ein bild

Mein lieber Barischnikov


Nun ist es so
Dass ich nicht mehr weiss
Wo und wer ich bin
Irgendwo zwischen uns
Habe ich mich verloren
Und du sagst dazu nur
Dass ich immer etwas will.

Dabei will ich nichts

Ausser Klarheit finden
Wo mir der Boden
Unter den Füßen weggerissen wird
Und mein Kopf auf Glatteis schlägt

Nichts will ich
Als eine Linie
In einem Gewächs
aus Naturschwamm sehen
und endlich die
säuregetränkten Masken
von den Augen reissen.

Und wenn das nicht gehen sollte
So wünschte ich wenigstens
du hiessest Kalaschnikov
damit alles ein Ende haben kann.

05.02.2007 11:33:44 

Vorfahren


Meine Vorfahren waren Tataren.
Ich stelle mir vor, wie mein Urgroßvater auf seinem kleinen Takhi durch die Gräser der Steppe galoppiert. In der Hand hält er die Urga, mit der er das Vieh wieder einfängt, das es gewagt hat, sich zu weit von der Herde zu entfernen. Sein stämmiger Körper und seine buschigen Haare verschmelzen mit dem Takhi zu einer urigen Gestalt.
Meine Großmutter liegt an der Brust ihrer Mutter. Sie ist schon fünf Jahre alt, aber das Leben ist hart und Nahrung rar. Durch die Milch der Mutter bekommt sie alles, was ihr kleiner Körper braucht. Sie schmiegt sich in die Felljacke meiner Urgroßmutter und atmet den vertrauten Geruch nach Schaf und Schweiß ein.
Zu dieser Zeit haben sie sich am Fuß des Altai niedergelassen. Hier werden sie bleiben, bis die Urgroßmutter niedergekommen ist, und sich genügend von der Geburt erholt hat. Alle ihre Kinder hat sie am Ufer des Durgen-Nur geboren. Danach wird sie das neue Kind in Felle wickeln und auf ihrem Rücken wird es mit der Familie den Dzabhan entlangziehen.
Meine Urgroßmutter sitzt am Feuer und singt die alten schamanistischen Weisen, die ihr eine gute Geburt und dem Kind das Leben bringen sollen. In ihrem seltsamen Singsang wiegt sie sich dabei vor und zurück während sie die Felle trocknet. Das ist die Musik des Tages. Nachts schläft meine Großmutter mit ihren Geschwistern eng aneinandergedrängt in der warmen Jurte. Wieder riecht sie den vertrauten Geruch des Schweißes ihrer Eltern, hört die Geräusche, das Atmen und Schnarchen der gesamten Familie. Das ist die Musik der Nacht.

05.03.2007 13:46:45 

vorfahren 2


Meine Vorfahren waren Polen.
Ich stelle mir vor, wie mein Urgroßvater durch sein Feld stapft. Er trägt alte schlammverkrustete Stiefel, ein schäbiges Jacket, das an den Ärmeln braune Flicken hat. Auf dem Kopf mit dem schütteren Haar trägt er stets einen schwarzen Hut. Der gehört zu ihm, wie die Pfeife, die in seinem Mundwinkel hängt. Er greift mit den Händen in die Erde, presst sie zwischen die Finger und riecht daran. Dann wischt er sich den Dreck an der zerbeulten Hose ab und sagt meinem Großvater wie die Ernte in diesem Jahr wird. Mein Großvater ist noch klein, erst fünf Jahre, aber er weiß schon eine Menge über das, was ein Bauer wissen muss .
Meine Urgroßmutter steht in der Küche, die Beine sind schwer und geschwollen unter den vielen Röcken. Sie schiebt sich das einst geblümte Kopftuch aus der Stirn und einen weiteren Scheit Holz in den Ofen. Sie kocht eine Suppe aus Mehl und roter Beete. Die Vorräte werden unter einer Klappe im Küchenboden gelagert. Wenn mein Urgroßvater zu viel vom Selbstgebrannten getrunken hat oder einen Spaß machen will, sperrt er die Babcia manchmal dort ein, und stampft eine holprige Polka auf der Holzklappe. Mein Großvater und seine Schwestern lachen dann, sehen sich aber unsicher an, sie wissen nicht genau, ob es wirklich Spaß ist. Die Babcia redet nicht viel, sie murrt auch nie, egal was ist. Gelegentlich wischt sie eine der unzähligen Katzen grob vom Tisch. Wenn der Urgroßvater seine Stiefel an der Haustür abklopft, schrecken die Katzen auf und fliehen in den Hof. Er ist oft wütend und schreit durch das ganze Haus, aber bei der Geburt meines Großvaters fällt er um.

