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Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher

Alle Artikel von

Karin, das Beutetier und das Wesen des Kapitalismus

“Kannst du mir lange Unterhosen kaufen?”, fragte ich Karin im Winter.
“Kauf sie dir doch selbst!”, sagte Karin. Verdammt! Wenn deine Frau keine langen Unterhosen mehr für dich kaufen will, hat sie den letzten Rest Achtung vor dir verloren. Nach Jahren der Behäbigkeit musste ich mich wieder in den Dschungel des Unterhosenkleinhandels stürzen. Das wollte ich schon immer vermeiden. Und jetzt mit fünfzig erst recht. Lange Unterhosen tragen doch nur Rentner! Wenn du dir solche Opa-Unterwäsche kaufen willst, grinsen die jungen Verkäuferinnen nur. Zum Glück war die Anschaffung langer Unterhosen von meiner Mutter an Karin übergegangen. Die zehn Jahre zwischen Mutter und Karin hab ich nur gesoffen, da war mir warm genug. Doch jetzt wollte Karin anscheinend wieder mal meine Fähigkeiten und somit unsere Ehe testen.
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Die Fischwaid oder mein zweites sexuelles Abenteuer

Die Frau saß mit übereinander geschlagenen Beinen in ihrem Sessel. Ihr grauer Rock etwas hinauf gerutscht, die nackten Knie… Das Buch auf ihrem Oberschenkel. Den Fußknöchel schmückte eine kleine Narbe. Mit dem nackten Fuß wippte sie in der Luft leicht im Rhythmus ihres Vortrags. Sie konnte wirklich sehr schnell ins Tschechische übersetzen. Der Rhythmus ihrer Lesung verlangsamte sich stetig, bis er ganz abbrach. Die Frau blickte schweigend ins Buch, hob den Kopf, starrte Tom und mich an. Wir starrten zurück. „Und nun frischauf zur fröhlichen Fischwaid!“, sagte sie plötzlich auf Deutsch. Wir folgten ihr in das Zimmer, wo auf uns das Bild ihres Mannes über der roten Rose wartete. Ja, so war’s: „Und nun frischauf zur fröhlichen Fischwaid!“ Diesen deutschen Satz vergesse ich wohl nie! (Weiterlesen …)

Das weibliche Gehirn, Karin und die Sittengeschichte

Die Gehirnforschung hat entdeckt, dass Karin und ich ganz anders strukturierte Gehirne haben: Ich denke, also bin ich anders! Als Karin meine ich. Daher kommen wohl die ganzen Probleme zwischen uns! Sollte ich ihr besser nicht vorspielen, dass ich so denke wie sie? Wenn ich denke, wie ich denke – also wie ein Mann – ist sie auf mich sauer!

„Warum machst du wieder so ’ne betrübte Miene, he?“, fragte ich früher öfter Karin, wenn sie von der Arbeit kam. Die Frage machte sie komischerweise noch betrübter.

„Lass mich!“, sagte sie. „Bin halt etwas gestresst!“

„Jogg doch ein bisschen, Schnucki!“, sagte ich sofort. „Dann geht’s dir gleich besser!“

Klar flippte sie aus. „Ich will keine blöden Tipps hören!“, kreischte sie. „Kannst du manchmal nicht einfach nur zuhören, verdammt?“

Hä? Nur zuhören! Wenn so viele heiße Lösungsvorschläge für ihre Probleme deine Zunge grillen? Doch wenn der Mann keine Krapfen mehr bekommt, ist das Mannsein einfach tragisch. „Was erwartest du von deinem Mann“, fragte ich eine Freundin, „wenn du traurig, müde oder gestresst bist?“

„Er soll mich an der Hand und das Maul halten!“, sagte sie.

„Ja, willst du gar nicht deine Probleme lösen?“, fragte ich.

„Jedes komplexe Problem hat eine einfache Lösung, und die ist falsch!“, sagte sie frei nach Umberto Eco.
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Die Buchbalz – eine Weihnachtsgeschichte

