Samstag, 8. Dezember 2012

Kleiner Rückblick: Pokémon, Militärgeheimnisse, Bientôt l’été und mehr…

(Gerade geht nicht so viel – aus Gründen – daher ein zusammengesammelter Rückblick auf den vergangenen November und das erste Viertel des Dezembers:)

Am 1. November 2012 war ich auf der vierten Nerd Nite Hildesheim und habe »Die 10 Gebote gegen Pokémon-Darwinismus« aufgestellt!


Leider gibt es weder Foto-, Video- noch Audioaufnahmen von meinem revolutionären Vortrag und ich traue mich nicht, weitere Präsentationsfolien hochzuladen, weil Team Rocket und/oder Richard Dawkins mich sonst verklagen. Daher nur kurz und knapp: Es ging um das rote und das blaue Testament, schlechte Darwin-Imitationen, anorganische Pokémon, explosive Pokémon-Selbstverteidigung, Geister-Pokémon, das (absolut überzeugende) Konzept der Emanation, der Weg eines Pokémons auf dem Sephiroth-Baum, Gottes-Partikel Gottes-Pokémon, berühmte Pokémon aus der Bibel (z.B. in der Offenbarung des Johannes), ユンゲラー und Uri Geller, tierische Kami und Yōkai, Henry Lewis' »oriental demons« und warum das alles bedeutet, dass es 151 Pokémon gibt und Gott der kreative Designer jedes davon gleich lieb hat. Amen!

Nun aber wieder ernst und seriös: Während der Produktion von Medal of Honor: Warfighter sollen Mitglieder der Navy Seals ihre beratende Tätigkeit etwas übertrieben und vertrauliche Informationen ausgeplaudert haben. Die Märkische Allgemeine hat am 9. November 2012 über das Skandälchen berichtet und mich als Experte zur Rolle von Militärberatern in der Computerspielindustrie und über die Marktbedingungen für Kriegs-Shooter befragt:
„Militärische Berater gehören mittlerweile zum Standard in der Werbung für Egoshooter“, sagt der Berliner Medienwissenschaftler und Computerspieleexperte Christian Huberts. „Die treten auf Messen oder in den Trailern auf und verleihen den Spielen einen Anstrich von Realität.“ Dabei gehe es meist um Taktik und moderne Waffentechnik. „Mit diesen Spielen lassen sich Milliarden verdienen. Realitätsnähe ist ein zentrales Kriterium der Spiele und wird von der Kundschaft erwartet“, sagt Huberts. In einigen Fällen trete die US-Army auch ganz offiziell als Berater auf und mache dadurch auch Werbung in eigener Sache, etwa für die moderne Ausrüstung und die Leistungsfähigkeit der Truppe.
Meine persönliche Einschätzung ist darüber hinaus, dass der Skandal mehr oder weniger inszeniert war oder zumindest bewusst von Electronic Arts in die Medien gedrückt wurde, um PR-technisch gegen den Platzhirsch Call of Duty anstinken zu können. Brisante Militärgeheimnisse in einem Ego-Shooter, das klingt schon ganz cool! Um so viel Aufmerksamkeit zu kriegen, muss Activision schon Zivilisten zum Abschuss freigeben.

Genug vom Krieg. Jetzt geht es um Kunst und Liebe. Tale of Tales haben mal wieder ein neues Computerspiel veröffentlicht und ich habe bei Superlevel über Bientôt l’été geschrieben. Mein Fazit:
Wie bei allen Spielen von Tale of Tales braucht auch Bientôt l’été seine Zeit, um die volle Wirkung zu entfalten. Die Atmosphäre erschließt sich nur mit etwas Geduld und erst nach und nach machen die Metaphern, die uns das Spiel anbietet, Sinn. […] Bientôt l’été lädt immer wieder zum Nachdenken über das Gespielte ein. Vielleicht ist es ein anti-environment, das uns zeigen will, dass wir schon längst distanziert voneinander in digitalen Wirklichkeiten nach dem besten Schachzug in einem schmerzhaften Spiel suchen. Die Sprache der Liebe in Zeiten der Telepräsenz. Oder es ist ganz anders. Kunst muss man selbst anschauen und ausprobieren, um sie verstehen zu können. Ganz egal ob im Museum oder am Computer.
In den Kommentaren tobt gerade noch eine große Diskussion zu Computerspielen als Kunst bzw. Nicht-Kunst. Tale of Tales sind leider nicht das selbstkritischste und humorvollste Entwicklerstudio, aber doch haben ihre Experimente genug Wirkung, um von mir einen künstlerischen Wert zugemessen zu bekommen, der über den reinen Fokus auf Interaktionsdesign in der neuen MoMa-Sammlung deutlich hinausgeht. Computerspiele sind eben nicht nur Design, sondern auch Ästhetik. Wer sich ein eigenes Bild machen will, kann Bientôt l’été ab dem 12. Dezember 2012 käuflich erwerben.

Wo wir gerade schon bei Ästhetik waren: Nicht vergessen, am 15. Dezember 2012 läuft die Deadline für Einreichungen zum Zwischen|Welten-Call for Papers aus. Wer noch eine zündende Idee zum neusten Schrei der ästhetischen Theorie des Computerspiels hat, möge sie möglichst bald einreichen. Euere Texte werden in allerbester Gesellschaft stehen!

Coming (hoffentlich) soon: Neuigkeiten zur Geschichtsvermittlung in Computerspielen, ein illustrierter Text über diese schicken Lederjacken sowie Möchtegernpirat Guybrush Threepwood, ein (wait for it) Kick-Essay™ (got it?) zur Notwendigkeit von mehr Körperlichkeit in den Game Studies und schließlich ein feiner Artikel zur ideologischen Dimension von Computerspielen in der kommenden WASD #2.

Und falls sich noch jemand fragt, woher ich soviel über Pokémon klugscheißen kann weiß:

(Foto: Hug A Pokemon)

Donnerstag, 1. November 2012

Einjähriges Jubiläum! \o/

(Ein ganzes Jahr – seit dem 1. November 2011 – ist mein Blog jetzt schon online und in der Zwischenzeit ein ganzes Stück gewachsen. Zumindest weitaus mehr als ich erwartet/geplant habe: Die Idee war ursprünglich einfach nur die, ein Archiv im Internet zu haben, auf dem ich alte, lose und/oder unveröffentlichte Texte für mich sammeln und bei Bedarf schnell hervorholen und mit meinen Mitmenschen teilen kann. Ein bisschen mehr ist dann trotzdem daraus geworden. Immerhin < 7.000 Besucher in einem Jahr und damit rund 700% mehr als geschätzt. Zum Jubiläum ein paar mehr oder weniger informative Meta-Statistiken [Stand 31.10.2012 um ca. 12:00 Uhr]:)


Highscore – Besucher insgesamt:

7.133 Besucher

Highscore – Besucher in einem Monat:

2.424 Besucher (im Oktober 2012)

Highscore – Posts insgesamt:

42 Posts

Highscore – Kommentare insgesamt:

42 Kommentare

Highscore – Plagiierte Posts insgesamt:

1 Post


Top 5-Posts:
  1. #hubiplag (1.434 Besucher)
  2. „This is a path winding through a dimly lit forest“ (723 Besucher)
  3. Digital Games: A Love Story. Zum Verhältnis von Literatur und Computerspiel. (499 Besucher)
  4. Between|Worlds: A List of Atmospheric Games. (489 Besucher)
  5. Call for Papers: Zwischen|Welten. Atmosphären im Computerspiel. (487 Besucher)
Ich sollte mehr Skandale anzetteln und inszenieren. Es lohnt sich offenbar!


Flop 5-Posts:
  1. Modden, das (2 Besucher)
  2. Flow, der (2 Besucher)
  3. Adaption, die (3 Besucher)
  4. Zeit, die [I] (4 Besucher)
  5. Zeit, die [II] (4 Besucher)
Die Spielregeln führen leider ein Schattendasein. Vielleicht produziere ich auch mal wieder neue Texte in dieser Richtung. Gibt es Interesse?


Die fünf Posts aus dem Mittelfeld, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten:
  1. Computerspiele und ihre Rezipienteneinbindung: Marshall Mcluhans Kategorien „Heiß“ und „Kalt“ in Bezug auf ausgewählte Spielbeispiele. Schriftliche Diplomarbeit. (189 Besucher)
  2. „This is a path winding through a dimly lit forest“ [English Version] (149 Besucher)
  3. flow aus_spielen: Christian Huberts – Eine Kritik am Flow als Game-Design-Paradigma [Video] (72 Besucher)
  4. Gedankenspiele (37 Besucher)
  5. Zwischen 1 und 0 [Beta] (25 Besucher)
Meine Diplomarbeit – das kann ich ganz unbescheiden sagen – ist ziemlich klasse und ich würde mich sehr freuen, wenn sie mehr gelesen werden würde. Außerdem hat die Übersetzung des »This is a path…«-Textes ziemliche Mühe gemacht, aber noch nicht viele Leser generiert. Da muss sich noch was tun!


Die fünf populärsten Suchanfragen:
  1. fable karte (38 Besucher)
  2. zork karte (25 Besucher)
  3. fable 2 karte (19 Besucher)
  4. day of the tentacle (15 Besucher)
  5. albion karte (11 Besucher)
Vielleicht hätte ich doch Kartograph werden sollen – wie Wally.


Top 5-Zugrifssquellen:
  1. facebook.com (1025 Besucher)
  2. google.de (613 Besucher)
  3. superlevel.de (440 Besucher)
  4. twitter.com (311 Besucher)
  5. christianhuberts.de (157 Besucher)
Ach, Superlevel, Ihr seid super!


Top 5-Zugriffsländer:
  1. Deutschland (5167 Besucher)
  2. Vereinigte Staaten (860 Besucher)
  3. Österreich (154 Besucher)
  4. Russische Föderation (147 Besucher)
  5. Schweiz (120 Besucher)
С наилучшими пожеланиями к моим друзьям из России!


Top 5-Zugriffsbrowser:
  1. Firefox (3239 Besucher / 45% der Besucher)
  2. Safari (1409 Besucher / 19% der Besucher)
  3. Chrome (1313 Besucher / 18% der Besucher)
  4. Internet Explorer (530 Besucher / 7% der Besucher)
  5. Opera (190 Besucher / 2% der Besucher)
Liebe Leute, den Internet Explorer sollten wir da aber noch rausbekommen!


