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Ausgang auf Afrikanisch

von konecny

Bimbo lernte ich vor 24 Jahren in einem Flüchtlingslager bei Vilsbiburg kennen. Jeder ist auf etwas stolz. Der schwarze Afrikaner Bimbo war Philosoph und somit stolz auf seinen Spitznamen. Dazu zitierte er immer gern Lao Tse: „Wer seine Glorie kennt und dennoch in Schande weilt, der ist das Vorbild der Welt.“
Wir hatten in Bayern politisches Asyl beantragt, und der bayerische Staat steckte uns in ein heruntergekommenes Kloster in einem winzigen niederbayerischen Dorf, damit wir dort Sozialmissbrauch betreiben konnten. Ohne Pass und Arbeitserlaubnis lagen wir Schmarotzer auf der faulen Haut und warteten auf die 50 Mark, die wir jeweils am Monatsanfang bekamen. Zwischen diesen Geldtagen träumten Bimbo und ich vom wilden Nachtleben in der Stadt. Deswegen waren nach Deutschland gekommen. Um das „Saturday Night Fever“ im Westen zu genießen! Leider durften wir nicht hin! Wenn uns die Polizei außerhalb des Lagereinzugsgebietes erwischt hätte, wäre es vorbei gewesen mit dem Asyl. Zwar war Bimbo im Dunkeln schwer auszumachen, doch in Bayern gibt’s keine dunklen Ecken mehr. Einmal hatte Gott gesagt, „es werde Licht!“, und seitdem scheint und strahlt und glänzt und gleißt und blinkt und blitzt hier alles. In Bayern kannst du dich als Schwarzer nirgendwo verstecken, in Bayern bist du als Schwarzer eine weiße Krähe, verdammt! Bayern leuchtet!

„Mann!“, hatte Bimbo damals gesagt. „Wenn wir aus Lager raus kommen, tanze ich drei Nächte lang in einem Club wie John Travolta.“
„Ja, Mensch!“, sagte ich. „Nur einmal so richtig ausgehen! Die Sau rauslassen! Das wäre was Feines!“
Ein Jahr später konnten Bimbo und ich uns mit frischen Asylantenpässen endlich auf den Weg in die Großstadt machen – nach Nürnberg! Aufenthaltserlaubnis unbefristet. Wir suchten uns in Nürnberg jeder eine Bleibe, putzten die Zähne und hurra in die Stadt!
„So geht’s nicht!“, sagte uns der Türsteher vor der ersten Disco.
„Wie?.. So?“
„Na, so… angezogen!“
„Und wie soll’n wir uns anziehen?“
„Etwas heller!“
„Du kannst rein!“, sagte der Rausschmeißer vor dem zweiten Laden zu mir, „aber dein schwarzer Kollege nicht.“
„Ich bin auch nicht ganz sauber!“, sagte ich. „Ich bin Tscheche!“
Der Typ an der dritten Discotür war Schwabe und ging gleich zur Sache: „So schwarz kommscht du mir nicht rein!“, sagte er.
„Isch bin Michael Jackson!“, sagte Bimbo. Wir kauften uns an der Tankstelle ein paar Jever und schauten uns bei meinem Bekannten in der Glotze die Oben-Ohne-Show „Tuti Fruti an“. „Super!“, sagte Bimbo. „Wie bei uns im Busch!“ In den folgenden Tagen ging er mir irgendwie verloren.

