Christian Lorenz Müller
I
Die Sandsichel schneidet unermüdlich
Garben aus Schaum,
alle andere Arbeit ruht. Die Zukunft
verläuft sich zwischen Tamarisken,
zwischen Schilf. Fernblaue Gebirge
überm wogenden Wasserfeld
und mühlradrunde Steine
auf dem Strand.
Eine volle Scheuer,
steht unser Zelt.
II
Schwemmholz: vom Wasser
weiß gebeizte Knochen.
Ich apportiere drei Handvoll vom Strand.
Bald schon nagt sie unser Feuer schwarz,
das Schwänzeln des Rauchs
rund um den Kochtopf.
Eine angetriebene Schnur
liegt als vergessene Leine im Sand.
III
Wenn am späten Nachmittag
die Glitzerschollen
sich zu Silbereis verdichten,
wenn das Speedboat
zu einem gleitenden Schlittschuh wird
und das Inselchen für Minuten
eisbergblau der Kimm entgegentreibt,
wenn das Sonnensegel
sich nur noch mit brisigem Licht füllt
und du dich voll Erstaunen fragst
wohin die Stunden verschwunden sind,
wenn du für die fernen Berge
keinen anderen Vergleich gefunden hast
als den von durchsichtigen Gletscherzungen
die ihre Farben im Dunst verkalben,
dann wird es Abend.
9. Juni 2016 10:22
Christian Lorenz Müller
So optimistisch
äugt nur einer aus Ecken
voll Unrat und Schutt.
Und seine Blätter
sägen sich durch den Asphalt,
schlitzen das Pflaster.
Gelbgrelles Glotzen
wohin man auch geht. Stickstoff-
vergessenes Grün.
Wieder überrascht
er im Salat: Trotz allem
so viel Bitterkeit.
Und ganz am Ende
pusten ihm die Kinder eins,
der Wind fasst den Flaum.
Die Samen sinken
auf den Asphalt, in Ecken
voll Unrat und Schutt.
17. Mai 2016 08:34
Christian Lorenz Müller
Das Smartphone ist ein Boot,
das niemals untergeht, WhatsApp
der Kompass, der die Richtung zeigt.
„Hast schon gesehn?“, schreibt der Cousin,
der in Osnabrück im Keller sitzt,
wo er Kartoffeln, nur Kartoffeln schält.
„Fünfhundert. Vierzig haben überlebt.“
Sekunden später schlägt das Samsung
voll mit Blau, rollt schwer in Salmans Hand.
Schwankend geht er zu dem Zelt
in dem die Steckerleisten sind:
Das Ladekabel, Ankertau,
hat er schon in der Hand.
22. April 2016 11:20
Christian Lorenz Müller
Grüne Fontäne
der Weide, ein Springbrunnen
so früh im April.
Leute auf Bänken
blicken mit geschlossenen
Augen zur Sonne.
Und der erste Rock:
Fallschirm aus dem Frühjahrsblau,
gelandet im Gras.
Die Fahrradfelgen
blitzen, silberne Sonnen,
eingespeichtes Licht.
Goldregenschauer
durchnässen uns. Wir wollen
nie wieder trocknen.
Und die Gardinen,
sie lecken aus den Fenstern,
so süß ist die Luft.
Die Hunde im Grün.
Das Gras erleuchtet ihre
Mäuler und Schnauzen.
Und acht Haikus lang
ein grüner Junge sein, grün
in dem grünen Gras.
4. April 2016 08:34
Christian Lorenz Müller
Karin Fellner überrascht uns immer wieder, zuletzt mit wuchernden, mooshaft in alle Ritzen und Spalten der Wahrnehmung eindringenden Texten über den Böhmerwald. Sie ist eine Poetin, die ihren Intellekt und ihre Emotionen, ihre Skepsis und ihre Hingabefähigkeit auf höchstem Niveau Sprache werden lässt. Von professoralem Wissen und studentischer Lässigkeit zugleich, überzeugt sie als Lektorin und Leiterin von Schreibseminaren. Persönlich kennengelernt haben wir sie im Münchner Literaturhaus (Christine) und während einer Schreibwerkstatt im Lyrikkabinett München (Christian).