Top 5-Zugriffsbetriebssysteme:
  1. Windows (3813 Besucher / 53% der Besucher)
  2. Macintosh (2484 Besucher / 34% der Besucher)
  3. Linux (191 Besucher / 2% der Besucher)
  4. iPad (176 Besucher / 2% der Besucher)
  5. iPhone (146 Besucher / 2% der Besucher)
Wie liest sich der Blog eigentlich so auf mobilen Devices?


Ich freue mich auf ein weiteres Jahr, mit vielfältigerem Content (hoffentlich ebenfalls in englischer Sprache) und mehr Kommentar-Kommunikation (ich hab's mittlerweile freigeschaltet, gemerkt?)… Schau an!

Euer "mächtiger" Kulturwissenschaftler

Dienstag, 23. Oktober 2012

Tagungsband: flow aus spielen. Optimale Erfahrungen durch Computerspiele.

(Am  9. und 10. März 2012 fand im phæno in Wolfsburg die Tagung »flow aus_spielen« statt. Wie schon berichtet, war ich daran ebenfalls mit einer Kritik am Flow als Game-Design-Paradigma beteiligt. Seit Anfang Oktober ist nun der offizielle Tagungsband käuflich zu erwerben – entweder direkt beim blumenkamp Verlag oder bei Amazon.de. Da ich beim Lektorat mitgeholfen habe, kenne ich alle Texte schon und kann ganz uneigennützig sagen, dass der Sammelband inhaltlich richtig stark geworden ist. Essays und wissenschaftliche Texte halten sich sehr schön die Waage und das Flow-Konzept wird umfangreich und aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet. Hier ein paar weitere Informationen und ein Teaser:)

Klappentext:
Anne-Kristin Langner, Mathias Mertens (Hg.)
flow aus spielen:
Optimale Erfahrungen durch Computerspiele.

blumenkamp Verlag, Oktober 2012,
252 Seiten, Paperback,
30,00 Euro (D), 30,90 Euro (A)
ISBN: 978-3-942958-07-3
»Erst wenn die konkrete Spielerfahrung zum Thema wird, fangen Gespräche über Computerspiele an, lebendige Diskussionen zu werden. Plötzlich wird nicht mehr Geschmack überprüft oder eine clevere Theorie konstruiert, sondern es wird Praxis analysiert und produktiv gemacht. Wenn dann noch das Stichwort ›Flow‹ eingeworfen wird, gibt es kein Halten mehr. Es ist anschlussfähig an alle persönlichen Erfahrungen, die mit Computerspielen gemacht werden, es macht Computerspiele anschlussfähig an andere Diskussionen, es macht Reden über Computerspiele relevant für den eigenen Alltag.
Die Tagung ›flow aus spielen‹ war eine Fortsetzung und Erweiterung solcher Gespräche: eine intensive, von persönlicher Erfahrung und Kompetenz getragene Auseinandersetzung mit der kulturellen Relevanz von Computerspielen. Die versammelten Beiträge dieser Tagung nutzen das Flow-Konzept, um die Verbindung von Computerspielen zu verschiedenen Bereichen der Gesellschaft herzustellen – nicht immer zustimmend, oft sehr kritisch, aber immer produktiv.«


Teaser (eine etwas ältere Vorschau gibt es hier):

Eine Kritik am Flow als Game-Design-Paradigma
Oder: Warum ich lieber gegen den Flow schwimme
Von Christian Huberts

[…] Flow und Computerspiel passen ziemlich gut zusammen. So viel muss man der Theorie des ungarischen Psychologen Mihály Csíkszentmihályi (kurz: Csík) uneingeschränkt eingestehen. Die Erfahrung des Spielens erfüllt in den meisten Fällen die Kriterien seiner »optimal experience«, der Optimalen Erfahrung des Flows: »a sense that one’s skills are adequate to cope with the challenges at hand, in a goal-directed, rule-bound action system that provides clear clues as to how well one is performing.« (Csíkszentmihályi 1990, 71)

Ein großer Reiz daran, Computerspiele zu spielen, ist jenes Gefühl der absoluten Kontrolle und der Auflösung im Spiel, das Csík als Flow oder Optimale Erfahrung bezeichnet. Dieses Gefühl ist es auch, das die meisten Spieler an Computerspielen fasziniert und sie für lange Zeit am Spielen hält. Es ist also nur noch ein kleiner Schritt, Csíks Theorie als methodische Grundlage für die Erforschung der positiven, psychologischen Effekte von Computerspielen zu benutzen: »Flow is one way of understanding that pleasure which draws players to a game and keeps them there.« (Salen/Zimmerman 2004, 338) Und es ist ein ebenso kleiner Schritt, Computerspiele auf ihre Funktion als Optimale Erfahrung zu reduzieren. Schließlich scheint es auf den ersten Blick offensichtlich, dass sie sich seit ihren Anfängen an der Optimierung des Designs von Flow-Zuständen abarbeiten.

Aufgrund dieser starken, theoretischen Konvergenz sind die Game Studies schnell und dankbar auf Csíks Konzepte angesprungen. Das mag damit zusammenhängen, dass die Theorie der Optimalen Erfahrung, im gedankenverlorenen Flow zielgerichteter und regelgebundener Forschungsarbeit, sofort optimale Ergebnisse liefert. In erster Linie dreht man aber wohl einfach nicht an einer bequemen, befriedigenden und wohlklingenden Theorie herum: »The rules, goals, feedback, uncertain outcome, and other qualities of games make them fertile terrain for the flowering of a flow experience.« (Ebd., 338) Computerspiele stehen damit, hält man sich an Csík, in bester Tradition mit den meisten anderen spielerischen, sportlichen oder sonstigen Tätigkeiten, die sich auf die optimierte Produktion von – wie auch immer geartetem – Glück zu beschränken scheinen:
»[T]hey were designed to make optimal experience easier to achieve. They have rules that require the learning of skills, they set up goals, they provide feedback, they make control possible. They facilitate concentration and involvement by making the activity as distinct as possible from the so-called ›paramount reality‹ of everyday existence.« (Csíkszentmihályi 1990, 72)
Darüber hinaus bietet die Flow-Theorie – mit ihrer Ausrichtung auf Glückszustände – eine Steilvorlage für Game-Designer zur Erzeugung dessen, was gemeinhin als Spielspaß bezeichnet wird. Die Bedingungen und Eigenschaften der Optimalen Erfahrung bilden eine detaillierte Blaupause des Heiligen Grals spaßigen Spieldesigns: »A well-designed game transports its players to their personal Flow Zones, delivering genuine feelings of pleasure and happiness.« (Chen 2007, 31) Game-Design ist in diesem Sinne ein Prozess der Konzentration und Herausarbeitung der Kriterien des Flows. Eine Arbeitsweise, die vor allem in Debatten um das Suchtpotenzial von Computerspielen in der Kritik steht. Selbst Csík sieht die Gefahr, dass der Flow »[...] can become addictive, at which point the self becomes captive of a certain kind of order, and is then unwilling to cope with the ambiguities of life« (Csíkszentmihályi 1990, 62). Das hält aber beispielsweise die alternate reality game-Designerin Jane McGonigal nicht davon ab, gleich die ganze, depressive Realität mithilfe von positiver Psychologie reparieren zu wollen: »Compared with games, reality is depressing. Games focus our energy, with relentless optimism, on something we’re good at and enjoy.« (McGonigal 2011, 38)

Für den Großteil der Fachpresse sind jene geordneten Elemente, die für Csík den Flow konstituieren, jedoch ein großer Segen und Grundlage für die Bewertung des sogenannten gameplays von Computerspielen. »Gamers value video games based on whether or not they provide a Flow experience.« (Chen 2007, 32) Die Wertung eines Computerspiels ist also nicht selten gleichzusetzen mit der prozentualen Wahrscheinlichkeit einer Flow-Erfahrung. Man kann nahezu jedes Gaming-Magazin am Kiosk in die Hand nehmen und liest entweder Positives zu perfekter Steuerung und befriedigendem Feedback oder aber Negatives zu unklaren Zielstellungen und frustrierendem Schwierigkeitsgrad. Die Bedingungen des Flows scheinen ebenfalls die Bedingungen für eine qualitativ hochwertige Spielerfahrung zu sein. Übersetzt in einen Prozentwert oder eine Schulnote, wird dem Spieler Orientierung auf der Suche nach dem ludischen Glück und dem Game-Designer Ordnung und Rückmeldung für seine Flow-(und damit auch Gewinn-)Optimierung geboten.

Man müsste also annehmen, der Flow sei ein funktionierendes theoretisches Konstrukt, um Computerspiele zu einem verstandenen, unterhaltsamen und immer bedeutungsvolleren Medium zu machen. Schließlich sind die vermeintlichen Bedingungen für ein gutes Spiel erkannt und die Optimierung der Spielerfahrung scheint sowohl im Sinne der Spieler wie der Spielemacher. Doch wenn sich nun alle Spiele an das Dogma der Optimalen Erfahrung halten, sehen sie dann nicht am Ende alle gleich aus und bieten uns im Großen und Ganzen identische (Flow-)Erfahrungen? Ist eine Optimale Erfahrung wirklich die einzige Erfahrung, die wir in einem Computerspiel suchen? Macht es wirklich nachhaltig glücklich, gedanken- und bewusstlos durch den Tunnel des Flows zu düsen? Und wie lässt sich die vermeintliche Komplexität der Optimalen Erfahrung damit unter einen Hut bringen, dass sich der Flow mitunter schon mit den eintönigsten und anspruchslosesten Spielmechaniken – wie etwa in Ian Bogosts parodistischem, aber dennoch erfolgreichem Social Game Cow Clicker (2010) – erzeugen lässt?

