Thorsten Krämer

Kolbhalle

Der Schlafmangel, die Vorfreude.

Die endlos lange Gästeliste bei denkbar günstigem Eintritt, die Afrikaner
aus der Nachbarschaft, der Bauwagen, die drei Mann an der Theke, die
alle keinen Plan haben, die Sommerluft, die Couscous-Mädchen
ganz in Schwarz, die Stolperfalle Feuerstelle, die Tische, die
Bänke, und jemand sagt das Wort psychotisch.

Der DJ im Anzug, das Wasser umsonst, der Schäferhund mit dem rot
leuchtenden Auge, das Gerede, das Herumsitzen, das genaue Ausloten
der Schallverhältnisse, die eine Musik, die andere Musik, die Suche
nach dem dritten floor, das Fleisch-Mobile, das Tanzen.

Das Tanzen.

Die Handyfilme, der Engländer, der im Bogen pinkelt, das Betrunkensein
als Kunstform, die erstaunlich bunten Lichter, die Frau, die auftaucht
und verschwindet, das Gewusel, die verbrannte Hand, die Stahltür
unter Strom, und plötzlich stehen da die 80er, mit grauem
Zopf, und sagen: Hier sind ja viele scharfe Bräute.

Das Künstlergefasel, die Beschimpfungen, das Geräusch des Regens
unter den Sonnenschirmen, die Gesichter, die Plastikbecher auf dem
Boden, der Rollstuhl zum Ausruhen, die Soba-Mädchen ganz in
Schwarz, das immer allmählichere Vergehen der Zeit.

Die Gegenwart, das Wachsein.

(für Christian Bernhardt)

13. August 2009 10:46










Thorsten Krämer

Interiors

Die Technik überwiegt in diesem Raum. Rechter Hand ein niedriges Fernsehregal; jedes der vier Fächer ist mit einem Gerät belegt: VHS-Rekorder, CD-Player, DVD-Rekorder, Cassettendeck. Selbst auf dem Fernseher (ein altes Röhrengerät) steht noch der Receiver, auf dem Boden davor liegen die Controller einer Playstation. Zu beiden Seiten Lautsprecher auf silbernen Metallsäulen. Linker Hand der Arbeitsplatz, mit Kunstlederdrehstuhl, Rechner, Monitor und Telefon. Dahinter an der Wand ein Buchregal, in dem nur wenige Anleitungen und Handbücher stehen. Der Elektronikpark beherrscht den Erker dieser Altbauwohnung; durch die im stumpfen Winkel zueinander stehenden Fenster fällt das helle Morgenlicht – zumindest dort, wo die Jalousien nur zur Hälfte herab gelassen sind. Inmitten der Geräte, die fast durchgehend in Schwarz gehalten sind, steht auf einem kleinen Tisch eine Topfpflanze, eine Art Azalee. Um den Topf herum einige Steine, als hätte der Bewohner (kaum vorzustellen, dass hier eine Frau wohnt) einmal in einer schwachen Stunde einen flüchtigen Blick in einen Feng-Shui-Ratgeber geworfen. An der Wand gegenüber ein altes Sofa, in pflegeleichtem Grau gehalten. Die Zeit vergeht hier sehr langsam, aber sie vergeht.

21. Juli 2009 15:17










Thorsten Krämer

Interiors

Nennen wir es eine fraktale Ästhetik, dieser bis ins Kleinste verfolgte Wille zum Design, die immer neuen Oberflächen. Die Kippschalter aus Bakelit, die Tischlampe im 70er-Jahre-Orange, der Plattenspieler, dessen Optik noch aus einer Zeit stimmt, als Scratching gerade erst erfunden wurde. Auf dem niedrigen Regal ein großformatiges gerahmtes Plakat, das den Elvis-Kult ins Pixel-Zeitalter überführt: verschiedene Plattencover, aufgelöst in Farben und Bildpunkte, übertragen auf neue Produkte wie Schachteln und T-Shirts, irgendwie cool und irgendwie clever. Dahinter der Sichtbeton, davor das Fahrrad als Kunstgegenstand, mit abgeschraubtem Sattel und Schottenmuster-Hülle für die Mittelstange. Durch die Speichen hindurch sind die Bücher im Regal sichtbar: Bildbände über Design und moderne Architektur, die passenden Zeitschriften ordentlich gesammelt in neutralen Pappschubern. In einer der nächsten wird auch dieser Raum enthalten sein.

11. Juli 2009 12:49










Thorsten Krämer

Cade’s Cove, Great Smoky Mountains

Adlerauge vs. Weichzeichner, die assemblierte Landschaft
beruht auf Mischtechniken: Nach hinten raus gerissene
Papierstreifen vom Bastelblock, im Vordergrund Foto-

Realismus. Jeder Baum ein Déjà-vu, die Vögel dort zwei
Flecken auf dem Objektiv. Ein Katalog von möglichen
Perspektiven blättert sich auf, das Alleinstellungsmerkmal

bist du.

25. Juni 2009 21:19










Thorsten Krämer

Holly Springs, Mississippi

Mit den Würmern kommt die Bedeutung, die expansive
Schwärze der Zeichen: We’ve never seen mushi
this far out before!

