Christine Kappe
Ostende
Menschen und Möven, April 1993
(Abtönfarbe auf Pappe, 80 x 120, Original durch Unwetter 2009 zerstört)
Menschen und Möven, April 1993
(Abtönfarbe auf Pappe, 80 x 120, Original durch Unwetter 2009 zerstört)
Die Träume sind es nicht
Vor allem wenn man in der Jetztzeit die Bornumer Straße entlangfährt, mit dem Rad
Was bringt Menschen dazu, hier zu wohnen?
Das muß absolute Verzweifelung sein
Doch so verzweifelt sieht der junge Mann gar nicht aus
Er schiebt einen Doppelkinderwagen in Richtung Baumarkt und lächelt dabei
Aber nicht die Kinder an
Und auch nicht mich
Die furchtbare Luft ist es nicht
Windstille, Nieselregen, 12 Grad Celsius, kein Blatt an den Bäumen, kein Hauch
Des Lebens
Niemand ist wirklich
Hier
Niemand
Und… wo will er hin?
Wo, verdammt nochmal, will er hin?
Offenbar bin ich doch offen
Ich konnte ja der einen Schulbegleiterin nicht auf den Pelz kucken
Hatte sie schon «wegsortiert»
Doch beim Weihnachtsbasteln ist sie
mir unglaublich sympathisch aufgefallen
als sie die Augen verdrehte bei
«3 Tage basteln»
Und jetzt habe ich sie einfach mal angesprochen
Und ihr ins Gesicht geschaut
Es ist irre
Ich meine nicht die Tatsache, dass man Leute verurteilt
(ich glaube, das ist Selbstschutz)
sondern dass im Hintergrund noch ein anderes Programm läuft
was diese Leute im Null Komma nichts wieder auftaut!
Die verrückten Mütter
die ihre Kinder in den Ferien organisieren
mit Smsen abends um halb 10
und dich loben, du wärst so unkompliziert
deswegen will ich nichts sagen
sonst stimmts ja nicht mehr
„Papa“ kann kaum laufen
aber zum Rauchen spätabends noch rausgehen
Wir sind schon selbst so grenzwertig
aber nur 4, das reicht ja
Jusa nervt mit einem Stempel
der noch ins Programmheft muss
und dann steht da mein Name drauf und“Kaffee und Kuchen“
Ein älterer Herr erzählt uns währenddessen seine Lebensgeschichte
seine Augen liegen in tiefen Höhlen
und zum Schluss zieht er einen Hut, den er nicht aufhat
Aber diese Gespräche mit den Müttern der Freunde unserer Söhne
begleiten uns im Hintergrund…
auch wenn die Telefonate mit den Freundinnen immer länger werden, wenn wir uns verabreden
die Entfernung, die Krankheiten, das Wetter, aber schön
und das Gefühl: WIR machen die Kunst, die unsere Zeit festhält
nicht diese angesagten, oberflächlichen Nicht-auf-den-Punkt-Komma
Weißt du noch, wie Lennie einen Film erzählte
und seine Begeisterung, die mich mitriss
Doch ob der Film wirklich gut war
oder bloß die Schauspieler oder die Musik gut aussahen
Manchmal ist das so, wer will das beurteilen, hauptsache es katapultiert dich
diese Hoffnung auf etwas wirklich gutes mal hinaus
Und so war es ja, ein paar Lebensjahre eingebüßt, ein paar Plakate verwittert
extra ein s-w-Foto gemacht, damit klarist:
da gehts noch weiter. Und dann derselbe Lennie, wirklich diabolisch, wirklich anders
als alle, eine Welt aufspannte, größer als die Welt
in der wir lebten, vom Tod unseres Chefs erzählte
Nicht weil er weniger verrückt war, sondern weil er einfach mehr trinken
und mehr vertragen konnte von: einerseits dem Elend und andererseits den Bonzenvillen
von denen er sich auch eine gekauft hat
zwischen Autobahn und Baggersee
Da gibt es doch gar keinen Ort, um sich umzubringen, aber genau das wars
woran Tschatta gestorben war, … bis hin zum Namen für unser Kind
der uns nicht einfallen wollte, und den wir aus dem gleichmäßigen Regen heraushörten
der im Oktober 2003 einsetzte und seitdem nicht mehr aufhörte, aber
Wenn wir hierwären im Dasein…
vielleicht 2020 nochmal
Warum ist dieses Wort so schrecklich?
Es kommt weniger häufig in der Gegenwartssprache vor als z.B.
Ganzleinen, und für Ganzleinen hätte ich ja noch Verständnis
Es kommt bisher noch 65.536 mal weniger häufig vor als das Wort der
aber diese Zahl ist rückläufig und bald wird der Ganztag uns verschlungen haben schon deswegen, weil jeder Tag ganz ist
und wir die Länge nun mal nicht ändern können
Der Ganztag ist natürlich auch nur ein Halbtag
weil er nicht den ganzen Tag da ist
Sonst müssten wir ja auch ein Ganztag sein
Es sind morgens aber andere Leute da als vormittags
und nachmittags noch wieder andere
Das Wort Ganztag spielt uns also nicht nur eine nicht vorhandene Realität vor
sogar Kinder werden zu einer Zeiteinheit
Und da mach ich nicht mit
Das finde ich unmenschlich
(Der Ganstag
Du meinst, ich habe mich… verlesen, und es ist eigentlich der Ganstag gemeint?