Einige Fragen an den Flow bleiben also offen. Von den besorgten Hinweisen auf die Gefahr der Computerspielsucht einmal abgesehen, bleibt die Dominanz der Optimalen Erfahrung aber weitestgehend unhinterfragt. Computerspiele sollten jedoch nicht auf reine Spaßmaschinen reduziert werden. Als bedeutender Teil der Kultur spiegeln sie mehr als nur unsere Vergnügungssucht wider. Sie sind »[n]icht nur ein Spiel, sondern ein Teil von uns« (Huberts 2010, 14). Und Computerspiele widersetzen sich nachhaltig – zumindest mit genügend »gaming literacy« (Zimmerman 2009, 23) in der Hinterhand – der Reduktion auf ein schlichtes »goal-directed, rule-bound action system that provides clear clues as to how well one is performing« (Csíkszentmihályi 1990, 71). Sie sind viel mehr als optimal.
»[D]er ›Witz‹ des Spiels [...] widerstrebt jeder Analyse, jeder logischen Interpretation. [...] Im Spiel haben wir es mit einer für jedermann ohne weiteres erkennbaren, unbedingt primären Lebenskategorie zu tun, mit einer Ganzheit, wenn es je etwas gibt, was diesen Namen verdient. Wir müssen uns Mühe geben, es in seiner Ganzheit zu betrachten und zu werten.« (Huizinga 2004, 11)
[…] 

Bibliografie (Auswahl):
  • Chen, Jenovah (2007) Flow in Games (and Everything Else). In: Communications of the ACM. Band 50; Heft 4; S. 31–34.
  • Csíkszentmihályi, Mihály (1990) Flow. The Psychology of Optimal Experience. New York: HarperCollins.
  • Huberts, Christian (2010) Raumtemperatur. Marshall McLuhans Kategorien »heiß« und »kalt« im Computerspiel. Göttingen: blumenkamp verlag.
  • McGonigal, Jane (2011) Reality is Broken. Why Games Make Us Better and How They Can Change the World. London: Jonathan Cape.
  • Salen, Katie; Zimmerman, Eric (Hrsg.) (2004) Rules of Play. Game Design Fundamentals. Cambridge, MA; London: The MIT Press.
  • Zimmerman, Eric (2009) Gaming Literacy. Game Design as a Model for Literacy in the Twenty-first Century. In: Perron, Bernard; Wolf, Mark J. P. (Hrsg.) The Video Game Theory Reader 2. New York; London: Routledge; S. 23–31.

Montag, 22. Oktober 2012

#hubiplag

(Sonst geht's an dieser Stelle ja eher wissenschaftlich zu, aber aus aktuellem Anlass explosiver Boulevard-Schweinejournalismus:)

(EDIT [23.10.2012 um 20:05 Uhr]: Der Kontakt zum CSW-Verlag wurde wieder hergestellt und es zeichnet sich eine einvernehmliche Lösung der Situation ab. In Kürze mehr…)

(EDIT [22.10.2012 um 21:43 Uhr]: Da es in den Kommentaren jetzt schon mehrmals angesprochen wurde, möchte ich darauf hinweisen, dass ich die beiden Meme-Bildchen im Text selbst erstellt habe und zwar mit den entsprechenden Online-Generatoren. Ihr könnt es mir gerne nachmachen, z.B mit dem »Y U No«-Guy oder Boromir, es macht viel Spaß [und wird bei nicht-kommerzieller Nutzung geduldet]! Was die Veröffentlichung meiner Rezension bei Amazon.de angeht, muss ich deutlich anmerken, dass ich Amazon.de & Partnerunternehmen laut den offiziellen AGBs [§8] nur eine »nicht-ausschließliche« Nutzung erlaube. Damit liegen nicht nur die Urheberrechte nach wie vor bei mir, sondern ebenfalls die Verwertungsrechte. Will man den Text weiterveröffentlichen, muss man mich also vorher fragen oder ein Partner von Amazon.de sein. Als Urheber muss ich allerdings immer kenntlich gemacht werden.)

(EDIT [22.10.2012 um 17:32 Uhr]: Aufgrund eines berechtigten Hinweises in den Kommentaren, habe ich einige direkte Zitate in indirekte Rede umgewandelt. Ich möchte hier tatsächlich niemanden bloßstellen, sondern lediglich auf grobe Missstände hinweisen. Für weitere Anmerkungen bin ich sehr dankbar!)

(EDIT [22.10.2012 um 13:29 Uhr]: Der Blog Superlevel berichtet jetzt auch zu #hubiplag!)



Auf dem diesjährigen researching games Barcamp (6. & 7. Oktober) gratulierte mir mein verehrter Kollege Sebastian Felzmann zu einer Veröffentlichung in der aktuellen Ausgabe (#25) der RETRO – einem »Kulturmagazin für Videospiele« aus dem CSW-Verlag. Ich wusste nicht wovon er redet. Bereits im vergangenen Juli hatte ich Sebastians lesenswerter Analyse des Retrogamings – Playing Yesterday: Mediennostalgie im Computerspiel – einen kurzen Text gewidmet und sowohl in diesem Blog als auch bei Amazon.de veröffentlicht. Genau diese Rezension sollte nun – laut Sebastian – in der RETRO zu lesen sein. Da ich nie mein Einverständnis zu einer Weiterveröffentlichung des Textes gegeben habe, glaubte ich zu diesem Zeitpunkt noch an ein simples Missverständnis und war eher belustigt als verärgert. Ein Besuch beim Bahnhofskiosk – wenige Tage später – sollte mich dann allerdings gründlich desillusionieren: Nicht nur war da auf Seite 8 der RETRO #25 meine Rezension – in voller Länge und quasi unverändert –, es fehlte ebenfalls die Angabe eines Autors. Ein mustergültiges Plagiat also. Aber überzeugt Euch selbst:

[…]
ORIGINAL:
»Ich muss mich ebenfalls outen: Wenn ich Pixel sehe, wird mir ganz warm um's Herz. Das gleiche gilt für klassische Computertechnologie, Chiptunes und die angenehme "Tortur" Soundkarten-Einstellungen von MS-DOS-Spielen korrekt zu konfigurieren. Und selbst das durchwachsenste zeitgenössische Spiel erhält Absolution für ein gelungenes Retro-Zitat. Die Vergangenheit des Computerspiels ist ein gemütlicher Rückzugsort, gefüllt mit schönen Kindheitserinnerungen und frei von modernen Gewalt-, Komplexitäts- und Grafik-Orgien. Früher war eben alles besser. Zumindest im verklärten Rückblick, der feinsäuberlich alles Negative ausblendet. Warum wir so gerne Erinnerungen an die "gute alte Zeit" des Mediums konstruieren und wie Computerspiele den Hang der Spieler zur Nostalgie aufgreifen, darüber gibt Playing Yesterday: Mediennostalgie im Computerspiel (2012) von Sebastian Felzmann nun kompetente Auskunft. […]«

