Anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Dada“ stellt die Kunsthalle Mannheim das Werk Hannah Höchs (1889–1978) aus und konzentriert sich damit – nach der Präsentation der Bildhauerin Germaine Richier 2014 – erneut auf eine wichtige weibliche Protagonistin der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung versucht, das nach 1945 entstandene Werk der Künstlerin erstmals umfänglich vorzustellen. Isa Bickmann berichtet.
Hannah Höch
Die schrankenlose Freiheit der Kunst
Von Isa Bickmann
Im November 1978 hielt Eberhard Roters vor der Mitgliederversammlung der Akademie der Künste in Berlin einen Nachruf auf die im gleichen Jahr verstorbene Hannah Höch: „In ihrem Häuschen in Heiligensee am Rande Berlins, wohin sie sich 1939 zurückgezogen hatte, um sich der Kulturbarbarei der Nazis zu entziehen, lebte sie Jahrzehnte lang, verbunden mit dem Kreise ihrer Freunde in geselliger Einsamkeit. In den letzten Jahren ihres Lebens häuften sich dann die Besuche von Kunstinteressenten und Neugierigen aus aller Welt.“
Die zweite Lebenshälfte der Künstlerin wurde bestimmt durch die Jahre der „absolute[n] Verarmung und Vereinsamung“, wie die Künstlerin selbst – frei von jeglicher Beschönigung – jene Zeit zwischen 1939 bis Kriegsende gegenüber Hans Arp beschrieben hat. In den fünfziger und sechziger Jahren beginnt sie zudem, sich wieder an Ausstellungen zu beteiligen, nimmt an der großen Dada-Retrospektive 1958 in Düsseldorf teil, trifft 1964 Max Ernst, dessen Werk sie sich eng verbunden fühlt und den sie „ihren Bruder“ nennt. 1965 wird sie zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Künste berufen. Sie erhält internationale Anerkennung. Die Fluxuskünstler Nam June Paik, Charlotte Moorman, Wolf Vostell und Dick Higgins besuchen die „Grande Dame-Dada“. In den siebziger Jahren erlebt sie etliche Retrospektiven ihres Werkes, und im Rahmen der aufkommenden Beschäftigung mit dem weiblichen Anteil an der Kunstgeschichte wird sie überdies in die legendäre amerikanische Schau „Women Artists 1550-1950“ (1976/77) und die Berliner Ausstellung „Künstlerinnen international“ (1977) integriert.
Vor fünf Jahren war in Berlin mit „Hannah Höch. Aller Anfang ist Dada“ Höchs dadaistischer Beginn gewürdigt worden. Nun, zum 100. Jubiläum von Dada, widmet sich die Kunsthalle Mannheim dem Spätwerk der „zentrale[n] Person der Klassischen Moderne“, wie es in einem Vorraum in einem Wandtext heißt, eine Übertreibung, die wohl dem Marketing geschuldet ist, aber durchaus diskutiert werden könnte. Die Kuratorinnen Inge Herold und die Höch-Spezialistin Karoline Hille ordneten die Exponate inhaltlich und fügten stets auch frühe Werke aus der Dada-Zeit hinzu. Zur Präsentation des enorm facettenreichen Œuvres auch jüngere Arbeiten einzubinden, erweist sich als kluge Strategie: So lassen sich Themenkreise bündeln und Höchs künstlerische Konzepte in ihrer formalen und inhaltlichen Verzahnung darstellen. Der begleitende Katalog bereichert das Gesehene durch fundierte Texte.
Die Entdeckung der Collage
Der erste Raum der Kunsthalle führt mit einer großen Wandtafel in das Leben der Künstlerin ein. Dort sind auch ihre späte und größte Collage, das „Lebensbild“ von 1972/73, zu sehen, das in einer jüngst erschienenen Publikation Stück für Stück abgebildet und mit Texten von Alma-Elisa Kittner erläutert wird.