Dafür kann ich mich schon wieder erwärmen
Ich mag Vögel
Doch die meisten denken doch nur
Wie lange / wieviel Grad / füllen / zerlegen
Das ist mir zu saisonal, jetzt kurz vor Weihnachten
Spätestens im Januar popt wieder die alte Frage auf
Und nichts ist gewonnen)
Heute waren Handwerker im SKG
(Gestern auch
Aber da wusste ichs nicht
und plötzlich standen fremde Männer im Raum
Obwohl ich abgeschlossen hatte!)
Immerhin war ich heute vorbereitet
Aber nicht auf den Lärm
Doch als die Kinder am Ende gingen, meinte der eine: „Endlich Ruhe!“
Ich fragte mich, warum die ohne Atemschutzmaske in den Keller durften
Und sah in der Pause, dass das Warn-Schild von der Kellertür entfernt war
Das sind so Sachen, die einen echt gruseln
Ich sagte dann noch: „Aber im Keller ist doch Schimmel, und die viele Silberfische….“
Sie winkten ab
„Kein Problem. Wir machen die Löcher zu, da kommt nichts durch.“
Auf dem Lehrerinnenpult (!)
Finden wir Berge von vergammeltem Kuchen
Wahrscheinlich wollte sie den auf Klassenfahrt mitnehmen
Es wurde nicht geputzt
Die Klos stinken seit Montag bestialisch
Auf dem Schreibtisch lag ein Zettel:
„Der Boden bleibt dreckig, wenn die Stühle nicht hochgestellt sind.“
Ich versteh das nicht
Nur am Abend, tun mir die Knochen weh
Und die Silberfischchen in meinem Bad
Sind nicht solche mutierten Monstren
Vielleicht sind es bloß Goldfischchen, wer weiß
„… ahhh…
…mich nervts nur
Doch, glaub mir
Das ist im Ganztag passiert
…
Aber ich habe mich nicht geprügelt
Das waren andere
Und dann kamen 2 dazu
Und dann noch 2
Irgendwann prügeln sich 10 Kinder
Das haben wir oft dort
Das sieht keiner –
Hier muss man treffen (steht auf, fasst sich in die Mitte seines Körpers)
Dann ist man tot
Bei uns gibt es einen Prinzen
Der will alle Menschen töten, alle
Weißt du, der ist der Sohn vom König
Aber den will keiner
Bei uns machst du eine Tür auf … darf ich?
(er klappt eine Tafelhälfte auf)
Und dann machst du noch eine Tür auf
(klappt die zweite Hälfte auf)
Und überall wird geschossen.
Der Prinz…
… ich mal den mal eben…
Hat eine Pistole
Und unter seinem Hut noch eine Pistole
Er ist soooo groß.“
„Da fehlt noch was.“
Sein Mitschüler steht auf, geht zur Tafel
Nimmt sich auch eine Kreide
Und malt dem Prinzen einen Bart
Der immer länger wird
Immer länger, und dann nimmt er den Schwamm und wischt alles weg
Die Stunde ist seit 10 Minuten vorbei und wir sind alle drei völlig fertig
Wir gehen durch die dreckigen Flure, die nicht gut riechen und in denen Schuhe
Umherfliegen und vereinzelt Kinder sitzen
Differenziert arbeitend oder heulend
(irgendwo lag wieder Katzenstreu, weil sich jemand übergeben hatte)
Und wir denken über der Rettung der Welt nach. Und…
Es fühlt sich für einen Moment so an, als könnten wir es schaffen
Nur wir drei
Heute – wir kauften Mäuseheu – erzählte er wieder Geschichten
Über zu dreckige Vogelkäfige
Deren Annahme zur Pflege er verweigerte
Und über das Verbot Tauben zu füttern
Über das er sich genauso hinwegsetzt wie wir
„Das sind doch Geschöpfe wie wir auch
Die muss man mit Würde behandeln
Die Menschen sind nur neidisch, weil sie selbst nicht fliegen können
Aber ich kenne keinen Neid.“
Habe so mit ihm übereingestimmt!
Man freut sich doch aneinander
Er erzählte, wie er als Kind schon Tauben liebte
Weil sie so elegant auffliegen im Schwarm
Dann zeigte er uns ein Kanarienvogelnest mit 3 kleinen, bunten Eiern
Sah fast unwirklich aus, wahrscheinlich weil wir soetwas noch nie gesehen hatten
(work in progress: „Vögel und Städte“)
3. Oktober 2019 01:47Wir sind Wirsing – Wirsing ist Liebe
Wir sind für alle da
Wir-singen-Liebe
Wir sind die Buchstaben dort auf der Wand
Wir sind der Briefkasten:
Der Brief ist die Liebe
Wir sind nur Buchstaben
Die leuchten, wir schlafen
Wir grünen, die schwärzen
Wir wünschen, sie wechseln und wenden
Wir fühlen – sie enden
Licht
ist ein Pfeil
im Nebel der Erkenntnis
plötzliche Sortierung meinerseits
damit einhergehender Sprachverlust
Verbindung deinerseits
„Ich kenne das noch…“
das ist dein Gebiet:
Hinauszögerung des Todes
so gelingt es mir
(noch) prosaischer zu sein als du
einzige Hilfe:
mäßige Bewegung mit nicht zu vielen Eindrücken
treffe die Hausmeistertochter
die eine Frau ist & eine Fahne hat
die Kinder graben das Haus aus