Schon mit vier war ich ein Dauergast in der Bibliothek – in der Bücherei unseres nordmährischen Städtchens. Während meine Mutter und die junge Bibliothekarin hinter einem Bücherregal türkischen Kaffee schlürften, spielte ich auf den knarrenden Holzdielen. So hatten mich die Frauen ständig unter Kontrolle und konnten gemütlich über die neuen Krimis palavern – Mord und Totschlag – oder auch über meine Erziehung – damit mir selbst der Galgen erspart bliebe! Klar zogen mich die Bücherregale magisch an. Durch die Lücke zwischen den Büchern konnte ich die nackten Beine der Bibliothekarin beglotzen – Buch- und Beinblick – als mochten mir die langen Frauenbeine aus den grauen sozialistischen Röcken ragend den Weg in die Zukunft weisen! Doch ich wollte noch nicht in die Zukunft blicken, ich wollte hinauf zu den Sternen fliegen, nach oben ins Regal, zu diesem wunderschönen Buchdeckel, von wo mich vor dem Hintergrund eines Nachthimmels ein schreckliches Alien anstarrte. Immer wenn ich aber ganz oben war, kurz vor dem Ziel, und meine Hand nach dem grandiosen Buch streckte, sprang die Bibliothekarin von ihrem Stuhl auf, lief auf ihren langen Beinen um die Regale herum, mächtige Hände schnappten mich und zerrten mich wieder nach unten. „Das ist ein Buch für Erwachsene, Kleiner!“, sagte sie. So wurde für mich jede Frau mit Buch zu einer „höheren Gewalt“, die dich immer wieder von deiner Wanderung zu den Sternen runter holen und ganz klein machen kann. Übergöttinen!
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Meine erste Antiquariatsmesse

Ich vergesse nie die Panik in den Augen meines Antiquariatspartners Christof, immer wenn ich nach der Gründung unseres Abeceda-Antiquariats vom Flohmarkt in unseren Laden zurückkehrte. Breit grinsend und mit vollen Plastiktüten in den Händen. Glücklich breitete ich den eingekauften Antiquaritsmüll vor Christof aus, die zwar alten, doch unverkäuflichen und halb zerfledderten Kunst- und Prachtbände, die unvollständigen Klassikerwerkausgaben, die jeden Flohmarkt schmücken, und sagte stolz: „Tausend Mark haben die Schätze gekostet.“

„Hau das in die Wühlkisten!“ sagte Christof und seufzte. „Wir sollten uns für eine Antiquariatsmesse anmelden! Dort können wir etwas über wirklich wertvolle alte Bücher lernen.“
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Gute Geschichten

Ein Buch enthält eine Geschichte. Mindestens eine. Sogar ein Sachbuch. Doch ein antiquarisches Buch ist außerdem der Held seines eigenen Abenteuers. So muss ein guter Antiquar auch ein guter Geschichtenerzähler sein. Je besser die Geschichte, desto besser lässt sich das Buch verkaufen. Natürlich machen gute Geschichten auch dem Antiquar viel mehr Spaß.

Eine verregnete Nacht im Herbst vergesse ich nie. Vor einigen Monaten hatten Christof Größl und ich das Abeceda-Antiquariat gegründet. Jetzt hockten wir in einer Raststätte an der Autobahn und versuchten, uns mit Kaffee die Nacht aus den Köpfen zu schlagen. Vor uns auf dem Tisch einige Zettel, ein Pfandschein und ein handschriftlich geschriebenes Büchlein: Originalschriften des Dichters J. G. Seume. Mit Seumes Gedichten darin. „Mann!“ sagte ich. „Und wenn das eine echte Handschrift von Seume ist?“ „Der Einband ist höchstens 100 Jahre alt!“ sagte Christof. „Und auch die Schrift entstand wohl später als zu Seumes Lebzeiten.“ Seume starb im Jahre 1810. Was sollte dann aber der dem Band beigelegte Pfandschein vom 19.12.1922? Hier hatte ein Wirt des Gasthofs Zum Weißen Ross in Knautkleeberg bei Leipzig unterschrieben, dass er „zwanzigtausend Mark Pfand für einen Band Seumegedichte“ erhalten habe. Unser Buch! Dabei lag ein gedrucktes Programm der Seume-Gedenkfeier am 13. Juni 1910 im Gasthof Zum Weißen Ross in Knautkleeberg – an Seumes hundertsten Todestag also – und ein gedrucktes Portrait Seumes.
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Auf der sexistischen Achterbahn – zu Henry Millers Wendekreis des Krebses

Ich wohne in der Villa Borghese. Hier ist nirgendwo eine Spur von Schmutz; kein Stuhl, der nicht an seinem Platz steht. Wir sind hier ganz allein und wie Tote.