Kein wirklicher Unterschied, oder? Nur hier eine Kursivierung weniger, dort neue Anführungszeichen und da eine gelöschte Jahreszahl. Im Rest sieht es nicht anders aus. Ohne Zweifel ein Plagiat meiner Rezension. Das konnte ich einfach nicht so stehen lassen. Einen Text ohne meine Erlaubnis zu benutzen, ist schon ziemlich grenzwertig, aber in Ordnung, solange zumindest mein Name daneben steht und ich dadurch etwas kostenlose Sichtbarkeit bekomme. Doch einen Text ohne meine Erlaubnis und ohne Angabe meines Namens zu benutzen, macht mich sauer. Aber ich greife zu weit, schließlich war an diesem Punkt noch davon auszugehen, dass es sich um einen bedauernswerten Fehler handelt, der schnell und verantwortungsbewusst korrigiert und entschädigt wird – vor allem, weil ich die redaktionell Verantwortlichen schon kenne und sie mich ebenso. Daher habe ich zunächst per Email um Aufklärung gebeten:
Am 11.10.2012 um 17:17 schrieb Christian Huberts: 
»[…] Ich bin nun ziemlich verärgert, behalte mir weitere Schritte aufgrund der Verletzung meines Urheberrechts vor und bitte zunächst um schnelle und vollständige Auskunft über die Umstände der unrechtmäßigen Veröffentlichung meiner Rezension. […]«
Wie erhofft, erfolgte eine Reaktion sehr schnell und versprach interne Aufklärung – trotz einer gewissen »Ich habe nur Befehle ausgeführt!«-Rhetorik. Der Chefredakteur der RETRO habe – laut seiner ersten Email – den Text mit der Bitte um Abdruck vorgelegt bekommen und darum auch genau so abgedruckt. Und auch seine zweite Email schien vielversprechend und um Klärung bemüht. Der CSW-Verlagschef wurde telefonisch kontaktiert und teilte mit, die genaue Herkunft der plagiierten Rezension prüfen zu wollen. Zumindest dem Chefredakteur der RETRO war diese Angelegenheit schon mal sehr peinlich. Aber nun gut, es passieren halt mal Fehler. Umso gespannter war ich auf die Antwort des CSW-Verlagschefs. Dieser beteuert in seiner ersten Email an mich, den Text weder von Amazon.de, noch von meinem Blog kopiert zu haben. Entweder Sebastian Felzmann selbst oder der Verlag seines Buches – der sehr empfehlenswerte Verlag Werner Hülsbusch – hätten ihm meine Rezension – quasi als anonymes PR-Material – zugeschickt. Mal davon abgesehen, dass man als Verlagschef wohl wissen sollte, woher man seine Inhalte bekommt, schienen die Schuldigen erstmal gefunden. Da ich Sebastian gut kenne und selbst schon erfolgreich mit dem Verlag Werner Hülsbusch zusammengearbeitet habe, kam mir diese Geschichte allerdings reichlich unwahrscheinlich vor. Trotzdem habe ich nachgefragt. Sebastian hat sofort mit seinem Verlag Kontakt aufgenommen und – wie erwartet – jeglichen Verdacht einer unrechtmäßigen Verwendung meines Textes entkräftet. Da es mir fürchterlich unangenehm war, überhaupt der Schuldzuweisung des CSW-Verlagschefs nachgegangen zu sein, habe ich mich sofort bei beiden für die ungerechtfertigte Verdächtigung entschuldigt:
Am 12.10.2012 um 17:54 schrieb Christian Huberts: 
»[…] [V]ielen Dank für Eure schnelle Aufklärung! […] Da muss also auf Seiten der RETRO etwas sehr gründlich schief gegangen sein. […] Daher ein Sorry von mir, dass Ihr da mit reingezogen wurdet! […]«
Und jetzt war ich richtig angefressen! Mich für dumm zu verkaufen ist eine Sache, aber auch noch andere Menschen zu beschuldigen ist ziemlich daneben. Darum gleich wieder ran an die Tastatur:
Am 12.10.2012 um 21:08 schrieb Christian Huberts: 
»Beide [Sebastian Felzmann und der Verlag Werner Hülsbusch] konnten mir sehr überzeugend darlegen, dass 1.) nur der Link zu meiner Rezension auf Amazon.de verschickt wurde und nicht der Text selbst, 2.) ich in diesem Zusammenhang deutlich als Autor genannt wurde und 3.) nie die Rede davon war, meine Rezension benutzen zu sollen bzw. ungefragt benutzen zu dürfen. Eine einfache Anfrage bei mir im Vorfeld wäre genug gewesen und ich hätte den Text gerne – mit einem Belegexemplars als Honorar – zur Verfügung gestellt. […] Das ist ziemlich enttäuschend und ich bitte erneut um ehrliche und restlose Aufklärung, damit wir diese Angelegenheit achtsam, zügig und ohne unnötige Kollateralschäden abschließen können. Darüber hinaus erwarte ich eine Richtigstellung der Urheberschaft der »Playing Yesterday«-Rezension aus der aktuellen RETRO (#25) in der kommenden Ausgabe (#26). Außerdem erlaube ich es mir, einen geringen Betrag als Schadensersatz, für die weitere Verwendung der Rezension, die nun unnötig angefallene Arbeit sowie ein erworbenes Belegexemplar in Rechnung zu stellen.«
Meine Hoffnung war, dass sowohl der Chefredakteur der RETRO als auch der CSW-Verlagschef nun erkennen, dass ich es ernst meine und mich nicht mit dem Delegieren von Verantwortung und Schuld an Andere zufrieden gebe. Leider wurde die ganze Geschichte nur noch skurriler. Kurz nach dem Versand der Email meldete sich der Chefredakteur der RETRO telefonisch bei mir. Aus Anstand und Diskretion möchte ich den genauen Ablauf des Gesprächs nicht offenlegen. Aber so viel: Es war ein etwa 20-minütiger, freundlicher Monolog aus Entschuldigungen, Schmeicheleien und dem wiederholten Hinweis, dass es bei der RETRO bzw. dem CSW-Verlag sowieso nichts zu holen gäbe. Das Beste kam zum Schluss: Wie wäre es, wenn ich zur Wiedergutmachung einen längeren Artikel für die RETRO schriebe? »Wäre das nicht was?« Danke, aber nein danke, das wäre nichts. Wenn ich schreiben und veröffentlichen möchte, dann kann ich das in der Zwischenzeit auch anderswo machen. Erstmal möchte ich Richtigstellung und Entschädigung für ein ziemlich dreistes Plagiat. Zumindest die Richtigstellung hat der Chefredakteur dankenswerter Weise in Aussicht gestellt. Der CSW-Verlagschef denkt sich das allerdings ganz anders. Er meint in seiner nächsten Email, dass er sich bereits entschuldigt hätte – auch wenn das in meiner Erinnerung eher eine (falsche) Beschuldigung war – und ich die Kirche im Dorf lassen solle. Man wäre schließlich ein Ein-Mann-Unternehmen und nicht der Springer Verlag. Woher er meinen Text bekommen habe, das wisse er jetzt nicht mehr so genau. Und polemisch wurde es dann auch noch: Er könne ja die 5000 Emails der letzten Monate noch einmal durchgehen oder gleich die 1000 Kunden der RETRO persönlich anrufen und darum bitten, die Seite mit dem Plagiat herauszureißen. Am Ende der Email fragt er dann noch nach dem entstandenen Schaden – wobei ich mir nach wie vor unsicher bin, ob das eine ernstgemeinte Frage ist oder nur weitere Polemik. Nun, neben dem offensichtlichen Schaden, den ein Plagiat mit sich bringt, jetzt auch die Tatsache, dass ich offenbar für einen Vollidioten gehalten werde. Interessant ist auch die plötzliche Amnesie in Bezug auf die Herkunft des Plagiats. Das hat sich in der ersten Email des CSW-Verlagschefs noch ganz anders angehört (siehe oben). Meine Antwort fiel entsprechend aus:
Am 13.10.2012 um 14:27 schrieb Christian Huberts: 
»[…] Du bist Chef eines Verlags – wie groß ist mir egal! –, trägst für Deine Arbeit die (rechtliche) Verantwortung und hast eine Sorgfaltspflicht. (Ebenso ist [der Chefredakteur der RETRO] für die Inhalte des Hefts direkt verantwortlich, V.i.S.d.P. -> Publizistische Sorgfaltspflicht -> Rechte Dritter -> Urheberrecht) Fehler können passieren, natürlich. Ich mache auch viele Fehler. Jedoch sollte man zumindest versuchen, diese Fehler zu verstehen, in Zukunft zu verhindern und nach Möglichkeit den entstandenen Schaden PROAKTIV zu lindern. Das ist alles nicht passiert. Stattdessen werde ich wiederholt für dumm verkauft, das Plagiat wird marginalisiert, andere werden verantwortlich gemacht, ich in die Täterrolle gedrängt. […] Also ein letztes mal – bevor mir endgültig der Kragen platzt – das Angebot, mir Dein Problem-, Verantwortungs- und Unrechtsbewusstsein zu zeigen, Dich anständig – ohne Polemik und eristische Dialektik – bei mir zu entschuldigen, gutes Karma zu schaffen und mir ein FAIRES Angebot zu machen, mich für die Verletzung meines Urheberrechts und die damit einhergehende Problematik zu entschädigen. […]«
Erfreulicherweise war die Antwort auf meine Email – die erst einige Tage später eintrudelte – schon deutlich kooperativer. Was auch mit meinem Hinweis zusammenhängen könnte, dass es juristisch keinen Unterschied macht, ob ein Plagiat mit Vorsatz oder aus Versehen produziert wird. Jetzt zeigt der CSW-Verlagschef mehr Verständnis, ist aber der Ansicht, dass ich mit Kanonen auf Spatzen schieße – was erneut eine ziemlich rhetorische Umkehrung von Täter und Opfer ist. Zumindest scheint er nun auf mich zugehen zu wollen: Er betont noch einmal, bereits gesagt zu haben, dass es ihm leid täte und dies ebenfalls einschlösse, dass er die Sache wieder gerade biegt. Dafür wolle er sich noch am selben Abend (des 16.10.2012) Zeit nehmen. Und Zeit hat er sich genommen. Bis heute. Selbst nach nochmaliger Nachfrage und der Bitte um Eile in dieser – nervlich ziemlich belastenden – Angelegenheit, hat sich der CSW-Verlagschef nicht mehr bei mir gemeldet und zum Plagiat geäußert. Tja, und nun?


Ich bin jetzt ziemlich enttäuscht. Nicht nur als jemand, der mit Schreiben einen Teil seines Lebensunterhalts verdient, sondern auch als Mensch, der sich fortschreitender Ignoranz, Polemik sowie fadenscheinigen Hinhalte- und Marginalisierungs-Taktiken ausgesetzt sieht. Ich wünsche mir im (Arbeits-)Alltag von Kollegen, Vorgesetzten, Vertragspartnern und allen anderen Mitmenschen fair und ehrlich behandelt zu werden. Das sehe ich allerdings in meinem Kontakt zum CSW-Verlag (und abgeschwächt zur Redaktion der RETRO) nicht mehr gegeben. Zu keinem Zeitpunkt wurde aktiv und unaufgefordert auf eine faire Lösung hingearbeitet bzw. mir ein ernstzunehmendes Angebot gemacht. Ich verstehe nicht, wie man sich so unprofessionell verhalten kann. Gerade in Zeiten, in denen es freie Autoren sowieso schon schwer genug haben, fehlen mir da die Worte. Meine Rezension mag nicht einer meiner längsten oder wichtigsten Texte sein, aber wertlos oder gemeinfrei ist sie nicht. Ich bin nicht gekommen, um mich zu bereichern, sondern lediglich, um auf einen sehr ernsten – und juristisch relevanten – Fehler hinzuweisen und um eine Korrektur sowie eine Entschädigung für die angefallene Arbeit und die entstandenen Kosten (bzw. das ausgebliebene Honorar) zu bitten. Das ist nicht zu viel verlangt, oder?

Wie ich nun weiter vorgehen möchte:
  1. Diesen Blog-Beitrag verbreiten
  2. Amazon.de auf das Plagiat aufmerksam machen
  3. Die (angekündigte) Rechnung & eine Unterlassungsaufforderung schreiben
  4. Mir einen Rechtsanwalt suchen
  5. Nicht locker lassen – Plagiate verjähren erst nach drei Jahren
  6. Wie es aussieht, können wir uns doch einvernehmlich einigen...
Ich freue mich über Hilfe bei der Weiterverbreitung dieses Textes, hoffe auf ein wenig Öffentlichkeit und freue mich über Tipps und Unterstützung für die geplanten Handlungsschritte. Vielen Dank an alle, die mir moralische Rückendeckung geben bzw. mir bereits gegeben haben!

Ein "mächtiger" Kulturwissenschaftler

Samstag, 13. Oktober 2012

researching games 2012 – Zwischen|Welten: Atmosphären im Computerspiel.

(Am 6. und 7. Oktober 2012 war ich auf dem »researching games« Barcamp, das Jahrestreffen der deutschen Spieleforschung in Wiesbaden. Wie schon im letzten Jahr gab es viele spannende Vorträge, nette Gespräche und Spiele jenseits des »friendly space«. Slotpläne, Mitschriften und weitere Dokumentationen gibt es (bald) hier. Angelehnt an den geplanten Game Studies-Sammelband »Zwischen|Welten«, habe ich etwas zur Ästhetik der Atmosphären im Computerspiel erzählt. Schließlich scheint es eine deutliche Entwicklung zum atmosphärischen Spiel zu geben. Höchste Zeit also in den Game Studies nach anderen Methoden und Begrifflichkeiten Ausschau zu halten, die diesem Trend gerechter werden und Computerspiele aus einer subjektiveren Perspektive betrachten. Das Abstract und die Folien des Vortrags stehen bereit; Raum abdunkeln, Kerzen anmachen und atmen:)

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Abstract
Mit seinen »Essays zur neuen Ästhetik« (1995) beginnt der deutsche Philosoph Gernot Böhme bereits Mitte der 1990er mit dem Versuch, den Begriff der Atmosphäre – „die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen“ – zu schärfen und als Grundbegriff für eine neue Ästhetik zu etablieren, die den Fokus auf ihre ursprünglichen Wurzeln setzt: Sie soll wieder eine Wahrnehmungslehre statt ein Mittel zur Urteils- und Kunstkritik sein. Gleichzeitig beginnen EntwicklerInnen – spätestens seit den frühen 00er-Jahren – die Potenziale des Mediums Computerspiel neu zu entdecken und auszuschöpfen. Immer mehr Spiele – häufig aus der Independent Gaming-Szene – rücken traditionelle Spielmechanismen – also zeit-, entscheidungs- und konfigurationskritische Abfragen der SpielerInnen – zugunsten einer betonten Erlebnishaftigkeit in den Hintergrund. In vielen Fällen ist das Evozieren einer Atmosphäre sogar die zentrale Intention der Spiele. Der Vortrag ist eine erste Bestandsaufnahme dieses Trends und stellt den Terminus der Atmosphäre als möglichen Gegenstand und Instrument der Game Studies vor.