                                   Ein Spezialist aus Japan
wird eingeflogen, Narration nach Belieben. Was bleibt
sind Trübungen des Bewusstseins, ein leichter Schwindel
zwischen den Gedanken.

16. Juni 2009 22:16










Thorsten Krämer

Memphis

Hallo Parallelfahrt, hallo Plansequenz: die filmischen
Mittel schweigen still, genau wie die Kanonen: la guerre
est finie
, der Trümmerchic ist nur ein Zwischenstadium.

Wo Hoffnung ist, ist Leben; wo Leben ist, geht es
vorbei: Sieh hier den Straßenzug, den Schatten, den der
Müllkorb wirft – ist das nicht Wirkungsmacht der Immanenz?

Sei das Unkraut, sei Graffiti, überwuchere und überzieh.
Sei das, was Rest wird; sei der Anfang, der schon angefangen hat.

8. Juni 2009 16:50










Thorsten Krämer

Interiors

Das Ergebnis von fünf Tagen Arbeit: ein Jungentraum in hochauflösender Grafik. Das Bett groß genug für Vergnügungen aller Art, an der Wand ein Flachbildschirm in Leinwandgröße. Statt eines einzigen großen Fensters gibt es ein asymmetrisches Muster von mehreren Scheiben, eingearbeitet in ein Regalsystem, dessen Ablageflächen nur spärlich belegt sind: ein großformatiger Bildband, die in futuristischem Weiß gehaltene Dockingstation eines MP3-Players, als Retro-Element ein Paar Baseballhandschuhe. Durch die Scheiben hindurch schimmert die generische Landschaft. Der Lichteinfall wirkt lebensecht, die Oberflächen sind mit genügend Details ausgestattet, um das Bild auf den ersten Blick real wirken zu lassen. Das Rendering ist makellos, die Rechenleistung hinter dem Projekt kann als ein Versprechen auf das Dargestellte selbst gesehen werden: Eines Tages wird ein menschlicher Körper seinen Schatten auf dieses Bett werfen, in Dubai oder anderswo.

3. Juni 2009 18:05










Thorsten Krämer

Interiors

Der Inhalt der Schubladen von unten nach oben: Geschenkbänder, Schleifen, ca. 10 Meter Kordel, ein Paar warme Wintersocken, zwei eingerissene Papierfächer. Eine kleine Pappschachtel mit Polaroids, ein Bündel Postkarten, Plexiglasteile für ein Architekturmodell, eine zusammengefaltete Packung Heilerde. Ein Schlüsselbund, ein Umschlag mit ausgeschnittenen Briefmarken, mehrere Stopfpilze, Haargummis, ein Pflanzenführer „Was blüht denn da – in Farbe“, eine Plastikdose mit Ein-Pfennig-Münzen. Neben der Kommode liegen zwei weitere Schubladen, ausgelegt mit Butterbrot-Papier. Ansonsten ist der Raum leer. An den mit weißer Raufaser tapezierten Wänden lässt sich noch erkennen, wo Bilder gehangen haben, vielleicht auch ein Spiegel. Der Boden, Laminat, weist einige tiefe Kratzspuren auf. Das Fenster steht auf Kippe.

28. Mai 2009 12:36










Thorsten Krämer

Interiors

Das Bild an der Wand wurde eigens für dieses Zimmer gemalt: Vor schwarzem Hintergrund die gelb gepinselten Umrisse von Rosenstängeln, es könnte auch Bambus sein, wären da nicht diese dornenförmigen Auswüchse. Vier Stängel sind es, die in kunstvoll ungleichem Abstand die quadratische Fläche senkrecht teilen. Dieselbe reduzierte Strenge findet sich in der Einrichtung: ein niedriger grüner Sessel aus den 50er Jahren; aus der gleichen Zeit stammt die gerahmte Fotografie auf dem Beistelltisch, ein sich küssendes Paar in Schwarzweiß, die Frau im schulterfreien Kleid, der Mann im Smoking. Daneben eine Karaffe mit Wasser, als Vase für einige grüne Olivenzweige dienend. Die Tischlampe dagegen – auf der anderen Seite neben dem Foto, als wäre es ein Tafelbild – sieht aus wie eine Vase, ist aber nur eine Tischlampe. Der Futon liegt auf einem einfachen Holzgestell; vielleicht der einzige Gegenstand in diesem sorgsam komponierten Raum, dessen Schönheit sich nur zufällig ergeben hat.

22. Mai 2009 19:04










Thorsten Krämer

Almost at the Mississippi River, Dyersburg, Tennessee

Spurenlesen auf offenem Feld, die buschlose
Weite. Als Grenze gesetzt die Reihe
Bäume am Horizont. Der Fluss nur eine Behauptung.

Wireless vor allem anderen: die Fußabdrücke
der Natur. In der Ferne die Andeutung
einer Ferne. Alles andere wäre Spekulation.

You’re only as strong, sagt der Telefonmast,
wie Spatzen die nutzlose Keramik tragend.

13. Mai 2009 16:30










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