine tschechische Freundin hingeschrieben!“ Scheiße! Und jetzt wird sie ihrer tschechischen Freundin meinen schönen Sex-Satz vorlesen, was? Manon hockte sich ins Taxi. Ach, was soll’s! Im Leben musst du ja lernen, nicht alle Hürden überwinden zu wollen, oder? Die Taxitür flog wieder auf. „Warte!“, rief sie. Sie kam zu mir und verpasste mir einen Zungenkuss!.. Na, ja… ein Zungenkuss war’s grade nicht, eher ein Küsschen auf die Backe, aber es fühlte sich auf jeden Fall sehr heiß an. „Bis zum nächsten Mal!“, sagte Manon und stieg wieder ins Auto. Das Taxi, zum Bersten mit Poesie geladen, fuhr davon. Irgendwie war’s vielleicht doch an der Zeit, taoistische Entliebungstechniken zu praktizieren. Wenn du das Leben zur Poesie machst und die Poesie zum Leben, kann dich die Poesie ja auch umbringen. Ich holte aus der Tasche meinen Kompass heraus und versuchte, mich durchs nächtliche München Richtung Südost durchzuschlagen. Nach Neuperlach, in das Tal, in dem Hoffnungen blühen wie der Wahnsinn eines Traumtänzers, der sich mit einem Lächeln im Gesicht zum Tode tanzt. Als ich an der Isar angelangt war, hat mir Manon einen Textfetzen aus „Proud Mary“ gesimst:
Big wheel keep on turning
Proud Mary keeps on burning
Rolling, rolling, rolling on a river.
So kann sich nur Manon verabschieden, die kleine Telepathin: Rolling on a river! Bis zum nächsten Mal also!
4. January 2010Stichwörter:
Altpapiergeschichten, Blume, Jaromir Konecny, Liebe, Schriftsteller, Tom Waits, Tscheche1 Kommentar
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Bücherlei Weblog » Blog Archive » #327 schrieb am April 13, 2010:
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