Mittwoch, 19. September 2012

Picture Postcards from Proteus

(Gerade ist kein neues Textmaterial parat. Daher gibt's jetzt Urlaub auf der Insel. »Proteus« ist ein Paradebeispiel für die Ästhetik der Atmosphären im Computerspiel. Zum Beweis habe ich ein paar Fotos gemacht. Das Praktische: Die »Postcards« sind gleichzeitig Spielstände – dank eines kaum sichtbaren Pixel-Codestreifens am unteren Bildrand – und können damit erneut sinnlich zum Klingen gebracht werden. Spielbare, explorative, akustische Gemälde! Einfach die entsprechende Bilddatei in den »Postcards«-Ordner [Eigene Dateien -> Proteus -> Postcards] kopieren und los…)

„Mit dem Wort »ästhetisch« nehmen wir Bezug auf Epiphanien, die es bewirken, daß wir zumindest für Momente nicht nur mit dem Geist, sondern mit dem Körper davon träumen, es ersehnen und uns vielleicht sogar daran erinnern, wie vortrefflich es wäre, in unserem Leben im gleichen Rhythmus zu schwingen wie die Dinge dieser Welt.“ (Hans Ulrich Gumbrecht)
„Es bleibt also dabei, daß das Atmosphärische der Natur als Sujet der Malerei nicht recht taugt. Unter dem Aspekt seiner charakteristischen Räumlichkeit dürfte es in Raumkünsten wie der Musik oder vielleicht auch der Lyrik, insofern sie gesprochene Sprache ist, eher seinen Ort finden.“ (Gernot Böhme)

Postkarten von der Insel:

Montag, 10. September 2012

> write about CYPHER on Superlevel ❚

(Ich entdecke ja gerade meine Liebe zu Text-Adventures und Visual Novels wieder, solange sie gut gemacht sind. »Digital: A Love Story« war beispielsweise absolut großartig! Und »CYPHER: Cyberpunk Text Adventure« versprach ebenso toll zu werden, zumindest wenn man sich von der offiziellen Homepage und dem Trailer blenden ließ. Aber leider handelt es sich um einen klassischen Fall von »style over substance«. Idee und Präsentation sind klasse, aber das Spiel wird durch einen überpingeligen Text-Parser zur Tortur. Auf Superlevel habe ich mein Leid dazu geklagt… Text-Adventure-Style:)

> tease article 

Du sitzt vor dem Computer und sollst einen Artikel zu CYPHER: Cyberpunk Text Adventure von den Cabrera Brothers schreiben. Du magst die 80er, Blade Runner ist einer Deiner absoluten Lieblingsfilme und William Gibsons Neuromancer-Trilogie hat Dein Faible für Cyberpunk geweckt. Der Raum füllt sich mit den sanften Synthesizerklängen von Vangelis und Dein Schreibtisch wird nur vom fahlen Licht einer Energiesparlampe erhellt. Deine Finger berühren die Tastatur…

> ❚


> read on article ❚

Dienstag, 4. September 2012

Digital Games: A Love Story. Zum Verhältnis von Literatur und Computerspiel.

(Am 26. Juli 2012 erschien die 33. Ausgabe der »BELLA triste«, einer feinen Zeitschrift für junge Literatur. Und ich war in der Rubrik »LUX« mit einem schönen Essay zur schwierigen Ehe von Literatur und Computerspiel mit dabei. Nach gebührendem zeitlichen Abstand gibt's den ganzen Text nun auch online:)


BELLA triste #33
Zeitschrift für junge Literatur
ISSN 1618-1727
Preis (D) 5,35 €
Es beginnt – wie so vieles – mit einer Liebesgeschichte. William und Patricia Crowther lernen sich irgendwann in den 1960ern am MIT kennen, heiraten und bekommen zwei Kinder. Will programmiert Routing-Protokolle für das ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network), den militärisch-akademischen Vorläufer des Internets. Pat erforscht Höhlensysteme und entdeckt 1972 auf einer Expedition die Verbindung zwischen der Mammoth Cave und dem Flint Ridge Cave System in Kentucky. 1973 kommt es zur Scheidung. Pat heiratet erneut; ihren Expeditionsleiter. Will verarbeitet die Trennung auf nerdige Weise: Er kombiniert die Routing-Probleme des ARPANET mit den nostalgischen Erinnerungen an die gemeinsamen Mammoth Cave-Ausflüge und einer Prise Dungeons & Dragons. Es ist – wortwörtlich – die ›Ankunft‹ des ersten Text-Adventures: ADVENT (1976). Der Computer flirtet mit Literatur.


»This is a path winding through a dimly lit forest.«

Durch die Knotenpunkte eines Computer-Netzwerkes zu navigieren, ist der Wegfindung in einem Höhlensystem recht ähnlich. Es gibt große Räume – Knotenpunkte oder ›Nodes‹ – und es gibt verbindende Gänge – Verknüpfungen oder ›Links‹. Die aus Fantasy-Literatur und Pen&Paper-Rollenspielen entliehenen Dungeons früher Text-Adventures wie Zork (1980) bilden eine geeignete Metapher für die Logik von Netzsystemen. Zwischen Nodes zu navigieren und dann Datensätze mit Hilfe kryptischer Befehle und alphanumerischer Adressen zu verlinken, ist kein anspruchsloses Unterfangen. Aber ›go north‹ und dann ›use key with door‹ geht jedem, der halbwegs alphabetisiert ist, leicht von der Hand auf die Tastatur. Literatur dient hier, so stellt der Medienwissenschaftler Claus Pias fest, der Produktion von »Übergangswahrscheinlichkeit« [1]. Die Beschreibung eines Höhlensystems und die Queste eines Helden legt sich wie eine Folie über die abstrakten Datenbankstrukturen des Computers und ermöglicht Orientierung. Je bekannter, je zwingender das literarische Klischee, desto besser. Aus Höhlenwänden ist kein Entkommen und seit Rotkäppchen verlässt niemand mehr den sicheren Pfad. Literatur ist Interface. Literatur ist Kontrollinstanz. Zweckehe.

Zork (Screenshot: Christian Huberts)

Infocom und andere Entwickler produzieren – inspiriert durch ADVENT – einen stetigen Fluss erfolgreicher Text-Adventures. Und je häufiger die Spieler, ohne es zu merken, durch mathematische Graphensysteme rauschen und Datensätze miteinander verlinken, desto mehr verinnerlichen sie die logischen Strukturen des Computers. Die Rolle von Text als Interface wird unbedeutender. Redundanz und Kontingenz müssen nicht mehr um jeden Preis verhindert werden; die Spieler finden sich auch so zurecht. Selbst gestandene Autoren erkennen jetzt das literarische Potential digitaler Spiele. Ray Bradbury ist direkt an der Entwicklung von Fahrenheit 451 (1986), dem Computerspiel-Sequel seines gleichnamigen Science-Fiction-Romans, beteiligt. Und dem Text-Adventure The Hitchhiker's Guide to the Galaxy (1984) merkt man den unmittelbaren Einfluss von Douglas Adams jederzeit an. Schon ein dem Spiel unbekanntes Wort hat – in Kombination mit Löchern im Raum-Zeit-Kontinuum und kriegsgeilen Außerirdischen – absurde Konsequenzen: »You have destroyed most of a small galaxy. Please pick your words with greater care.« Auch im Hitchhiker's Guide geht es darum, die korrekte Konfiguration von Wörtern zu finden, um reibungslos zum Zielknoten eines Netzwerkes zu gelangen. Aber noch viel mehr muss nun der skurrile Humor eines Autors durchdrungen werden. Besonders wenn es darum geht, unbeschadet durch einen Türrahmen zu kommen: »You miss the doorway by a good eighteen inches.« Doch selbst wenn Arthur Dent die richtigen Worte und seine Aspirin rechtzeitig findet, die Welt der interactive fiction muss ab Mitte der 1980er unaufhaltsam einem eleganteren Interface zum Computer Platz machen. Text ist einfach zu »mostly harmless«.


Narratologie vs. Ludologie

›Show, don‘t tell‹ ist das Erfolgsrezept im Point-and-Click-Grafik-Adventure. Literatur in The Secret of Monkey Island (1991) & Co. ist beschränkt auf Dialog beziehungsweise Monolog und dient nun hauptsächlich zwei Funktionen: Erstens gibt sie Hinweise auf die Lösung von Rätseln und zweitens belohnt sie das erfolgreiche Lösen von Rätseln. Klassische Adventure-Autoren, wie Ron Gilbert und Tim Schäfer, sind für ihren Humor berühmt, der wunderbar mit dem Rätsel-Design harmoniert. Ein gelungener Gag (»How appropriate. You fight like a cow!«) ist Grund genug, um die Variablen der Spielwelt zielführend zu konfigurieren. Text als Mittel zur Charakterentwicklung – jenseits der gröbsten Klischees –, so wie es Jane Jensen erfolgreich mit Gabriel Knight (1993) durchgezogen hat, bleibt die Ausnahme oder fällt bei der Zielgruppe durch. Ob Guybrush Threepwood, Dr. Henry Jones oder Larry Laffer, die Spielfigur ist am Ende eine bloße Verlängerung des Cursors. Und ein Stereotyp bietet mehr Freiraum für die Spielerin als ein scharfes Charakterprofil. Der Cybertext-Autor Markku Eskelinen bringt es polemisch auf den Punkt: »If I throw a ball at you I don't expect you to drop it and wait until it starts telling stories.« Damit beginnt der vorerst größte Konflikt in den internationalen Game Studies: Narratologie vs. Ludologie. FIGHT!

