Der geheimnisvolle Unbekannte
von ZVABEs gibt Autorennamen – zum Teil sogar sehr berühmte –, die wir jahrelang mit uns herumtragen, ohne jemals ein Buch von ihnen in die Hand genommen zu haben. Jedes Mal denken wir uns: „Das muss man doch gelesen haben!“ oder „Morgen kaufe ich mir endlich ein Buch von …!“. Und so geht die Zeit dahin…
Wir lassen uns beispielsweise eine gesamte Kindheit lang von scheinbar übermächtigen Namen wie Goethe, Schiller, Shakespeare und Dostojewski beeindrucken, bis wir endlich (oder auch nicht) im Unterricht in den Genuss (oder auch nicht) der vermeintlichen Pflichtlektüre kommen. Danach ist der Zauber vorbei und der Name entmystifiziert. So lüften wir in unserem Leben mit den Büchern ein Geheimnis nach dem anderen, und nicht selten müssen wir dabei eine Enttäuschung einstecken.
In meinen Studienzeiten kam ich auf dem Weg zur Universität regelmäßig an einem Buchladen vorbei, der den Namen „Bookowski“ trug. Kurz darauf stieß ich auf den Namen Charles Bukowski. Und er ließ mich nicht mehr los. Aber anstatt in den genannten Buchladen zu gehen und ein Buch vom genannten Autor zu kaufen, blieb Charles Bukowski für mich noch lange Zeit ein Rätsel.
Vielleicht ein russischer Autor, ein Zeitgenosse Dostojewskis? Oder ein französischer Symbolist? Romanautor des 20. Jahrhunderts oder selbstmordgefährdeter Dichter des Fin de siècle?
Zu meinem ersten Bukowski-Buch bin ich dann per Zufall gekommen. In Form eines Geschenks. Und eine bessere Überraschung hätte es nach all den Jahren der Ungewissheit nicht geben können. Alle Erwartungen, die ich gegenüber dem „großen“ Bukowski gehegt hatte, wurden niedergeschmettert, in Grund und Boden geflucht, verhöhnt und verlacht – und haushoch übertroffen! Was für ein Riesenspaß!
Vor meinen Augen erschien etwas und nahm Gestalt an. [… ] Gigantisch. Strahlend. Schön. Nie hatte es einen gegeben, der so groß war, so real, so prachtvoll.
Ebenso beeindruckend wie dem Erzähler in Pulp die Begegnung mit dem mysteriösen Red Sparrow erscheint, verlief meine erste “Begegnung” mit Bukowski.
Ich las ein, zwei, und immer mehr Bücher von dem großen Meister. Und bin nach wie vor ein großer Fan.
Nur manchmal – und ganz heimlich – denke ich sehnsüchtig an die Zeit zurück, als Charles Bukowski noch ein geheimnisvoller Unbekannter für mich war.
27. April 2012