Der Erfinder von nichts: John Cage (Teil 3)
von zvabEin biografisches Portrait in drei Teilen.
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Eine bedeutsame Entdeckung machte John Cage Ende der 1940er-Jahre. An der Harvard University ließ er sich in einen schalltoten Raum einschließen, um die vollkommene Stille kennenzulernen. Erstaunt stellte er fest, dass er statt vollkommener Geräuschfreiheit einen hohen Ton und ein tiefes Brummen vorfand – sein Nervensystem und seine Blutzirkulation. Cage definierte die Stille daher neu als Abwesenheit absichtlich produzierter Geräusche und teilte diese Erkenntnis seinem Publikum 1952 in einer seiner vielleicht berühmtesten Komposition mit: 4‘33‘‘, einem Stück für beliebige Instrumente. Das besondere an 4‘33‘‘ ist, dass die Instrumente die ganze Aufführungsdauer über schweigen. Die Musik besteht aus den unbeabsichtigt erzeugten, also rein zufälligen Geräuschen im Auditorium.
Die Stille bot Cage eine einfache, aber sehr beschränkte Möglichkeit, ein intentionsloses Klangerlebnis zu erzeugen. Das war ein wichtiger Schritt, um mit der Idee einer kommunizierenden Kunst zu brechen, mit der er sich nie hatte anfreunden können. Doch Cage wollte weiter gehen, wollte auch mit Absicht erzeugte Töne in einen Zusammenhang der Absichtslosigkeit stellen. Dafür benötigte er ein System, mit dessen Hilfe er nach dem Zufallsprinzip über Fragen kompositorischer Natur entscheiden konnte. Dieses System fand er im I Ging. Mit Hilfe des dort beschriebenen Münzorakels konnte Cage komponieren, ohne seiner Komposition Bedeutung beizumengen; er konnte etwas machen, das nichts war. Was er damit bezweckte, wird in seinem Vortrag über Etwas deutlich:
Wenn Kunst von innen kommt, was sie so lange tat, wurde sie ein Ding, das den Mann, der es schuf zu erheben schien über jene, die es betrachteten oder hörten (…). Aber da sich alles verändert, geht die Kunst jetzt nach innen und es ist höchst wichtig, kein Ding zu erzeugen, sondern im Gegenteil ein nichts. Und wie tut man das? Man macht etwas, das dann nach innen geht und uns an nichts erinnert. Es ist wichtig, daß dieses Etwas bloß etwas ist, begrenzt etwas; dann geht es sehr einfach nach innen und wird unbegrenzt nichts.
Dieser Vortrag ist in einem kleinen Band mit dem Titel Silence veröffentlicht worden, den der großartige Ernst Jandl ins Deutsche übersetzt hat. Silence ist im Querformat gedruckt, damit die rhythmische Struktur der Vorträge auch für den Leser nachvollziehbar ist.
1951 ist mit Music of Changes (das die Referenz ans I Ging noch im Titel trägt) das erste nach dem Zufallsprinzip komponierte Werk entstanden. Bis zu seinem Tod im Jahr 1992 hat Cage viele weitere folgen lassen, deren Geschichte es wert wäre, erzählt zu werden. Doch John Cage wird in seinem Jubiläumsjahr als Revolutionär der Künste gefeiert, der nicht nur die Welt der Musik auf den Kopf gestellt, sondern transmedial und in diversen künstlerischen Disziplinen gearbeitet hat. Er hat nicht nur komponiert, sondern auch gemalt, gestaltet und geschrieben; auf ihn ging sogar das erste sogenannte Happening zurück. Und deshalb soll dieser Text mit dem Hinweis auf ein nicht-musikalisches Werk Cages schließen, das selbst im bunten Sammelsurium seiner erstaunlichen Kunstwerke noch zu überraschen vermag: das Mud Book, ein liebevoll gestaltetes Kinderbuch über Sandkuchen – „to look at, not to eat“.
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von Juliane Schmidt-Wellenburg
Zu den Noten von John Cage im ZVAB
6. September 2012