Während in den späten 1980ern und den frühen 1990ern die blassen, introvertierten Kinder in ihren Kellerzimmern von karibischen Inseln und diesen schicken Lederjacken träumen, hängen die coolen Kids in der Arcade ab und spielen ›richtige‹ Spiele. Der einzige Text, den hier alle früher oder später zu lesen bekommen, ist »Game Over«. Wen interessiert es schon, dass es in dem Arcade-Klassiker Donkey Kong (1981) um einen Gorilla geht, der Pauline, die Freundin von Jumpman (erst später: Mario) entführt hat? Computerspiele, soweit die Tautologie, sind Spiele und keine Geschichten. Wie schon beim Text-Adventure ist Literatur ein Gimmick, das bestenfalls einen redundanten Rahmen für Spiel schafft, aber nie selbst Spiel ist. So auch die Argumentation der Ludologen: Computerspiele sind Regel- und Spielsysteme, die keine Narration brauchen, um zu funktionieren. Besonders Puzzlespiele wie Tetris (1984) zeigen das auf zeitlos abstrakt-schöne Weise. Im Gegensatz zu früheren Medienformen – wie der Kulturwissenschaftler Alexander R. Galloway feststellt – müssen Computerspiele ›aktiviert‹ werden: »[W]hat used to be the act of reading is now the act of doing, or just ›the act‹.« Die Narratologie – bequem im literaturwissenschaftlichen Muff eingemummelt – kontert träge mit Jorge Luis Borges und behauptet nicht ganz zu unrecht das Computerspiele doch in etwa wie Der Garten der Pfade, die sich verzweigen (1944) sind. Zu oft spielt dabei jedoch das Missverständnis eine Rolle, bei Programmiersprache handle es sich um die Sprache des Computers. Dabei ist sie eigentlich nur eine Handreichung, eine Metapher für all jene, die zu dumm sind, die ephemeren Abläufe der central processing unit (kurz: CPU) direkt zu begreifen. Computerspiele sind in ihrem Kern elektronisch beschleunigte Zahlenmystik, kein unkompilierter Quelltext, den man bei einem Glas Wein im Ohrensessel genießen kann. Der Dichter Charles Bernstein fasst das kompakt zusammen: »If a typewriter could talk, it would have very little to say […]. But these microchips really blow you away.« [2]

Pac-Txt (Screenshot: Christian Huberts)

Mittlerweile beweisen die Game Studies mehr common sense und machen Kompromisse: Spiele brauchen nicht zwingend eine Geschichte, aber sie können trotzdem eine erzählen, mit Text und dem ganzen Drum und Dran. Literarizität ist als kulturelle Form im Computerspiel etabliert. Niemand käme mehr auf die Idee, sie als Inhalt des Mediums zu streichen – auch wenn die Botschaft des Mediums eine andere ist. Unverbesserliche Spielverderber weisen dennoch auf die Absurdität dieser ungleichen Beziehung hin. Von besonderer konzeptioneller Schönheit ist die Umsetzung von Pac-Man (1980) als Text-Adventure: »You awaken in a large complex, slightly disoriented. Glowing dots hover mouth level near you in every direction.« Pac-Txt (2007) zeigt mit brachialer Einfachheit, was passiert, wenn man den Akt des Spielens in konfigurierbaren Text verwandelt: >eat dot (»You have eaten the glowing dot!«), >forward (»You have moved.«), >eat dot (»You have eaten another glowing dot!«), >forward (»Umph! You walked into a wall.«). Nein, eine (Text-)Datenbank kann die instantanen Prozesse der CPU nicht ersetzen. In den letzten 30 Jahren hat sich jedoch viel getan und die amüsierte Polemik zerbricht an der spielerischen Realität. Spätestens seit Tomb Raider (1996) – so der Medienwissenschaftler Mathias Mertens – wird ebenfalls gespielt, »um zusehen zu können, um die Datenbank zu mobilisieren.« Es gibt kaum ein aktuelles Spiel, das ohne epische Geschichte, worldbuilding, transmedia storytelling und die Dialoge professioneller Autorinnen auskommt. Man hat sich aneinander gewöhnt.


Waffenstillstand

Ein wenig trügt die Waffenruhe zwischen Literatur und Spiel, denn Erzählung findet meist erst dann statt, wenn die Gewehre schweigen und die blutbeschmierten Schwerter wieder in ihren Scheiden stecken. ›Zwischensequenz-Wegdrücker‹ und ›Text-Weiterklicker‹ mögen holprige Begriffe sein, sind aber auch etablierte Charakterisierungen eines verbreiteten Spielertypus. Wenn Computerspiele große Literatur sein wollen und etwas von Bedeutung erzählen möchten, in Ordnung, aber das soll dann bitte nicht stören! Professionelle Spiele-Autorinnen, wie Rhianna Pratchett (ja, die Tochter von Terry), werden zwar PR-wirksam vorgeführt, scheinen es sich aber zur Aufgabe gemacht zu haben, in ihren Spielen nicht aufzufallen. Die Story von Mirror‘s Edge (2008) passt locker auf einen Bierdeckel. Austoben können sich Autoren erst im ›Buch zum Spiel‹, das – vom StarCraft- bis zum Splinter Cell-Franchise – die Science-Fiction- und Fantasy-Regale der Bahnhofsbuchhandlung verstopft. Aber selbst das brillanteste Stück Literatur taugt am Ende nichts, wenn das Computerspiel dahinter nicht gut ist. Die eigentliche Kunst ist, Literatur und Computerspiel so zusammenzubringen, dass am Ende beide Seiten davon profitieren, dass die Narration mehr ist als eine Rechtfertigung, um Nazis zu töten, dass das Spiel mehr ist als ein notwendiges Übel, um seine Geschichte zu erzählen.

Tatsächlich ist vielen Spielen aus dem Mainstream die Symbiose bereits gelungen. Und sie ist um so besser gelungen, je enger Autor und Game-Designer zusammenarbeiten beziehungsweise zusammenfallen. Nicht jede Spielmechanik eignet sich für jede Geschichte. Und nicht alle narrativen Strategien oder Perspektiven eignen sich für ein Computerspiel. Das Rollenspiel-Genre hat es relativ gut getroffen und kann viele Positivbeispiele vorweisen – vor allem wegen der offensichtlichen Nähe zum Pen&Paper-Rollenspiel. So hat das Genre-Meisterwerk Planescape: Torment (1999) nicht nur etwa 1,5 Millionen Textzeilen zu bieten, sondern vollführt auch das Kunststück, diesen Literaturwust in der Datenbank sinnvoll und untrennbar mit der Spielmechanik zu verweben. Das Schicksal des unsterblichen Helden, der nach jedem Tod in eine Welt wiedergeboren wird, in der er bereits in unzähligen Leben Spuren hinterlassen hat, ist eine wunderschöne Analogie auf Computerspiele. Wie in einem Buch liest die Spielerin, mit jedem Schritt in der weiträumigen Spielwelt, über die Vergangenheit ihrer Spielfigur. Das Ego-Shooter-Genre ist schon eher ein Sorgenkind. In den meisten Fällen reicht es, narrativ festzulegen, wer die Bösen sind, damit der Spaß beginnen kann. Die Call of Duty-Serie ballert mit dieser Strategie Hollywood-Blockbuster regelmäßig von ihrem Thron. Deus Ex (2000) erzählt seine Geschichte hingegen größtenteils abseits filmischer Zwischensequenzen über in der Spielwelt verteilte Textdokumente. Zeitungsausschnitte berichten von sozialen Umbrüchen, Briefe geben Zeugnis elterlicher Liebe, Kochrezepte laden zum Backen von chinesischen Brötchen ein und Auszüge aus Gilbert Keith Chestertons The Man Who Was Thursday (1907) werfen Parallelen zur zentralen Verschwörungstheorie des Spiels auf. Aus den Literaturfragmenten setzt sich nach und nach ein dichtes narratives Spieluniversum zusammen. Und am Ende weiß niemand mehr so genau, auf wen man eigentlich noch ohne schlechtes Gewissen ballern kann. Das Action-Rollenspiel Skyrim (2011) treibt das literarische worldbuilding soweit, dass über 300 Bücher mit insgesamt mehreren Tausend Seiten in der gleichnamigen Spielwelt zu finden sind. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wer Narration will, kann sich nahezu unbegrenzt mit Spiel-interner Recherche beschäftigen. Wer keinen Bock hat zu lesen, jagt dem nächsten Troll ungestört einen Pfeil in die Kniescheibe. Die perfekte Partnerschaft.


It just ain't your story

Der Kompromiss stinkt: Bislang ist da ›nur‹ Computerspiel mit Literatur, aber kein Spielen am Computer mit Literarizität. Der Datenbank ist es gleichgültig, womit sie gefüllt wird. Wo es jedoch darum geht, ganz konkret mit Text zu spielen und eine Poetik der CPU zu schaffen, bleibt es bei witzigen Spielereien ohne Tiefgang. The Typing of the Dead (2000) lässt uns durch das schnelle Tippen harmloser Wörter nicht nur Zombies abknallen, sondern bringt uns auch Schreiben nach dem Zehnfingersystem bei. Scribblenauts (2009) ist ein Spiel mit Semiotik und zaubert vom Spieler geschriebene Substantive – zur Lösung diverser Rätsel – in die Spielwelt. Das macht alles Spaß, die Erfüllung einer Autorin ist es hingegen kaum. Dabei beginnen die Kinder, die mit Computerspielen alphabetisiert wurden, gerade erst erwachsen zu werden. Sie verfügen erstmals über die nötige »gaming literacy« [3] – wie der Spieldesigner Eric Zimmerman es nennt –, to game literacy. Leider mag die Industrie weder ludische Experimente noch finanzielles Risiko. Die traurige Erfahrung zeigt, dass sich die meisten Spieler immer noch mit einem einfachen Tapetenwechsel in der Datenbank und einer höheren Zahl am Ende des Spieltitels zufrieden geben. Wer diese Geschichte nicht mag, muss sich eine eigene schreiben.

