Ruth Cerha – Bora. Eine Geschichte vom Wind

6

 

Auf nichts kann man sich noch verlassen. Noch nicht einmal mehr auf schlechte Buchcover. Früher steckte in trivialer Aufmachung auch meistens ebensolcher Inhalt, heutzutage verstecken sich im seichten Gewand auch schon mal echte literarische Perlen. Bestes Beispiel – Bora von Ruth Cerha, erstklassige Literatur in trivialer Aufmachung.

Bildschirmfoto 2015-07-13 um 20.22.19

Ich muss das jetzt erstmal loswerden, bevor ich diesen wunderbaren Roman gebührend lobe. Denn ich frage mich, warum macht der Verlag das? So ein Cover für so ein Buch? Weil es sich besser verkauft? Literarisches Downshifting für den größeren Umsatz? Bei mir hätte diese Strategie jedenfalls ihr Ziel verfehlt. Denn unter gar keinen Umständen hätte ich ein Buch mit diesem Cover jemals in die Hand genommen, wenn es nicht von der Frankfurter Verlagsanstalt wäre. Natürlich ist Covergestaltung immer auch Geschmackssache – aber Typo, Grafik und Farbigkeit zielen bei diesem Werk ganz klar auf seichte Unterhaltungsliteratur. Und nicht nur das – auch der Untertitel geht in meinen Augen gar nicht. Seit M.M. Kayes „Palast der Winde“ und Zafons großem Barcelona-Bestseller verbietet es sich für anspruchsvolle Belletristik, den Begriff „Wind“ im Titel zu führen.

Egal – das sind alles zwar wichtige Punkte, aber dennoch nur Äußerlichkeiten. Kommen wir zum Wesentlichen, dem Inhalt. Und hier punktet Ruth Cerha auf ganzer Linie. Bora ist keine Geschichte vom Wind, sondern eine der besten Liebesgeschichten, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Das kann zwar rein thematisch auch trivial sein, ist es aber nicht. Denn jede Liebe steht und fällt mit ihren Protagonisten. Und die sind in Ruth Cerhas Roman wunderbar tiefgründig, vielschichtig, authentisch und sympathisch. Es kommt nicht oft vor, aber manchmal begegnen mir beim Lesen Figuren, die mir in nahezu allen Punkten sympathisch sind. Menschen, mit denen ich gerne befreundet wäre. Mara und Andrej, das Liebespaar aus Bora, sind solche Menschen.

Mara kommt aus Österreich, ist Ende Dreißig und Schriftstellerin. Seit Jahren schon verbringt sie Ihre Sommer auf einer kleinen kroatischen Adriainsel. Andrej ist US-Amerikaner mit kroatischen Wurzeln, Fotograf, mal hier und mal da auf der Welt beschäftigt und immer mal wieder auch auf besagter Insel. Die beiden sind wie für einander gemacht. Ich bin ja kein großer Romantiker, aber hier habe ich mir zum ersten Mal ein richtiges Happy End gewünscht. Ich wollte, dass das klappt mit den beiden. Weil sie mir als Typen, als Menschen gut gefallen haben. Ganz besonders Mara. Alles, was sie über ihr Schreiben, ihren Alltag, die Liebe, ihr bisheriges Leben äußert, kann ich nachvollziehen, ist in Ansätzen auch meine Meinung. Hundert Prozent Sympathie – inklusive Musikgeschmack.

Das ist es, was ich generell beim Lesen so schätze. Man schließt Freundschaft mit Menschen, die man mag und interessant findet. Man kann sie ein Stück des Weges begleiten, ihnen zuhören, mitlachen, mitleiden, Verständnis zeigen. Sie verlangen nichts als Gegenleistung und am Ende verabschiedet man sich, stellt das Buch ins Regal und wartet auf den nächsten Roman dieses Autors. Denn eigentlich ist es ja der Autor, die Autorin, die man sympathisch findet.

Und was ich an Ruth Cerha besonders sympathisch finde, ist ihr Erzählstil. Eine virtuose Leichtigkeit bei gleichzeitig großer Sprachgewalt, mit der sie wunderbare Bilder projiziert. Das zeigt sich in Passagen wie dieser hier:

„Andrej wuchs in mein Inselleben hinein wie eine Schraube, die sich in ein Gewinde dreht. …Normalerweise brachten Männer alles durcheinander, sobald sie in mein Leben traten. Immer zogen sie Bausteine von ganz unten aus meinem Gebäude und setzen sie ganz obendrauf, wo sie mir die Sicht auf die Welt verstellten, während ich damit beschäftigt war, das Ding stabil zu halten, trotz der plötzlichen Lücken im Fundament. Andrej ließ alles, wo es war, und setzte seine Steine dahin wo Platz war.“

Und jetzt sage mal einer, dass er sich etwas anderes unter einer perfekten Beziehung vorstellt. Nein, es passt schon, wie der Österreicher sagt. Mara und Andrej haben meinen Segen. So sollte Liebe sein. Und wer noch ein wenig mehr braucht, als nur eine Liebesgeschichte, kommt bei Bora auch auf seine Kosten. Denn wer kennt schon die durchaus interessante Geschichte der kroatischen Auswanderer, die während der Tito-Aera das Land auf Ruderbooten Richtung Italien verließen und sich anschließend in den USA ansiedelten? Oder auch die Daseinsberechtigungsprobleme, die ein Autor hat, der einen ganzen Sommer auf einer Mittelmeerinsel verbringt, um zu schreiben, dann aber blockiert und keinen einzigen Buchstaben zu Papier bringt. Auch das alles erzählt und schildert Ruth Cerha dem Leser empathisch, leicht und spannend.

Und natürlich ist da auch noch der Wind, die Bora, die kalt und stürmisch aus den Bergen kommt und die Insel für Tage lahmlegt. Sie darf nicht fehlen in diesem Sommer, Mara und Andrejs Sommer. Aber das macht aus diesem grandiosen Liebesroman noch lange keine „Geschichte vom Wind“.

Titelfoto: Gabriele Luger

6 Antworten auf „Ruth Cerha – Bora. Eine Geschichte vom Wind

  1. Als ich das Buch in der Vorschau sah, hatte ich die gleichen Bedenken. Die Inhaltsangabe fand ich ansprechend, aber das Cover und der Wind ließen mich zurückschrecken. „Wind“ geht nicht, meine Meinung! 🙂 Ich kann mir die Entscheidung für Cover und „Wind“ auch nur so erklären, dass man dachte, dass man so einen bestimmten Leserkreis (Leserinnenkreis) ansprechen wollte… Aber ohne Deine Rezension und die der Klappentexterin neulich hätte ich das Buch nicht weiter beachtet. Danke!

    Gefällt 2 Personen

      • *lach* na dann mach dir einen anderen Umschlag drumherum 😉 Aber mal Spaß beiseite … es ist tatsächlich so, dass man vom Cover erst mal (durchaus voreilig) auf den Inhalt schießt. So sind wir gepolt. Aber dass die FVA solche Cover „macht“ ist mir auch neu … naja, wer weriß, was dahinter steckt. Jedenfalls hast du mit deiner tollen Rezension die Vorurteile in dieser HInsicht erst mal aus dem weg geräumt. Ich kann mir schon vorstellen, dass die FVA vielleicht etwas massenkompatibler daherkommen wollte … ist nicht leicht für einen Verlag deren Größe zu bestehen und neue Käuferschichten anzulocken … ob die allerdings mit dem Inhalt dann zufrieden sind? Egal … Buch kommt auf den Wunschzettel 😉

        Gefällt 3 Personen

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Google Foto

Du kommentierst mit Deinem Google-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s