Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Blondgelockt in Syrien

Riad Sattouf hat einen syrischen Vater und eine französische Mutter. Seine Kindheit verbrachte der 1978 geborene Zeichner in Libyen und dem Heimatland des Vaters. Jetzt hat er eine Comic-Autobiographie begonnen.

„L’Arabe du futur“ – der künftige Araber. So hat Riad Sattouf seine vor nicht einmal zwei Monaten erschienene Autobiographie genannt, die gerade in Frankreich überraschend die Bestsellerlisten stürmt, wie seit „Persepolis“ von Marjane Satrapi kein Comic mehr (neue Asterix-Bände oder die fulminanten Alben von Jacques Tardi sind keine überraschenden Verkaufserfolge). Über das Ausmaß der Beachtung kann man sich hier einen Eindruck verschaffen: https://www.allary-editions.fr/publication/larabe-du-futur/. An Satrapis Millionen-Auflage wird sich Sattoufs Projekt zwar wohl nicht messen lassen müssen. Aber zeitlich, formal und inhaltlich gibt es einige Gemeinsamkeiten.

Wobei der kleine Riad als Sohn einer Französin und eines Syriers, die sich beim Studium kennengelernt hatten, in Frankreich geboren wurde und dann als Zweijähriger zunächst mit seinen Eltern nach Libyen kam: in ein Land, wo Oberst Muammar al-Gaddafi Anfang der achtziger Jahre auf dem Höhepunkt seiner Popularität stand. Dagegen schildert „Persepolis“ die Erlebnisse der neun Jahre älteren Satrapi nach der Islamischen Revolution in Iran, also zeitlich parallel, aber aus der viel bewussteren Perspektive einer Halbwüchsigen.

Doch gerade die kindliche Naivität Riads ist hinreißend. Als blondgelockter Knabe ist er der Liebling aller Menschen, die in treffen – mit der Ausnahme etlicher Gleichaltriger, die angesichts der engelhaften Wirkung ihres Spiel- oder Streitkameraden vom Neid gepackt werden und sich ziemlich ekelhaft benehmen. Aber nichts kann das Weltvertrauen Riads erschüttern, auch nicht das seltsame Selbstbewusstsein des Vaters, der von den eigenen Fähigkeiten überzeugt ist, aber partout nicht in Frankreich bleiben will.

Dieser Abdel-Rarzak Sattouf könnte von Strizz abgezeichnet sein, sosehr stimmen Erscheinungsbild und Charakter überein. Aber Riad Sattouf, der seit einigen Jahren einer der beliebtesten französischen Zeichner ist, sich auch schon als Filmregisseur bewährt hat, dürfte Volker Reiches „Strizz“ nicht kennen. Und die Ähnlichkeit beider Hauptfiguren ist auch auf die Liebe beider Zeichner zum amerikanisch geprägten Funny-Stil zurückzuführen.

Graphisch verheißt „L’Arabe du futur“ also viel Spaß, und tatsächlich gibt es einiges zu lachen, doch vor allem vermitteln Sattoufs Erinnerungen ein Bild der arabischen Welt vor den ideologischen Radikalisierungen. Gaddafi etwa setzte bei aller Hybris (die im Comic durch Fernsehauftritte schön eingebaut wird) seinerzeit eher auf Verwestlichung denn auf Panarabismus, während das Assad-Regime schon so gefestigt war, dass es sich unpopulärere Entscheidungen erlauben konnte. Dorthin siedelten die Sattoufs nach der Geburt eines weiteren Sohnes 1982 über.

Diesem Aufenthalt in der Heimat von Abdel-Rarzak Sattouf gilt genau die Hälfte des 160 Seiten starken Comics, während Libyen kürzer kommt, weil noch drei französische Episoden erzählt werden. Aber gerade die libyschen Episoden sind besonders interessant, weil hier ein Land erkennbar noch im Umbruch ist, während in Syrien unter der Diktatur Assads politisch schon alles erstarrt ist. Dieser Gegensatz macht aber den Vergleich der Lebensumstände der Sattoufs besonders interessant, denn auch der Vater ist nach jahrelangem Aufenthalt in Frankreich das Leben in seiner eigenen Kultur nicht mehr gewöhnt. Der Stolz aufs arabische Dasein ist erkennbar aufgesetzt, und die Mutter lässt sich nie dafür begeistern.

Riad Sattouf hat für die Unterteilung seines Comics ein simples Farbschema gewählt: Bei französischen Sequenzen gibt es die Zusatzfarbe Blau, bei libyschen Geld, bei syrischen Rosa. Sehr selten kommen weitere Farben hinzu, etwa bei Gaddafis Auftritten das Grün seines „Grünen Buchs“, des politischen Leitfadens für die Libyer, dessen Lächerlichkeit Sattoufs Comic entlarvt, ohne ihn eigens zu veralbern. Überhaupt ist die Stärke dieses Buchs die lapidare Schilderung aus Kindermund, der eine Wahrheit nach der anderen kundtut.

Das hat „L’Arabe du futur“ einem Vorgänger „Persepolis“ voraus, der eine viel reflektiertere Position einnahm, weil Marjane Satrapi zwar graphisch, aber nicht narrativ die Kindersicht wählte. Riad Sattouf dagegen ist großartig in der Konsequenz seines jüngeren Ichs, das kaum ins Staunen kommt, obwohl uns erwachsenen westlichen Lesern immer wieder der Atem stockt angesichts der Fremdartigkeit arabischer Lebensweisen oder Ansichten. Dieser Comic ist kein aufklärendes, sondern ein durch und durch aufgeklärtes Buch.

Denn natürlich ist es eine Scheinnaivität, die hier dargestellt wird. Riad Sattouf hat sehr genau ausgewählt, was von seinen Erinnerungen ins Buch kam: das, was aufs Folgende bereits ein Licht wirft, auf den späteren Niedergang Gaddafis, auf den jetzigen Bürgerkrieg in Syrien. Wenn vom Assad-Clan erzählt wird, dann mit mehr Wissen, als es ein am Schluss des Buches Sechsjähriger besessen haben kann. Aber das schadet nicht.

Zwei weitere Bände sollen nach Riad Sattoufs Vorstellung noch folgen, eine Trilogie wie auch schon bei „Persepolis“. Am Ende des Auftaktbandes geht es noch einmal nach Syrien zurück, wo dem Vater die erhoffte Universitätskarriere verwehrt blieb und er von der eigenen Familie übers Ohr gehauen wurde. Später wird die Familie nach Algerien ziehen, bevor der mittlerweile jugendliche Riad endgültig nach Frankreich zurückkehrte, wo er später eine Blitzkarriere als Comiczeichner hinlegte. Es ist also noch viel Stoff da für „L’Arabe du futur“, obwohl aus dem hübschen Jungen dann doch nie ein Araber, sondern ein Franzose geworden ist.

Der Erfolg dieses Buchs ist ebenso Folge seines schelmenhaften Tons wie des Einblicks in eine uns immer noch fremde Welt. Auf die deutsche Übersetzung wird man nicht lange warten müssen; dem Vernehmen nach hat ein Münchner Literaturverlag für 30.000 Euro die Rechte daran erworben. Das ist ein hübsches Sümmchen, auch für diesen exzellenten Band. Auf die Publikation der deutschen Ausgabe aber darf man sich freuen.