Today I Die (Screenshot: Christian Huberts)

Sowohl intuitive Werkzeuge als auch offene Vertriebswege stehen mittlerweile fast frei zur Verfügung. Das Ergebnis ist eine florierende, internationale independent gaming-Szene, die weitaus seltener vor Experimenten zurückschreckt. So hat beispielsweise Daniel Benmergui mit Today I Die (2009) ein kurzweiliges Puzzle-Gedicht geschaffen. Dear Esther (2012) von thechineseroom hebt – für einen atmosphärischen Hybriden aus Inselexpedition und Briefroman – gleich eine vollständige, wunderschön gestaltete Hebrideninsel [sic!] aus dem virtuellen Meer. Viele weitere gelungene Beispiele – Braid (2008), The Path (2009), Bastion (2011), Superbrothers: Sword & Sworcery EP (2011), etc. – ließen sich aufzählen. Mit zunehmenden Erfolg und steigender Relevanz, sind allerdings auch die Egos der Szene gewachsen und produzieren zunehmend ebenso massentauglichen wie prätentiösen Kunstkack. Der Vorwurf des arroganten Hipstertums trifft das independent gaming tief ins Mark. Mit ihrem Buch Rise of the Videogame Zinesters (2012) ruft die Game-Designerin Anna Anthropy daher dazu auf, wieder kleine, persönliche Wegwerf-Spiele zu produzieren. Mit Dys4ia (2012), dem spielbaren Erfahrungsbericht ihrer Hormonbehandlung, legt die Transgender-Frau gleich ein eindrückliches Beispiel dafür vor. Zwar entbehrt sie selbst nicht einer unangenehmen Arroganz gegenüber dem ›bösen‹ Mainstream, hat für Laien aber brauchbare Hinweise parat. Besonders Autoren profitieren von ausgereiften, kostenlosen Programmen, die es jedem ermöglichen, literarische Computerspiele zu produzieren. Richtet sich Inform in erster Linie an Freunde der interactive fiction – inklusive einer ›natürlichen‹ Programmiersprache –, lassen sich mit Ren‘Py komplexere visual novels ›schreiben‹. Neues Spielzeug, dass zum Experimentieren in einer eingeschliffenen Beziehung einlädt.

Als im Januar 2007 eine bishōjo-Skizze mit hübschen, aber körperlich behinderten Manga-Mädchen bei 4chan auftaucht, hätte wohl niemand damit gerechnet, dass daraus eine vollwertige, mit Ren‘Py erstellte visual novel entsteht. Kein großer Publisher würde ein solch heißes Eisen – romantische Verwicklungen an einer Sonderschule für Behinderte – auch nur mit der Kneifzange anfassen. Aber Teile der 4chan-Community haben sich in kürzester Zeit unter dem Namen Four Leaf Studios dem Projekt angenommen. Die Fallhöhe war groß, denn das bishōjo game-Genre ist eher Fetisch-fixiert und die Teilnehmer des imageboard sind für ihren pubertären Anarcho-Humor berüchtigt [4]. Doch Katawa Shoujo (2012) – japanisch für ›Krüppelmädchen‹ – ist eine sensible Geschichte über die Normalität von Behinderungen geworden. Mal von den fremdbeschämenden Sex-Szenen abgesehen, stört eigentlich nur der Mangel an Spiel. Ab und zu gilt es eine binäre Entscheidung zu treffen, aber davon abgesehen kommt das beständige Klick, Klick, Klick, Klick, Klick, Klick, Klick der Maus eher dem Umblättern von Buchseiten nahe als dem prozeduralen Charakter eines Computerspiels. Den Autoren der Dating-Romanze hat es nicht an Fleiß und Ambition gefehlt, aber gewiss an Talent und dem Verständnis der besonderen poetischen Ausdrucksmittel des Mediums.

Katawa Shoujo (Screenshot: Four Leaf Studios)

Alexander R. Galloway nennt es den »allegorithm« und der Game-Designer Ian Bogost spricht von »procedural rhetoric« [5]; beide Konzepte laufen darauf hinaus, mit Hilfe algorithmischer Prozesse, überzeugende Aussagen zu treffen. Wer bei einer Partie Monopoly (1935) schon einmal das Gefühl hatte, die Immobilienwirtschaft ist ein moralisch verkommener Geschäftszweig, weiß was gemeint ist. Die Ur-Version The Landlord´s Game (1904) von Elizabeth Magie Phillips sollte mittels ›rhetorischer‹ Spielregen eben genau das zum Ausdruck bringen. Wer als Autor also ein Computerspiel machen will, muss sich mit einer neuen Form digitaler Rhetorik vertraut machen und darüber nachdenken, wie sich literarische Themen und narrative Zusammenhänge durch die Prozesse des Computers repräsentieren lassen. Christine Love ist eine visual novel-Autorin, der genau das gelingt. Ihre Liebesgeschichten [sic!] handeln von der einen Sache, von der Computerspiele immer noch am besten erzählen können: Dem Computer.


Analogue: A Hate Story

Christine Loves übersichtliches, mit Ren‘Py produziertes Werk liest sich schon in den Titeln wie ein Abgesang auf totes Holz und überholte Medienkontexte. Sowohl don't take it personally, babe, it just ain't your story (2011) wie auch Analogue: A Hate Story (2012) erzählen von der Zukunft menschlicher Beziehungen – beeinflusst durch Computertechnologie. Brillant ist dabei, wie Love nicht versucht, mit dem Medium Computerspiel etwas zu erzählen, was sich damit nicht gut erzählen lässt: Menschliche Beziehungen. Statt nach literarischen Interface-Metaphern für den Computer zu suchen, macht sie den Computer zur Interface-Metapher für Literatur. In don't take it personally, babe trifft die Spielerin als Literaturlehrer bedeutsame, binäre Dialog-Entscheidungen gegenüber ihren Schülern. Dabei wird die klassische visual novel stets von einem Facebook-artigen sozialen Netzwerk überlagert, dass der Spielerin parallel Einblick in die privaten Textnachrichten ihrer Schützlinge gibt. Die prozedurale Rhetorik geht auf: Nutzt sie die Meta-Ebene der Statusmeldungen, um die Schüler entsprechend der eigenen Vorstellungen zu manipulieren oder respektiert sie ihre Privatsphäre? Die Schlusspointe des Spiels trifft schließlich überzeugende Aussagen zu sozialer Kommunikation im Zeitalter von Facebook & Co. Christine Love gelingt es, dass die Spieler ihre Erzählung – anders als es der Titel von ihnen verlangt – für einen Moment persönlich nehmen: Sie erwischt sie beim digitalen Voyeurismus.

Digital: A Love Story (Screenshot: Christine Love)

Ihr bisheriges Meisterwerk ist Christine jedoch mit Digital: A Love Story (2010) gelungen. Das mediennostalgische Text-Adventure führt den Spieler zurück an den Anfang. Über ein der Amiga Workbench nachempfundenes Betriebssystem navigiert er durch die Knoten des Bulletin Board System (kurz: BBS) und stattet selbst dem ARPANET einen Kurzbesuch ab. Er durchforstet William Gibson- und Star Trek-Fanboards, liest Textnachrichten, wählt lange Telefonnummern und knackt Codewörter; diesmal ohne die redundante Erzählung eines Dungeons. Der Computer wird zur Literatur. Routing-Probleme werden als Routing-Probleme verpackt, die Literatur – im Sinne von Claus Pias – gestrichen. Der Spieler braucht keine literarische »Übergangswahrscheinlichkeit«, um der spannenden Verschwörungs- und Liebesgeschichte rund um die Anfänge des Internets, Computerviren und künstlichen Intelligenzen auf die Schliche zu kommen. Manchmal muss eine unproduktive Beziehung enden, um produktiv zu wirken. Will und Pat Crowthers Scheidung brachte Literatur und Computerspiel im Text-Adventure ADVENT zusammen. Die Scheidung von Text-Adventure und Literatur bringt nun neue Formen der Literarizität hervor: Digital: A Love Story. Man kann nicht ›für‹ ein Computerspiel schreiben, man muss ein Spiel mit dem Computer schreiben. Wer das als Autor missachtet, produziert entweder schlechte Texte oder schlechte digitale Spiele. Auch die Liebesgeschichte von Computerspiel und Literatur ist also am Ende eine tragische:
»And now we finally have this sorrowful peace;

Machines now boot, network traffic flows across.

But remember who caused the onslaught to cease:

those two impossible lovers suffering ultimate loss.«


Anmerkungen

[1] Wer mehr über die Zusammenhänge von mathematischen Graphen, Erzähltheorie und Adventures erfahren möchte, dem sei der ganze Aufsatz »Adventures Erzählen Graphen« von Claus Pias empfohlen. Zu finden im Reader Neue Medien (2007, transcript, 398-419) herausgegeben von Karin Bruns und Ramón Reichert.

[2] Als Medienwissenschaftler ist es ein bisschen beschämend zuzugeben, aber einer der besten Essays, die je zum Computerspiel geschrieben wurden, stammt von einem Poeten und Literaturwissenschaftler, der obendrein kaum je gespielt hat. Charles Bersteins »Play It Again, Pac-Man« ist zu lesen in The Medium of the Video Game (2001, University of Texas Press, 155-168) herausgegeben von Mark J. P. Wolf.

[3] Mehr über das heiß diskutierte Konzept der »Gaming Literacy« findet sich in dem Essay »Game Design as a Model for Literacy in the Twenty-first Century« von Eric Zimmerman. Der Text ist erschienen im The Video Game Theory Reader 2 (2009, Routledge, 23-31) herausgegeben von Bernard Perron und Mark J. P. Wolf.

[4] »Never gonna give you up, never gonna let you down, never gonna run around and desert you…« You have been rick rolled!

[5] Eine ausführliche Definition und Einsatzmöglichkeiten prozeduraler Rhetorik sind zu entdecken in Ian Bogosts Buch Persuasive Games – The Expressive Power of Videogames (2007, The MIT Press).

Donnerstag, 30. August 2012

Between|Worlds: A List of Atmospheric Games.