Das markante Gemälde „Frau und Saturn“ von 1922 im gleichen Raum subsumiert das Ende der dramatischen Liebesbeziehung zum Dada-Kollegen Raoul Hausmann. Gemeinsam hatten sie 1918 auf einem Versöhnungsurlaub das Prinzip der Collage entdeckt. Der „Dadasoph“ Hausmann war 1918 Mitgründer des Berliner „Club Dada“ und hatte Höchs Beteiligung an der Ersten Internationalen Dada-Messe 1920 durchgesetzt.

Die Montage disparater Teile zu Klebebildern und der Zufall als Kompositionsprinzip werden zukünftig ihr Werk bestimmen, eine Methode der Bildherstellung, die sie auch für die Malerei übernimmt: Das 1925 entstandene, collagenartig gemalte „Roma“ zeigt den Stummfilmstar Asta Nielsen den italienischen Diktator Mussolini aus der Stadt weisend und leitet zu Fotomontagen über, die aus den fünfziger und sechziger Jahren stammen und allesamt das Thema Großstadt umkreisen. Ihnen gegenüber ordnete man Pflanzen- und Gartenmotive in einer gelungenen Mischung aus Arbeiten des nahezu ganzen zwischen 1923 bis 1970 entstandenen Lebenswerks an. Höch fühlte sich innig mit der Natur verbunden. Ihr geliebter Garten in Heiligensee wird am Ende des Parcours in zeitgenössischen Fernsehporträts zu bewundern sein. Doch zeigt sie Natur auch metaphorisch als Horrorvision.
Sie sei gegen die „Vogel Strauß-Kunst“, möchte lieber „Spiegel und Mahner“ sein, schreibt sie 1946 in einem Ausstellungskatalog. Durchweg ist Höchs Kunst politisch zu verstehen, wie die berühmte Collage „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ (1919-20), in Mannheim nicht im Original ausgestellt, aber stark vergrößert auf einen „Dada-Kubus“ reproduziert und mit erläuternden Texten versehen. Im Inneren des Kubus wird aufgelöst, wie Hannah Höch sich Werkmaterial für ihre Collagen aus aktuellen Zeitschriften suchte. Zu den dort offengelegten Quellen gehört u.a. das amerikanische „Life Magazine“.
Mit „Das ewig Weibliche“ ist ein Komplex übertitelt, der sich intensiv mit Rollenbildern und Körperdeterminierungen des Weiblichen auseinandersetzt. Eine Korsage mit roten Brustspitzen umtost von facettenäugigen Libellen, möglicherweise als Sinnbild eines Voyeurismus zu verstehen, zeugt von Höchs humorvollem und bisweilen sarkastischem Grundtenor. Die Überzeichnung des Verlockenden lässt deutlich erkennen, dass das mit dem schwierigen Titel „Entartet“ überschriebene Werk für den „prostituierend entarteten Zeitgeist“ stehe, so Inge Herold im Katalogtext. Eine Ironisierung findet auch in dem Klebebild „Der schöne Po“ von 1959 statt, das dieses von Wassertropfen besprenkelte isolierte Körperteil umgeben von einer Wasserfläche in den Mittelpunkt stellt. Ein Wandtext zitiert Höchs Aussage im Interview mit Suzanne Pagé von 1975: „Mich hat auch nicht so sehr die emanzipierte Frau interessiert, sondern mehr die leistungsfähige Frau, und die habe ich immer irgendwie präsentieren und festhalten wollen, weil ich die Werte suche und mein ganzes Leben lang gesucht habe.“ Dass Höchs Leben durchaus dunkle Momente bereithielt, erfährt man nicht nur aus ihrer Biografie. Die melancholische Seite, die Trauer, Düsternis und die Terrorjahre der Nazizeit spiegeln sich in Klebearbeiten und gemalten Werken wider, und dabei musste sie mit Vorsicht vorgehen: Die als „Kulturbolschewistin“ Verfemte zog sich in jenen Jahren völlig zurück, vergrub ihre Werke und die der Freunde im Garten. Schwer erträgliche Bilder entstehen. „Schöpferische Indifferenz“, Titel der Hauptschrift des Freundes und Philosophen Salomo Friedlaender, markiert Karoline Hille in ihrem Katalogbeitrag als einflussreich. Das „Dazwischen“, auch zwischen Schönheit und Hässlichkeit, ist Prinzip.