06.03.2007 15:18:19 

unterschreibung, nachlesend


ach ich weiss nicht, was soll es bedeuten

08.05.2007 19:30:30 

dazu


auf wiesen liegen
wie hasen
unverhofft und doch
übern rasen
grasen

04.06.2007 11:26:53 

mit lavendel


mein bett riecht nach dir, nach liebe
und nach lavendel,
mit dem wir uns einrieben.

dann schliefst du ein,
schwer und träge
vom lavendelduft.

ich lag lange wach
neben dir,
hörte dein dumpfes atmen.

weil du schliefst
gab es keine liebe.

Ich wälzte mich durch das laken,
die enttäuschung klammerte
an meinem nacken.

morgens sprangst du auf,
riefst: ach wie gut ich schlief!
riebst dir den schlaf
aus den augen
und den lavendel
von der brust

jetzt bist du weg
und mein bett riecht nach dir,
nach lavendel
und nach liebe,
trotzdem.

20.07.2007 20:06:03 

wilhelmine 1923


als wir uns einmal über den küchentisch-
alle anderen waren schon aufgestanden
und rausgegangen-
wir auch
aber nur aufgestanden
nicht rausgegangen-
standen am tisch
unschlüssig
nervös
alleine im raum
und dann
über den tisch-
wie kam es überhaupt dazu,
ich weiss es nicht mehr-
uns aber irgendwie fanden
genau über der mitte des tisches-
und mutter kam zum glück erst
einen augenblick danach-
als wir uns einmal über den küchentisch küssten-
das war toll.

25.07.2007 19:43:32 

träumt


Ina wünscht sich einen Mann, der Maxim heisst. Maxim riecht nach Rasierwasser, seine Schuhe glänzen, sein Kragen ist sauber und er hat immer einen Kamm in der Jackentasche. Er hält Ina die Tür auf, bezahlt mit großer Geste Rechnungen und gibt hohe Trinkgelder. Bald werden aus dem Kleinen, den er abends trinkt, viele Kleine. Maxim rasiert sich nur noch selten, seine Haare stehen wirr ab und er riecht nicht mehr gut. Als er schon morgens trinkt, wünscht sich Ina lieber einen Mann, der Carlos heisst. Carlos steht singend unter Inas Fenster und wirft ihr rote Rosen hinauf. Dann schmiert Carlos besonders viel Gel in seine schwarzen Locken, fängt Ina vor der Tür ab und küsst sie. Er schenkt ihr Schmuck und Seidenstrümpfe, überhäuft sie mit Komplimenten und will immer mit ihr tanzen. Irgendwann rümpft Carlos die Nase und schnüffelt. Er glaubt, dass Ina nach einem anderen riecht. Carlos schreit und wirft mit Porzellan. Er singt immer seltener und schnüffelt immer öfter. Er kauft Ina eine Schürze und zerreisst die Strümpfe. Tanzen will er nicht mehr, stattdessen schleift er in der Küche die Messer und Ina wünscht sich lieber einen Mann, der Pawel heisst. Pawel ist blond und kocht immer Knödel. Er knetet weiche Semmeln, Speck und Zwiebeln. Die rohen Knödel legt er als Herzen auf den Tisch. Mit dem Löffel dirigiert er einen Marsch, den er blechern brummt, denn sein Kopf steckt unter dem großen Kessel. Blind marschiert Pawel gegen den Tisch und reisst das Tischtuch mit den Knödelherzen runter. Er dreht sich, fängt die fallenden Knödel auf, jongliert damit und schmeisst sie dann hintenüber ins kochende Wasser. Als Pawel die Schüssel mit der Zwetschgensosse auf seiner Nase balanciert, wünscht Ina sich doch keinen Mann, der Pawel heisst.
Komm, sagt Uwe und nimmt Inas Hand. Uwe ist schmächtig, hat keine schönen Haare und trägt langweilige Kleider. Komm, lass uns im Schloßteich tauchen und die Enten von unten ansehen!






05.12.2007 09:12:23 

Moskau 1 - Puppentheater


Abends gehen wir mit unserer Vermieterin zu den Proben ihres folkloristischen Puppentheaters. Diese Proben finden in der Wohnung von Dima statt, der nachts als Wächter arbeitet und tagsüber das Bühnenbild für alle Stücke von Hand anfertigt. Seine Wohnung ist die unsanierteste Wohnung, die ich je gesehen habe. Die Wände sind nur noch ab einer Höhe von circa einem Meter verputzt, und quer durch den Raum ist eine unwahrscheinlich schiefe Wand aus Pappkartons gezogen. Die nackte Glühbirne ist mit allerlei filigranem und glitzerndem Krimskrams behängt. In den Sprossen des kleinen Hoffensters klemmt ein fetter schwarzer Kater mit grünen Augen. Und das in dieser Stadt; ich komme nicht umhin, an Behemoth zu denken!
Alle Mitspieler haben etwas zum Essen mitgebracht und breiten es auf dem kleinen Tisch aus: Kekse, Schaumgebäck, das einem den Gaumen verklebt und Räucherkäse. Dazu gibt es schwarzen Tee, der so stark ist, dass er mit Wasser verdünnt werden muss. Einige haben ihre Kinder dabei, es sind die ersten Kinder, die ich in dieser Stadt überhaupt sehe.
Geprobt wird: Iwan Kapitan und das unglückselige Elend, ein Stück in sieben Akten.