(We – Sebastian Standke and myself – claim that there is a significant trend towards video games that focus on the production of  atmospheres. Here is an alphabetical list of games that support our claim and are worth your while:)

»Spätestens seit den frühen 00er-Jahren beginnen EntwicklerInnen, die Potenziale des Mediums Computerspiel neu zu entdecken und auszuschöpfen. Immer mehr Spiele – häufig aus der Independent Gaming-Szene – rücken traditionelle Spielmechanismen – also zeit-, entscheidungs- und konfigurationskritische Abfragen der SpielerInnen – zugunsten einer betonten Erlebnishaftigkeit in den Hintergrund. […] In einigen Fällen ist das Evozieren einer Atmosphäre sogar die zentrale Intention des Spiels […].« (Call for Papers: Zwischen|Welten. Atmosphären im Computerspiel.)
»At the latest since the early 2000’s, game developers began anew to discover and exhaust the potentials of the medium of the video game. More and more games – often designed in the independent gaming scene – move traditional game mechanisms – time-, decision- and configuration-critical queries to the players – into the background in favor of an emphasized ‚Erlebnishaftigkeit‘ – the presence of a (gaming) experience, so to speak. […] In many cases, the evoking of an atmosphere even is the central intention of the game […].« (Call for Papers: Between|Worlds. Atmospheres of video games.)

Mittwoch, 29. August 2012

Computerspiele und ihre Rezipienteneinbindung: Marshall Mcluhans Kategorien „Heiß“ und „Kalt“ in Bezug auf ausgewählte Spielbeispiele. Schriftliche Diplomarbeit.

(Seit nunmehr fast 4 Jahren versauert meine Diplomarbeit »Computerspiele und ihre Rezipienteneinbindung –
Marshall Mcluhans Kategorien „Heiß“ und „Kalt“ in Bezug auf ausgewählte Spielbeispiele« im hintersten Winkel der Universitätsbibliothek Hildesheim. Das geht doch nicht! Schließlich handelt es sich noch immer um einen guten Text zur Ästhetik von Computerspielen und um die Grundlage für mein Buch »Raumtemperatur«. Höchste Zeit also, dass ich die Abschlussarbeit optisch ordentlich aufpoliere und für alle Interessierten kostenlos in's Internet stelle. Here you go:)

⇱ PDF-Download (ca. 13 MB)
»Also: Computerspiele sind kalt, weil sie einen Spieler brauchen, der sie vollzieht. Computerspiele sind heiß, weil sie den Vollzug des Spiels reglementieren und kontrollieren. Computerspiele sind lauwarm, weil sie Gleichgewichte herstellen zwischen ihren heißen und kalten Momenten. Und schließlich: Computerspiele sind heiß oder kalt, je nachdem, welche anderen Medien sie in welcher Intensität benutzen, um ihre Konflikte und Prozesse zu inszenieren. Sie werden entweder zu Büchern, Filmen oder Radios, oder sie werden zu computerisierten Prozessen. Heiß oder kalt. Hardware oder Software. CPU oder ROM. Halluzination oder Hypnose.« (S. 28f.)

Donnerstag, 23. August 2012

Interview zu Computerspielsucht auf RADIO 21

(Am 12. Juli 2012 war ich zu Besuch bei RADIO 21 in Garbsen und habe Moderatorin Silvia Ochlast Rede und Antwort zum Thema »Computerspielsucht« gestanden. Zur Unterstützung der Therapiestation für Kinder und Jugendliche »Teen Spirit Island« wurde eine ganze Woche lang zu den möglichen Gefahren von Computerspielen und dem Internet berichtet. Dabei kamen sowohl Betroffene als auch Experten verschiedener Fachgebiete zum Thema zu Wort. Ich habe mich in der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit bemüht eine möglichst differenzierte Perspektive als Medien- und Kulturwissenschaftler einzunehmen:)


(©NiedersachsenRock 21 GmbH & Co KG 2012)


Ein paar interessante Links zum Thema:

Dienstag, 21. August 2012

Sortieren, Sammeln, Suchen, Spielen: Die Datenbank als mediale Praxis (Teaser)

(Knapp 18 Monate ist es her, dass ich auf der Tagung »Sortieren, Sammeln, Suchen, Spielen: Die Datenbank als mediale Praxis« einen Vortrag zur »Datenbank-Ästhetik von Computerspielräumen« gehalten habe. Nun ist endlich der offizielle Tagungsband im LIT Verlag erschienen. Inklusive eines ausgearbeiteten und um einen Vortrag von Robin Krause [»Datenbanken als Spielräume«] erweiterten Artikels von mir. Zu kaufen gibt's das gute Stück wie immer bei Amazon.de. Und nun ein kleiner Teaser:)



Datenbanken als Spielräume
– »This is a path winding through a dimly lit forest«
»The new media object consists of one or more interfaces to a database of multimedia material« – Lev Manovich (2001, 227)
Stefan Böhme, Rolf F. Nohr,
Serjoscha Wiemer (Hrsg.)
Sortieren, Sammeln, Suchen, Spielen:
Die Datenbank als mediale Praxis.

Medien'welten, Bd. 20, 2012, 352 S.,
29.90 EUR, br., ISBN 978-3-643-11728-1
Die Datenbank ist die dominante kulturelle Form der Informationsgesellschaft und bildet nach Lev Manovich, gemeinsam mit den zur Prozessierung ihrer Daten angewandten Algorithmen, das Fundament aller digitalen Artefakte (vgl. 2001, 226). Wir begegnen ihr ebenso beim Durchforsten des Internets oder der heimischen Festplatten, sowie auch bei einer Wanderung durch die virtuellen Märchenwälder fantastischer Computerspiele. Die Datenbank ist ubiquitär geworden und mit ihrer Hilfe erklären wir uns die Welt und verleihen unseren persönlichen Erfahrungen Ausdruck. Digitale Foto- oder Musiksammlungen und viele andere Beispiele zeigen, dass wir in unserem Alltag bewusst und unbewusst mit der Datenbank als kultureller Form spielen. In Anbetracht einer Welt, die im Zuge ihrer Digitalisierung zunehmend als Ansammlung von Daten entworfen wird, erscheint eine Auseinandersetzung mit der Funktionsweise und Ästhetik von Datenbanken daher mehr als notwendig.
»[If] the world appears to us as an endless and unstructured collection of images, texts, and other data records, it is only appropriate that we will be moved to model it as a database. But it is also appropriate that we would want to develop a poetics, aesthetics, and ethics of this database« (ebd. 2001, 219).
[…] Im Folgenden wird ein erster Einblick in die Ergebnisse dieser Arbeit geliefert und die Datenbank als Objekt ludischer Räume näher beleuchtet. Anhand populärer Datenbanken und ausgewählter Computerspiele wird untersucht, wie das Verhältnis von Inhalt und Interface die Ästhetik der Datenbank definiert und ebenso ihr ludisches Potential beeinflusst. Die Datenbank wird dabei stets als durch ein Interface vermittelter Inhalt verstanden und ist außerhalb dieser hybriden Konstruktion nicht wahrnehmbar. Dabei gilt grundsätzlich, dass das Interface und der Inhalt maßgeblich formen, was der User als Datenbank erfährt und wie er mit ihr spielen kann. »[F]rom the point of view of the user‘s experience […] [databases] appear as collections of items on which the user can perform various operations – view, navigate, search« (Manovich 2001, 219).

Die Datenbank wird also in erster Linie aus der Perspektive des Users betrachtet, der sie im konkreten Vollzug der Anwendungs- oder Spiel-Software als emergentes räumliches Ereignis im Zusammenspiel von Interface und Inhalt erlebt. So partizipiert der Spieler beispielsweise in Computerspielen nicht nur an einer Datenbank als emergenter Spielraum, sondern bewegt sich parallel dazu auf der Ebene der Software durch eine topografisch organisierte Datenbank. Mit Hilfe eines Interfaces ruft er diese auf und stellt zwischen ihren Inhalten logische Verknüpfungen her. »Datensätze, Dokumente oder Diskurselemente haben Positionen oder Orte. Sie liegen in der Topografie eines Netzes oder einer Karte als Knoten vor, die durch Kanten verbunden werden, die der Benutzer […] einzeichnet« (Pias 2007, 414). Der Spieler begegnet der Datenbank also zur gleichen Zeit als einem technologischen Artefakt, das er konkret durchsucht und bedient, und als einem Spielraum, den er performativ erfährt. Diesem Doppelcharakter der  Datenbankästhetik wird Rechnung getragen, indem einerseits phänomenologisch auf das Spielerlebnis Bezug genommen und andererseits die ontologische Eigenständigkeit des Untersuchungsgegenstandes nicht außer Acht gelassen wird. Eine scharfe Trennung der Untersuchungsperspektiven ist in diesem Kontext weder stets gegeben noch in jedem Fall sinnvoll und macht – in begrenztem Rahmen – zuweilen einer produktiven analytischen Unschärfe Platz.

Die Untersuchung beginnt dazu analog an den unscharfen Rändern einer Ästhetik topografischer Datenbanken, also mit kulturgeschichtlichen Welt- und Datenbankmodellen, die als Vorläufer moderner Datenbanken gelten können: Die Karte und der Globus. Sie erlauben uns einen distanzierten und objektiven Blick auf die Erde und machen es möglich, die Welt mit einem Blick in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Mit Lev Manovich gesprochen sind Globen als auch Karten kulturelle Formen. Sie sind allgemein gültige und für die Allgemeinheit verständliche Mittel, »to represent human experience, the world, and human existence in this world« (Manovich 2001, 215). Mit der Karte oder dem Globus halten wir die Welt sprichwörtlich in unseren Händen und können mit dem Zeigefinger auf Reisen gehen. In ihrer ursprünglichen Form, als von Künstlern oder Kartographen bemalte Pergamente oder Plastiken, wecken diese Weltmodelle unseren Entdeckergeist. Insbesondere die weißen Flecken und Fabelwesen an den Rändern mittelalterlicher und antiker Weltdarstellungen lassen uns von Abenteuern, verwunschenen Orten und versteckten Schätzen träumen. Über die Ränder hinaus führt ein Pfad durch einen schwach beleuchteten Wald. […]


Bibliografie
  • Manovich, Lev (2001) The Language of New Media. Cambridge, MA; London: The MIT Press.
  • Pias, Claus (2007) Adventures Erzählen Graphen. In: Reader Neue Medien. Texte zur digitalen Kultur und Kommunikation. Hrsg. v. Karin Bruns & Ramón Reichert. Bielefeld: transcript Verlag, S. 398–419.