Geschrieben am 23. Oktober 2013 von für Bücher, Litmag

Postkartenkalender: Fliegende Wörter 2014. Gedichte

Fliegende Wörter. KalenderFliegen und Bleiben

– Auf den Tischen der Buchhandlungen ist schon im Sommer Neujahr, bei den Kalendern. Es geht weiter!, heißt das, oder, mit den Worten von Sabine Lange: „Die Garantie fürs nächste Jahr / hab ich nun in der Hand“. Nicht nur das eigene Ich sollte man mit dieser in den „Fliegenden Wörtern“ zu findenden Versicherung aufmuntern, sondern gleich einen kleinen Vorrat mitnehmen für jene, die auf der weihnachtliche Geschenkliste versehentlich vergessen wurden, für die Geburtstagskinder in Herbst und Winter und natürlich für alle, die sich als klug genug erwiesen haben, um sich über diese Gabe zu freuen.

Der Kalender feiert sein 20-jähriges Bestehen, ein Beweis, dass die drei Herausgeberinnen ein gelungenes Gleichgewicht zwischen vielerlei Gegensätzen zu halten wissen (nicht so leicht, wie es sich anhört!). Bei bekannten Namen überraschen zudem eher unbekannte Verse: „Sage mir / Was mein Herz begehrt? / Mein Herz ist bey dir / Halt es werth.“ Dies erbat einst unser Olympier von einer der zahlreichen ihm Zugeneigten, scheinbar konventionell, doch staunenswert egozentrisch, denn wer ist hier um wen besorgt und steht ganz unverfroren im Mittelpunkt des Textes? Und Kafka, der ewige Düstermann, tut es ihm völlig gleich und strapaziert seine Felice mit Sätzen, die zwar vor Leidenschaft glühen, aber für wen, lieber Franz, für wen?

Nun, Liebe ist nicht das einzige Thema der 53 Kalenderblätter, keineswegs! Natur die Menge, Heiterkeit, Kummer und Trost ebenso. Und wie sich das Sprechen wandelt, zeigt eine Juli-Seite mit schauerlichem Witz: ein Gedicht des fast vergessenen Expressionisten August Stramm, ein bloß sechszeiliges Wortgebell mit dem Titel „Patrouille“, zu dem Ernst Jandl ein grimmiges Pastiche verfasste: „er august stramm / sehr verkürzt hat / das deutsche gedicht // ihn august stramm / verkürzt hat / der erste weltkrieg“(…). Fährt einem in die Glieder.

Keine Beschwichtigungslyrik also, aber auch kein Betroffenheitsgeseufze, sondern Texte sehr unterschiedlicher Art, deren Lektüre lohnt. Ausgesucht mit Sachverstand und Sensibilität, optisch einfallsreich präsentiert, als Postkarten für Grüße zu mannigfaltigen Gelegenheiten zu nutzen, aber beispielsweise auch, um als Lesezeichen, in ein Buch gesteckt, nach Jahren wieder gefunden zu werden. Ja, wann war das denn? Und woher, woraus?

Steht auf der Kartenrückseite, dezent klein gedruckt. Die Seele lächelt, die Endorphine purzeln.

Gisela Trahms

Andrea Grewe, Hiltrud Herbst und Doris Mendlewitsch (Hg.): Fliegende Wörter 2014. 53 Qualitätsgedichte zum Verschenken und Verbleiben. Postkartenkalender im 20. Jahrgang. Daedalus Verlag, Münster 2013. 56 Blatt, vierfarbig, Spiralbindung. 16,95 Euro.

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