Ein paar Tage nach dieser Probe fahren wir mit der Truppe zu einer Aufführung in ein kleines Dorf vor Moskau. Dazu müssen wir mit der Metro einmal quer durch die ganze Stadt und dann noch eine Stunde mit dem Autobus fahren. An der Abfahrtshaltestelle steht ein Halbe-Hähnchen-Verkäufer, der an seinem Wagen ein fuchsförmiges Schild mit der Aufschrift Henken-Grill befestigt hat.
Im Dorf steht eine seltsame Kirche auf einem Hügel in einer Flussbiegung.
Die Aufführung des Puppentheaters findet im nahe gelegenen Kulturhaus statt.
Das polyphone Klingeln eines Handys stört die Aufführung, alle Köpfe drehen sich in Richtung der Störquelle. Verlegen greift der Pope unter seine Robe und geht aus dem Saal. Nach dem Theater lädt er uns zum Essen ein, das im Gewölbe unter der Kirche stattfinden soll. Frauen dürfen die Kirche nur mit Kopftuch betreten, und um in die Küche zu gelangen, müssen wir durch das Hauptschiff. Wir haben keine Tücher, nicht mal einen Schal, es ist sommerlich warm. Wir fürchten böse Blicke und eilen hastig durch den kühlen prunkvollen Saal zur Kellertreppe. Vor den Ikonen beugt eine junge Frau, die einen Lackmini, Netzstrümpfe und hochhackige Pumps trägt, andächtig ihren bedeckten Kopf. Wir halten inne, bevor wir die Treppe herabsteigen und betrachten das imposante, wirklich schöne, blaugoldene Chorgestühl.
Im Kellergewölbe werden lange Holztische zu einer Tafel aneinandergereiht und mit weißen Tüchern bedeckt. Das Essen wird reichlich aufgetragen und es gibt tatsächlich Kohlsuppe mit saurer Sahne, Buchweizen, Blini, handgemachte Pelmeni und dazu Wein aus Chile. Der Pope und die Kirchenfrauen sind rotwangig und sehen dadurch sehr gesund aus, immer wieder stimmen sie Gesänge an. Den Wein trinkt man aus Schnapsgläsern, und nur, wenn jemand einen Segen gesprochen, und jeder mit jedem angestoßen hat.

07.12.2007 21:37:48 

nachricht von neuen dichterinnen


kerstin preiwuß
ist die allereinzige frau mit dem namen preiwuß auf der ganzen welt
kennt die geschichten der antike ganz genau
weiß viele anekdoten über das dichtervolk.
und das ist mein lieblingsgedicht von ihr:


nachricht von neuen sternen

die bestimmung der geographischen länge zur see durch vergleich
der am sonnenstand ermittelten ortszeit des schiffes mit der an einer
mitgeführten uhr abgelesenen zeit des heimathafens, sagt galilei,


ist wie eine nachricht von neuen sternen:
weder will ich noch werd ich noch kann ich je
das maß verstehn, aus dem die erde fiel
jedes bild kommt verkehrt im auge an,
die sterne bewegen sich nicht

am liebsten rief' ich sie an
würfe noch steine gegen den himmel

du bist besessen,
sagt der rest

ich mess die hölle,
sagt galilei


herzlich willkommen im fisch, liebe kerstin!!!!

14.02.2008 13:44:29 

jawoll


ich sag dir jetzt mal die wahrheit
mitten ins gesicht.
mit allem drum und dran-
bauch, beine, po.
in meinem hof steht ein baum,
der trägt große grüne knospen.
in seinem geäst-
ein nest.
mit zwei vögeln-
der eine ist ne taube
der andre nur ein huhn.

24.03.2008 14:08:51 

ocho cortado


du hast nur vorgegeben
tänzer zu sein.
in wahrheit
bist du ein jongleur.

28.03.2008 11:48:11 

neuer boden


hilfst du mir, das parkett abzuschleifen?
frage ich dich
als du wie immer lesend
zwischen deinen grünlilien sitzt.
das tue ich nicht,
sagst du,
und nennst dich doch
den laminator.

05.12.2008 14:50:03 

wunschzettel


der erstklässler:
isch wil den wainartsman sen
unt plämopil ritabork

der viertklässler:
ich wünsche mir nicht mehr zur schule zu müssen. weil nur in englisch lerne ich was für später. weil ich will später pirat in somalia werden

08.12.2008 08:44:37 

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