Blick auf das Gesamtwerk
Von „Frau und Saturn“ an kreist Höchs Denken immer wieder um astronomische und wissenschaftliche Entdeckungen, die sie mit „unstillbarem Wissensdurst“ (Karoline Hille) konsumiert. Die Mannheimer Ausstellung zeigt folglich im Unterkapitel „Kosmische Abenteuer“ u. a. die von der Mondlandung 1969 inspirierten Collagen. Höch hatte das Ereignis gebannt verfolgt.
An einer schmalen Wand zwischen den Fenstern hängen wenige kunsthandwerkliche Entwürfe, die zweifellos sehr sehenswert sind, aber aus den Jahren 1916/19 stammen, jener Zeit als Entwurfszeichnerin für die Handarbeitsredaktion des Ullstein-Verlages, für den sie insgesamt 10 Jahre tätig war, und somit aus der Zeitbeschränkung der Ausstellung herausfallen. Gleichwohl bereichern auch sie den Blick auf das Gesamtwerk der Hannah Höch, denn sie bezeugen die stete Gleichgewichtigkeit von angewandter und bildender Kunst und verweisen auf Anregungen durch Muster, Struktur und Stofflichkeit auf die abstrakten Arbeiten, die – ein paar Räume weiter – unter der wenig inspirierten Überschrift „Abstrakt, klassisch, zeitlos“ versammelt werden. Höchs abstrakte Bilder der fünfziger und sechziger Jahre sind in der Reflektion der zeitgenössischen Malerei von erstaunlicher Vielfältigkeit und lassen sich eigentlich nicht fassen. „Eine einheitliche Stilfestlegung im Sinne eines Formzwanges […]“, erschien ihr nicht wichtig. (zit. Kat., S. 215). Höch, die sich bis zum Lebensende als Dadaistin begriff, reklamierte stets eine „schrankenlose Freiheit“ für sich. Ihr Werk zeigt sich in dieser Ausstellung sowohl progressiv als auch subtil und hintersinnig.
Kommentare
erstellt am 18.7.2016
Hannah Höch beim Aquarellieren. 11. Juli 1967
© Foto: Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf
© VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Ausstellung
Hannah Höch. Revolutionärin der Kunst
22. April – 14. August 2016
Kunsthalle Mannheim
11. September 2016 bis 8. Januar 2017
Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr
Der Katalog zur Ausstellung von Inge Herold, Karoline Hille (Hannah Höch. Revolutionärin der Kunst. Das Werk nach 1945, hrsg. von Ulrike Lorenz, Format: 23 × 26 cm, etwa 220 Abbildungen, 240 Seiten mit Beiträgen von Ralf Burmeister, Inge Herold, Karoline Hille, Jochen Hörisch, Ulrike Lorenz und Beate Reese) ist erschienen bei Edition Braus, Berlin 2016, ISBN 9783862281398
Hannah Höch (1889-1978): Entartet, 1969, Collage, 34,3 × 40,6 cm
© Berliner Sparkasse © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Hannah Höch
Lebensbild
Texte von Alma-Elisa Kittner
Hardcover, 96 Seiten, 40 farbige Abb.
ISBN 978-3-941644-81-6
The Green Box, Berlin 2016
Mit der Musikhochschule Trossingen haben sich Studierende des Studiengangs Musikdesign mit Werken Hannah Höchs auseinandergesetzt. Die elf Klangcollagen sind in der Ausstellung zu hören und unter: soundcloud.com/kunsthalle-mannheim/sets/hannah-hoech-retrospektive
Hannah Höch (1889-1978): Fortgeschritten, nach 1958
Collage, 24 × 16,8 cm
© Berliner Sparkasse © VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Hannah Höch (1889-1978): Den Männern gewidmet, die den Mond eroberten, 1969, Collage, 26 × 26,5 cm
Privatsammlung Düsseldorf (SURO) © VG Bild-Kunst, Bonn 2016