Hendrik Rost
Der Ort, wo ich herkomme,
ist der, an den ich gehe,
der politiklose Hügel hinterm
Haus, wo Vokalkraut blühte,
blühte, vieles nicht sagend.
Von oben reichte der Blick
stielweit, buchseitenweit.
Ich: dastehend, am Blättern
bis heute, während Binsen
mir von den Lippen wuchsen.
Diese Weite, dachte ich, welt-
verlorene Wut; wenn nur einer
in dem kehligen Kommen und
Sehen verzichtete zu wuchern,
sich zu äußern. Eins mit Kräutern.
Für Mirko Bonné
11. Juli 2019 09:31
Hendrik Rost
Widerstand: erst nicht aufräumen,
dann nicht verwüsten.
3. Juli 2019 06:25
Hendrik Rost
Die Fliege, die du gestern
Abend nicht gefangen
hast, sagt mein Sohn,
zappelt jetzt im Netz
der Zitterspinne. Er ist
erschüttert. Ein Bündel
am Fenster. Und im Juni
ist Licht das häufigste
Phänomen neben dem
Rascheln der Linden.
Als ob Jahre zurückkämen.
18. Juni 2019 09:48
Hendrik Rost
Für ein Europa der Toten und der Lebenden.
Für eine Landschaft der Gräser und Überwindungen.
Für das Recht auf das Recht zu singen.
Für die Anwesenheit von Sturen.
Für genug Heiliges, um eine sagenhafte Leere zu füllen.
Für kein Geld der Welt.
13. Juni 2019 11:25
Hendrik Rost
Statt wie sonst morgens in der Offenbarung des Johannes zu schmökern
und zu lesen, wie das Lamm das Buch mit den sieben Siegeln öffnete,
woraufhin im Himmel Stille eintrat,
etwa eine halbe Stunde lang –

ging ich ans Regal und nahm mir ein Jahrbuch mit Gedichten
und öffnete es an beliebiger Stelle:
„Die Stimme deiner Spezies weckt dich und you drown.“
Es ist unnötig, sich abzufinden mit der üblichen Gefangenschaft.
28. Juni 2017 10:07
Hendrik Rost
was von Schwärmern und Spöttern über Büchner gesagt wird, ist falsch oder abgestanden. Jetzt ist
aber eine wunderbare Gelegenheit, Jan Wagner zu gratulieren: Alles, alles Gute
und viel Inspiration weiterhin!
Ich las so vor mich hin und fand schnell zwei sehr schöne „Versuche“.
Einmal über Mücken:
als hätten sich alle buchstaben
auf einmal aus der zeitung gelöst
und stünden als schwarm in der luft
…
bringen von all den schlechten nachrichten
keine, dürftige musen, dürre …
Ein anderes Mal über Seife:
wurde weniger wie fast alles
…
und alle sitzen am tisch:
mondloser abend, duftende hände.
23. Juni 2017 15:55
Hendrik Rost

Bruch
Aus allem, was keiner sagte,
kann eine Strömung werden,
ein Luftzug, eine Weltreligion.
Immer noch rinnt das Wasser.
Ein Wort nur, und deine Seele
ist flüssig: Aus vorsokratischen
Fragmenten wurde zuerst Fluss,
dann Weltbild. Ein Quantum Blut
aufs Volumen des Lake Superior
reicht aus, schon erkennt ein Hai
dich als Beute. Besteig einen Berg
und sag – nichts. Der Blick reicht
bis nach Lesbos, und es pulsiert
das Wort noch, nach dem Gesetz,
wie es schon galt, als du schliefst,
allein. Ganz allein bei den Scherben
am Ufer. Bevor die Vase zerbrach.
7. März 2017 12:11
Hendrik Rost

Sieh genau hin: Eine Meinung wird gebrochen durch den, der sie hat,
und zeigt seine eigentliche Position.
Ich war von morgens bis mittags im Zimmer
der Sterbenden. Sie atmete nur noch aus.
Bin dann zum Essen gegangen. Es gab Huhn,
Rüben und eine Art Kartoffelbrei mit säuerlicher Soße.
Der Schokopudding hatte Altersflecken.
Als ich zurückkam, war sie gestorben. Eine Hand
lag auf der Brust.
Ich atmete ein, was von ihr noch im Raum war,
die Gardine wehte hinter ihr,
auf dem Regalbrett stand Lebenshilfe, unangerührt.
Meiner Meinung nach war ich hier und sie
war ein Körper. Beide waren wir allein.
Und ein Fasan scheucht uns durch den Staub.
21. Februar 2017 16:12