Herzlich willkommen, liebe Karin, im „Goldenen Fisch“!
26. März 2016 19:00
Christian Lorenz Müller
Auch wenn dieser Winter
kein richtiger Winter war:
Wie gut es doch tut
die Krawatte der Kälte
zu lockern, den Schal.
Plötzlich ist es nicht mehr nötig
die Dinge mit Handschuhen anzufassen,
ein Brückengeländer zum Beispiel
oder den Griff des Fahrradlenkers,
schwarzen Moosgummi,
der die Sonnenwärme ansaugt.
Die Symbiose, die die Reißverschlussseiten
miteinander eingegangen sind, löst sich auf;
Knöpfe finden den Weg
aus ihren Knopflöchern.
Hie und da bereits ein Rock,
der über die Knie gerutscht ist.
Blasse Beine schlanken
aufs frisch gekehrte Pflaster,
allein noch in den kalten Ecken
knirscht der Streusplitt
unter den Schuhen.
18. März 2016 09:59
Christian Lorenz Müller
Wieder Regen. Salmans Schuhe
schmatzen durch den Schlamm,
er patscht durch Pfützen zu dem Stand
an dem es Obst und Käse gibt.
Seit gestern liegt Aisha,
sie isst nicht, trinkt nicht,
starrt auf jenen Strand
auf den der Schlauchboot-Wal sich warf.
Die Leute, die ins Wasser stürzten
schlugen um sich, Flossen,
als die Brandung sie zurück
ins Tiefe zog.
Und nun die Zelte:
Ein unabsehbar weites,
kabbelig erstarrtes Meer,
und drüben, an der Grenze,
zu Stacheldraht versteifter Gischt.
18. März 2016 09:56
Christian Lorenz Müller
Der Generator knattert Kopfweh,
Dieselnebel drückt auf Salmans Brust.
Die frische Luft verschwindet
in dem Wal, der dort am Strand
größer, immer größer wird.
Aisha hustet, hat ihr Kopftuch
vors Gesicht gezogen.
Sie will das Meer nicht sehen,
hat schon vorm flachen Tigriswasser
immer Angst gehabt.
Schwarz wühlen sich die Wellen
auf den Strand. „Die Westen“,
hat der Cousin geschrieben,
„Prüf die Qualität der Westen.“
Salman tut es, bohrt den Finger
in das Styropor: Bröselig, nicht fest.
Schnell springt er auf, sucht im Gebüsch
nach Plastikflaschen mit Verschluss.
Am Tigris banden sie als Kinder
ein knisternd-blaues Floß
und fuhren bis nach Mossul, Bagdad,
fuhren in den Ozean.
Nun spleißt er rasch ein altes Tau,
schnürt Coca-Cola, Efes, Sprite.
Dann schwankt Aisha auf den Strand,
die bojenrote Weste
um die Brust, den Gürtel Luft
schon um den Bauch.
9. März 2016 09:06
Christian Lorenz Müller
Frisch blinkt sich das Blau
aus den Tablets, den Smartphones.
Knospen pixeln Grün.
für Cornelia Anhaus
25. Februar 2016 14:41
Christian Lorenz Müller
Kilometerweit um Luft gewickelt
federnde Starre spitzes Zinken
zwischen Weinbergen.
Alle Reben
wachsen entlang von Draht,
sie tragen, sie werden gestutzt.
So viele Augentrauben,
die Kelter voll von Tränen.
Scharf abgescherte Enden
schlitzen den Wind das Zappeln
einer weißen Tüte
die sich zerrissen ergibt.
19. Februar 2016 17:07