*

22 Jahre später wartete ich in Neuperlach-Zentrum auf die U-Bahn und guckte meinem vierjährigen Sohn Tom zu, wie er die Aufzugstür auf Trab hielt. Sie ging auf, wenn er heran lief, und zu, wenn er zurückflitzte. Auf und zu! Plötzlich zog eine ältere Dame Tom vom Aufzug weg. „Das ist zu gefährlich!“, sagte sie und fügte mit einem bösen Blick auf mich hinzu: „Wenn dein Opa nichts tut, muss ich mich um dich kümmern!“
„Ich bin sein Papa!“, sagte ich. Mein Akzent klärte die Lage sofort.
„Sie türkisch?“, fragte die Dame.
„Nö!“, sagte ich. „Tschechisch!“
„Und in Deutschland gut, oder?“ fragte sie.
„Super!“, sagte ich. „Bin hier schon seit 24 Jahren!“
Das beeindruckte die Dame dann doch so, dass sie anfing, mit mir deutsch zu sprechen. „Bei uns ist für alle gesorgt!“, sagte sie. „Jeder bekommt in Deutschland Sozialhilfe…“
„Ich lebe von meiner Frau!“, sagte ich. „Sie kommt aus Niederbayern. Dort gibt’s wahnsinnig viel Geld! Die schwemmen Gold aus der Donau…“
Endlich hörten wir aus dem Tunnel das dumpfe Dröhnen des Zuges. Die U-Bahn-Mäuse jagten in Panik davon. Kalte Luft fegte uns um die Ohren. Die U-5 tauchte auf. Wir stiegen ein, und… was für eine Überraschung! Auf dem Vierersitz hockte ein Schwarzer mit Glatze. „Ja, servus Bimbo!“, sagte ich.
„Sie Rassist!“, sagte die Frau und trottete tiefer in den Waggon.
„Servus, Tscheche!“, sagte Bimbo.
„Bist du echt Bimbo?“, fragte Tom.
„Jawohl!“, sagte er. „Ich bin echter Bimbo!“
„Wo warst du die ganze Zeit, Mensch?“, fragte ich.
„In Frankreich und Afrika“, sagte Bimbo. „Zuerst war mein Papa in Afrika Terrorist. Das war damals – als ich in Deutschland politisches Asyl beantragt hatte. Kurz nachdem wir nach Nürnberg gekommen waren, wurde mein Papa aber in Afrika Minister! Mann! Ich wurde in einem Mercedes nach Frankreich gefahren. Habe dort studiert. Nach meinem Doktor fuhr ich nach Afrika zurück, aber dann ist Papa wieder Terrorist geworden, und ich musste wieder nach Deutschland – nach Köln. Jetzt ist Papa aber Innenminister und ich ein großer Professor. Man hat mich für drei Monate nach Deutschland eingeladen. Halte hier Vorträge.“
„Bist du schon lange in München?“
„Letzte Woche bin ich her gekommen.“
„Boah!“, sagte ich. „Professor?“
„Ja, Mann!“, sagte Bimbo. „Ich bin Professor und mein Papa Innenminister. Und du und ich gehen jetzt richtig aus. Uns die Schuhe abzutanzen. Die Sau rauslassen! In einer Disco!“
„Papa darf nicht in die Disco!“, sagte mein kleiner Sohn.
„Warum darf dein Papa nicht in die Disco?“, fragte Bimbo.
„Er ist dann besoffen“, sagte Tom.
„Was redest du da, verdammt?“, sagte ich. „Hast du mich schon besoffen gesehen?“
„Neee!“, sagte Tom. „Mama hat dich gesehen!“
„Aha!“, sagte ich.
„Dann gehen wir in den Zirkus!“, sagte Bimbo. „Afrika! Afrika!-Zirkus. Ich habe zwei Freikarten bekommen! Nach der Show sehen wir weiter.“
Wahnsinn! Vielleicht würde’s nach zweiundzwanzig Jahren doch klappen, und Bimbo und ich könnten so richtig ausgehen!
Am darauf folgenden Freitag kam ich zu unserem Treff im Neuperlach-Zentrum zu spät. Tom hatte sich im Knotenbinden geübt – leider an allen meinen Schuhen. Bimbo stand bereits auf dem U-Bahnsteig. Ich klopfte ihm von hinten auf die Schulter: „Kontrolle!“, sagte ich.
Bimbo fing an, in seinen Taschen zu wühlen. „Mann!“, sagte er. „Ich habe meinen Passport in der Wohnung vergessen!“
„Ich wurde in den letzten 20 Jahren in Deutschland nur einmal im Auto kontrolliert“, sagte ich.
„Du bist weiße Schokolade!“, sagte Bimbo und rannte los, um seinen Pass zu holen.
Gleich am Ostbahnhof gab’s eine dritte Verzögerung. Nachdem wir aus der U-5 gestiegen waren. Verzögerung im Doppelpack – Mann und Frau.
„Er ist ein Professor!“, sagte ich zu der Streife.
„Sieht man ihm gar nicht an!“, sagte der Polizist.
„Können Sie nicht schneller machen?“, fragte ich. „Im Zirkus läuft schon die zweite Hälfte an.“
„Wir gehen nicht in den Zirkus!“, sagte die Polizistin.
Nach der Kontrolle fuhren wir mit der Rolltreppe ins Zwischengeschoss. Am Aufzug erwischten uns zwei andere – diesmal Männer. Penibel blätterten sie Bimbos Papiere durch und nahmen jeden seiner Stempel unter die Lupe.
„Sein Vater ist Innenminister!“, sagte ich. „So wie Beckstein hier. Nur etwas größer!“
„Manchmal ist Papa aber auch Terrorist!“, sagte Bimbo und lachte.
Zum Glück hörten uns die Polizisten gar nicht zu. „Das gibt’s doch nicht!“, sagte der eine zu dem anderen, während er in Bimbos Papiere starrte. „Der Schwarze ist Professor!“
„Du… du kannst Englisch?“, fragte ihn beeindruckt sein Kollege.
„Jetzt kann nichts mehr passieren!“, sagte ich zu Bimbo, als wir weiter latschten. „Mehr als zwei Streifen gibt’s hier am Ostbahnhof sicher nicht.“ Doch oben bei den Taxen schickten sich der Polizist und die Polizistin vom Bahnsteig wieder an, Bimbo in die Parade zu nehmen.
„Sie haben uns schon kontrolliert!“, sagte ich zu ihnen. „Unten auf dem Bahnsteig!“
„Stimmt!“, sagte die Frau mit einem Blick auf mich.
„Man kann die Schwarzen ja nicht auseinander halten!“, sagte ihr Kollege.
„Euch auch nicht!“, dachte ich mir.
„Ausgehen ist in Deutschland echt anstrengend!“, sagte Bimbo beim Weiterlatschen. Im Zirkus tauchten wir auf, als die schwarzen Akrobaten, Tänzer und Jongleure, Frauen und Männer, in die Manege hinaus schwärmten, um sich beim Publikum zu bedanken. Muss echt ein hübscher Zirkus gewesen sein, so wie das Publikum tobte. „Schau! Kontrolle!“, sagte Bimbo und zeigte auf drei Polizisten, die unweit von uns enthusiastisch die Afrikaner beklatschten.
Draußen vor dem Zelt läutete Bimbos Handy! „Scheiße!“, sagte er nach dem Gespräch. „Probleme! Muss nach Afrika fliegen!“
„Gib mir Bescheid, wenn dein Vater in Afrika wieder bei den Partisanen ist und du nach Deutschland musst!“, sagte ich. „Dann lassen wir die Sau echt raus.“
„Wenn hier irgendwann das Licht ausgeht“, sagte Bimbo und haute ab. Ich ging heim. Seitdem erzähle ich meinen Söhnen Geschichten über den afrikanischen Zirkus. Und über den bayerischen.

31. May 2010

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