Hendrik Rost
Was Macht ist, fragst du
mich, ausgerechnet, aber
das macht nichts, eine Frage,
die niemand beherrscht
vielleicht. Seit wir uns
kennen, ist alles Jahre her,
was kränkt und was weiß
ich, aber es bleiben die
Mechanismen, andere
für dumm zu lieben.
2. März 2010 15:37
Hendrik Rost
Gott ist in allem
Beispiele beweisen nichts
Demut und Kampfgeist
25. November 2009 14:53
Hendrik Rost
Auf den Wanderdünen der
Vielfalt sammelt sich Unruhe,
hinterm Horizont lodert Distanz.
Bei Gott ist das Wetter,
wenn es in den Augen hagelt
oder der Stress brandet.
Vieles kennt man durch Atmen,
zum Beispiel Umwege links
und rechts an Statuen vorbei,
ohne Körperkontakt mit sich selbst.
Wenn das Verbotene stört,
bedank dich bei den Verästelungen
der Imitation. Veduten aus Krisen-
zeiten wehen im Wind. Museen
sind der Kardinalfehler.
9. November 2009 19:23
Hendrik Rost

Ich parke vor der Deutschen Bank. Es ist dunkel und Herbst. Manche haben Ferien.
Die Ostsee rollt von Finnland in die Lübecker Bucht. Polare Luft und sternenklarer Himmel. Die Uhr an der Promenade zeigt 6:50 an, 4 Grad und 3 Beaufort. An der Seebrücke sehe ich Schaumlinien. Im allerersten Licht steigt ein Trupp Möwen auf und landet auf dem Dach des Maritim Hotels. Im Frühstücksraum sitzen See- und Seelenromantiker, die auf den Sonnenaufgang warten, der sich über Boltenhagen ankündigt.
Die Wellen kommen in Serien. Ganz langgezogen und drei, vier hintereinander. Ich springe von der Seebrücke und paddle auf das sich rasch abkühlende Meer. Alles ist elementar: Die arthritischen Walker auf der Seebrücke übersehen mich, der Gänsesäger da vorn in den Wellen ignoriert mich, die Ostsee schmeckt salzig.
Zwei Stunden später laufe ich an der Wasserlinie zurück. Eine Gymnastikgruppe am Strand macht angedeutete Kniebeugen. Ein Kreis wird gebildet, linksherum, rechtsherum.
Zuhause hänge ich den Anzug zum Trocknen auf den Dachboden. Die greise Nachbarin kommt schnaufend die Treppe herauf. „Wenn man alt ist“, sagt sie, „fragt man sich, wo all die Jahre geblieben sind.“
Was soll ich sagen? Jeder Trupp Möwen ein Jahrzehnt. Die Jahre liegen auf einem Konto bei der Deutschen Bank. Sie sind dunkel und herbstlich. Sie haben Ferien und sie rollen von Finnland heran, ganz früh im leichten, empfindlich kalten Wind. Sie sind elementar. Sie ignorieren einen. Sie schmecken salzig.
14. Oktober 2009 14:51
Hendrik Rost
Ich versuche, die Fliege zu fangen,
aber die Fliege sieht das anders.
Ich habe es noch nicht begriffen.
Der Käse, auf dem sie sitzt, ist
schon etwas älter und wellt sich
an den Rändern. Ihr ist es egal.
Ihr Rüssel speichelt seelenruhig
auf das Milchprodukt. Ich nähere
mich hinterrücks und weiß, Augen
mit Flügeln und Beinen sitzen da;
so gut wie unmöglich. Aus ihrer
Sicht ist alles absolut köstlich
und wert, ein Leben zu riskieren.
Meine Hand schwingt ins Leere –
das Schlagen, Fliegen, Schwelgen,
alles passiert in einem Augenblick.
Dann ist sie wieder da und reibt
die Hinterbeine auf der Scheibe
Käse. Sie triumphiert und spottet.
Damit kann ich leben. Sie vergibt.
18. August 2009 16:27
Hendrik Rost
Der älteste Mensch der Welt ist müde
geworden in mir, er hat seine Gründe,
Faulheit, Krankheit, Liebe, Krise –
aber das geht niemanden etwas an.
Ich lege mich hin mit ihm, Fernseher aus,
Nachbarn verreist. Das Bett ist gut, müde
ist gut, ich selbst bin alt für den Moment.
Keiner Zeitung würde ich sein Geheimnis
verraten: Fisch, Leinsamen, Lebenslust
oder jedes beliebige Mittel zu überleben.
Er wird mich wecken, wenn er will, still
ist es, still, ich könnte sterben jetzt oder
leben trotz allem, was er durchgemacht hat.
Aber das geht niemanden etwas an im Moment.
Er rekelt und streckt sich in meinem Körper
wie in einer Tierhaut, gejagt, erlegt, geliebt.
Was dann folgt, ist der schwierigste Teil.
Seine Erfahrung, sein Schlaf, mein Verfall.
5. August 2009 15:12
Hendrik Rost
Das Eis ist dünn, ich gehe weiter auf den See hinaus,
betrete das klare Wasser, unter mir Algen und Fische,
die sich nicht rühren. Ich gehe bis zu der Stelle,
wo das Mädchen aus meiner Klasse eingebrochen war,
wir haben sie später besucht, die Haut wächsern,
kalt sah sie aus, die Hände gefaltet, getrocknet.
Das Eis ist sehr dünn und es knirscht an der Stelle,
die am weitesten vom Ufer entfernt ist. Ich betrete
die Stelle und bin ihr ausgeliefert. Unten Fische.
Ich stehe auf so dünnem Eis, wie Traum im Schlaf
eine Hülle bildet, auf der sich Dinge abspielen.
Manchmal bricht etwas ein, und ich wache auf.
Ich weiß, die Toten sind nicht schlechter als andere,
sie wissen, wie es sich anfühlt, erinnert zu werden,
sie kennen die Kälte von innen und gehen im Winter
unter die Haut. Ich gehe auf dieser Schicht spazieren
und breche ein Verbot. Das ist mein Versprechen.
Wenn ich aufwache, werde ich klüger sein und wach.
Ich bringe Kälte ans Ufer mit. Ich erinnere mich.
5. Juni 2009 16:29
Hendrik Rost
Meine Tochter holt ein Buch
und wir setzen uns nieder.
Sie zeigt auf ein Tier
und ich mache den passenden Laut.
Alles, was ich sagen kann,
klingt nach Kuh, Schaf, Eule
und Schwein und immer wieder
will sie hören, wie die Welt
schon lang vor uns geklungen hat.
Ich imitiere Kreaturen da draußen,
auf die sie mit dem Finger zeigt
und die sie nie gesehen hat,
aber die mit ihr reden können
durch mich und sie bitten,
sich nie von der Vorstellung
zu lösen zugunsten der Dinge.
Alles, was ich von mir gebe, klingt
primitiv. So ist das bei Tieren.
25. Mai 2009 09:25