Erzählt es euren Kindern
von bardola
In Schweden war das Jugendbuch Erzählt es euren Kindern – Der Holocaust in Europa (ab 12 Jahre) das auflagenstärkste der gesamten 1990er-Jahre. Verfasst haben es der schwedische Historiker Stéphane Bruchfeld und sein lange schon in Stockholm lebender amerikanischer Kollege Paul Levine – im Auftrag der Schwedischen Regierung. Ein solche Initiative wäre auch in Deutschland fällig; die Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander äußert sich besorgt darüber, dass in den letzten Jahren immer weniger Bücher zum Thema Holocaust erscheinen. Aber dass eine deutsche Regierung Experten beauftragt, ein historisch wichtiges Jugendbuch zu schreiben, ist bislang leider undenkbar.
Erzählt es euren Kindern – Der Holocaust in Europa wurde schwedischen Erziehern umsonst angeboten, um ihnen die Möglichkeit zu geben, mit den Kindern über die schlimmsten Verbrechen aller Zeiten zu sprechen. Zudem wurde das Buch in Schweden in sieben Sprachen übersetzt, damit auch die dort lebenden Ausländer es lesen können. Anschließend ist der Titel auch in England, Frankreich, Italien und in Russland erschienen. In Deutschland wurde er 2001 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Ein Schüler, der in der Jury saß, stellte fest: „Das Besondere an diesem Buch ist auch, dass man nicht gesagt bekommt, dass es falsch ist, sondern dass man es selber merkt.”
Jeder sei müde von der Opferzahl sechs Millionen, sagen Bruchfeld und Levine. Sie konzentrieren sich daher auf Individualschicksale von Juden, Sinti und Roma, Behinderte, osteuropäische Bürger, sowjetische Kriegsgefangene, Homosexuelle und Zeugen Jehovas. Dabei sind ihre Erwartungen realistisch: „Dokumente und Bilder können nur zeigen, was war und wie es erlebt wurde. Erklären können sie nichts. (…) Aber nur wer weiß, was möglich ist, wird daran arbeiten, dass es sich nicht wiederholt.”

Stéphane Bruchfeld und
Paul Levine
Das Buch wurde in Schulen unzählige Male mit Erfolg gelesen. Es konzentriert sich fast aus- schließlich auf den Holocaust und berichtet genau und eindrücklich von den Massentötun- gen durch die Nationalsozialisten. Gleichzeitig stellt es einen Bezug her zu den Schicksalen von Einzelnen, meist Kindern.
Die Autoren erklären Hintergründe, werten und kommentieren aber fast nie. Der Bericht wird unterbrochen von Grafiken und Zeit- tafeln, von Fotos und Gedichten, von Tage- buchaufzeichnungen und Erinnerungen von Opfern, aber auch von Äußerungen der Täter. Rassenwahn, Antisemi- tismus und systematischer, industrialisierter Massenmord sind hier keine starren Begriffe, sondern münden in Geschichten. Das Buch ist dadurch weit mehr als eine schonungslose Dokumentation des Völkermords der Nazis. Es dient als Ausgangspunkt für Gespräche.
Die Dokumentation ist in ihrer Knappheit beeindruckend und schreckt immer wieder auf, auch durch Zitate, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen: „Diese Verbrechen haben wegen der schockierenden Anzahl ihrer Opfer kein Gegenstück. Was sie noch schockierender macht, ist die große Zahl von Menschen, die sich zusammentaten, um sie zu begehen, sie entwickelten einen Wettbewerb in Grausamkeit und Verbrechen”, schrieb beispielsweise Robert H. Jackson, der amerikanische Hauptankläger beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess.
Erzählt es euren Kindern – Der Holocaust in Europa
(2000, cbt-Verlag)