So schaurig dicht beginnt Henry Miller seinen Wendekreis des Krebses. Schon die ersten zwei Sätze eine ganze Geschichte. Ein Roman wie ein Bild von Picasso! Eher surrealistisch als kubistisch, doch mit allen Ecken und Kanten des Lebens. Ein freier Mann zeigt uns furchtlos seine – unsere – Dämonen. Das ganze evolutionäre Erbe eines Mannes vollendet als Literatur! Das Buch ist so gut, dass man es nach seinem Erscheinen im Jahr 1934 in Henry Millers Heimat, USA auch sofort verbieten musste. Obwohl George Bush Junior damals nicht mal als ein Spermium vorhanden war.
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Esskultur

„Wir saßen auf den strohgeflochtenen Stühlen im Esszimmer eines der köstlichen alten Landhäuser in der Umgebung von Paris.“

Gleich der erste Satz von Brechts Kurzgeschichte Esskultur machte mich glücklich. Boah! Jedes Dingwort so groß wie seine Information, jedes Wort in Reih und Glied. Wie Wortsoldaten! Vom Größten zum Kleinsten: Stühle, Esszimmer, Landhaus, Umgebung von Paris. Und ich hockte in der Umgebung von München! Genau gesagt in der S-Bahn! Nach einem Jahr Flüchtlingslager hatte man mich – den Tschechen – endlich unter die Deutschen gelassen..

Die S-Bahn rüttelte etwas. Schnell legte ich meine Hand auf den Topfdeckel neben mir. Immer wenn der Deckel hoch hüpfte, entwich aus dem Gulaschtopf eine dicke Knoblauchfahne. Die Nüstern der Fahrgäste blähten sich auf, ihre Nasenflügel flatterten auf der Suche nach der Duft-Quelle. Da! Sie sogen den Knoblauchduft tief ein und erschauerten vor Wonne. Danke Dir, Gott! Die Deutschen mögen Knoblauch!
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Bücher für die „Blöden“

Alles Schlechte hat seine gute Seite. Der Sozialismus zum Beispiel hat uns hemmungslos „sozial“ gemacht. Im Sozialismus musstest du eine Menge Leute kennen: Den Metzger – sonst gab’s am Abend nur grüne Wurst. Der Gemüsehändler war dein Freund, weil sogar Zwiebeln hin und wieder zu „Engprofil“-Waren zählten. Ein Kumpel in der Autowerkstatt machte sich gut, jemand bei der Polizei, diverse Handwerker musstest du kennen, den Buchhändler… ja, Wahnsinn! Was für eine super Bekanntschaft damals im Sozialismus ein Buchhändler war! Als Anfang der Achtziger zum Beispiel auf Tschechisch On the Road von Kerouac erschien! Während sich die anderen Kunden in der Schlange vor der Buchhandlung gegenseitig die Schienbeine blutig traten, hat dein Kerouac auf dich schon unter der Theke gewartet. Ohne Vetternwirtschaft lief im „real existierenden“ Sozialismus nun mal gar nichts. Nur die Schopenhauer-Jünger beschritten den Weg der Askese, lasen nicht, ernährten sich so, wie’s der Fünf-Jahres-Plan gerade erlaubte und soffen allein vor sich hin. Bier gab’s im Sozialismus genug, leider im Sommer zu warm und recht trüb – die Bierpipeline war noch vor dem Krieg gebaut worden und somit veraltet und dreckig. Trotzdem wurde der Hahn nicht zugedreht. Bier musste sein. Damit uns Übrigen das Lesen allein nicht zu öde wurde und wir selbst nicht auf blöde Gedanken kamen. An Revolutionen und so.
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Der Schatz im Altvatergebirge

Walter Serner: Letzten Lockerung

Wenn es einen Beruf gibt, den man macht, weil man in Bücher verknallt ist, dann ist es der des Antiquars. Welcher normale Mensch sonst würde sich freiwillig heftigen Attacken von Schimmel und Staub aussetzen, während er auf einem Dachboden einen Altpapierhaufen durchwühlt? Deine Augen tränen, du hustest und schnappst nach Atem. „Nie wieder!“, keuchst du, und plötzlich hältst du in der Hand eine vergammelte Erstausgabe der Letzten Lockerung von Walter Serner. Boah! Das morsche Buch stinkt wie die Pest, du kriegst Keuchhusten, wenn du’s nur aufschlägst, jawohl, aber der Umschlag, Mann, der Originalumschlag ist dabei, und so läufst du mit der DADA-Bibel nach Hause und ab in den Kühlschrank damit. Klar, in eine Plastiktüte verpackt. Weil dir gerade vor kurzem ein Antiquars-Kollege erzählt hat, ein paar Wochen Gefrierbox würden den hartnäckigsten Schimmelpilzgeruch vertreiben. Was selbstverständlich Blödsinn ist.
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