Sie wurde missdeutet, missverstanden, missbraucht, geschmäht, verdammt und ist wohl dennoch nicht zu tilgen: Die Romantik lebt – von der Romantik. Der amerikanische Schriftsteller Steven Millhauser hat in seiner Novelle „Zaubernacht“ literarische Figuren dieser Epoche für eine gemeinsame Handlung versammelt, und Alban Nikolai Herbst findet sie wunderbar.
Steven Millhauser: Zaubernacht
Novellenwunder
Dies ist die Nacht, da sich die Herzen öffnen.
Zaubernacht, 133
Wir können uns darüber lächelnd streiten, ob der englische Titel – Enchanted Night – dieser nicht nur zauberhaften, sondern magischen Novelle nicht schöner mit einer Anspielung auf Arnold Schönbergs frühe Streichermusik übersetzt wäre: Verklärte Nacht. Denn in der Tat erzählt Steven Millhausers kleine, mitunter märchenhafte Prosa dicht ineinander verwobene Abfolgen von Verklärungen – weit mehr als Richard Dehmels Gedicht, das des jungen Schönbergs Vorlage war. Zaubernacht, wofür sich der Verlag und seine wundervolle Übersetzerin Sabrina Gmeiner entschieden, greift vielleicht zu kurz, weil das Wort dem Vorgang so fern wie seinem Rhythmus ist: kleine, dunkle Wellen im Long Island Sound.
Unsicher ist auch, ob wir darüber sprechen können, weshalb wir mit Zaubernacht ein Wunder geschenkt bekommen haben. Staunend werden wir Satz für Satz zitieren, um unsere Eindrücke einen um den andren zu belegen. Doch werden wir, noch während wir vorlesen, erneut hineingesogen werden und uns fragen müssen, ob sich überhaupt sagen läßt, von außen sagen läßt, was hier derart auf uns wirkt. Da werden wir vielleicht ganz stumm werden und lieber wieder schweigen, lieber wieder schwimmen wollen in den nächtlichen Geschehen. Kleine Makel retten uns geradezu vorm Versinken – an die treibenden Plastetüten falscher Konjunktive (Irrealis) sind wir auf See längst gewöhnt und ohnedies ja die einzigen fast, die sie noch merken. Zumal Frau Gmeiners zarte Nachdichtungsvolte, die aus Mrs Winterbottom, einer hübschen Lehrerin, Mrs Winterpo macht, ganz der diese Novelle durchziehenden Sehnsucht entspricht. Daß es Mr Bottom (Zettel) ist, der nun träumt, wissen wir alle doch eh.
In einem gewissen Sinne ungewiß, ist diese Prosa nicht „nur“ Dichtung, sondern eine moderne US-amerikanische Hymne an die Nacht, ein Novalis der gelungenen Vereinigung, doch nicht die Spur von pubertär. Denn niemand ruft hier den Tod an: „Gelobt sei uns die ew‘ge Nacht,/Gelobt der ew‘ge Schlummer!“ Sondern die Nachtstimmen singen: Lehre das schlafende Herz das Erwachen.
Und wirklich! Indessen bei Novalis die Götter im Gefolge der alten Welt, die sich zu Ende neigte, verschwanden, wiederauferstehen sie in Millhausers Zaubernacht und erwecken aber nicht nur – wie in Hoffmanns Nußknacker und Mäusekönig – das Unbelebte, sondern die Menschen auch. Denn der Vliesschein sei es der Mondin, sei es des Mondes glaubt den Erscheinungen. Und macht sie wahr. Drum darf eine Schaufensterpuppe zu leben beginnen, wenn und weil sich auf sie die Liebessehnsucht eines einsamen Mannes richtet (Novalis, „So sang das Lied dem einsamen Bedarfe“). Er küßt sogar das Glas ihres Schaufensters, woraufhin Die Starre ihrer Haltung (…) in der Schaufensterpuppe eine geheime Begierde (weckt): Sie träumt davon, befreit zu werden, davon, ihre Deckung aufzugeben, sich genußvoll in die Bewegung fallen zu lassen.
Und er?
Er liebt sie, aber er begehrt sie nicht; oder eher: er begehrt sie, aber es ist nicht nötig, daß er sein Begehren erfüllt.
Daß der Einsame dennoch, als er ihrer Bewegung gewahr wird, erst einmal erschreckt davonläuft, sieht die Figur ihm weise nach. Und nimmt ihn später bei der Hand – ganz so, wie sich die vierzehnjährige Laura, der Stickigkeit ihres Schlafraums entflohen, dem Mond gibt: Eisflammen laufen über ihre Arme. Sie ist eine Tochter des Mondes. Berühre mich. Berühre.
Hier weht nicht nur die Nachtseite der „Sonne“ D.H.Lawrences nach (von 1928, And she lay half stunned with wonder at the thing that was happening to her), sondern ebenso wird Pygmalion zu Prosper Merimée befreit: Die Venus von Ille umweht des Mondes, der Meer wie Zyklus regelt, Licht als Gewand: La Lune trägt blaue Schatten.
Da stellen sich tuschelnde Fragen. Ein paar Kinder sind ebenfalls ausgerückt; wunderschön die Erzählung ihres huschenden Wegs. Ist es möglich, daß es im Wald Tiger gibt? fragen sie sich bang, da sich ganz in ihrer Nähe auf einen noch nicht erweckten, doch um so sehnsüchtigeren Jugendlichen, Danny mit Namen, die Mondin selbst herabsenkt, um ihn, der im Freien eingeschlafen ist, zum Mann zu machen.
Daß dies nicht währt, gehört zur Welt: So fühlt sie die Melancholie der sterblichen Liebe, denn die Erdenkinder sterben wie die Fliegen, noch während sie atmen. (…) Mit strahlenden Sandalen besteigt sie flink den Wagen und steigt in den Nachthimmel empor. Schon nämlich, wie ein andrer Großer schrieb, auf den eben „bottom“ verwies, „yonder shines Aurora's harbinger“ – dazu Millhauser selbst: ein Hauch von Grau im Osten. Und wenig später: Da erhebt sich die Göttin der Morgenröte im Palast des Ostens schon müde von ihrer Liege, reibt sich die Augen und zieht ihre safranfarbene Robe an. So daß die Schaufensterpuppe langsam an ihren Platz zurück muß; sie spürt‘s zuerst in ihrem Arm, nicht als eine Versteifung oder Kälte, sondern als einen vagen Verlust an Leichtigkeit. Und auch die Spielzeuge müssen sich als Spielzeug wieder finden. Erneut wird Pierrot an Columbines Kokottigkeit erstarren und seine Trän‘ im Tag vereist.
Die junge Laura aber, nun bereits Frau, steht noch im Mondlicht, dem sie sich gab, die Augen fest geschlossen, und spürt das Weiß in ihr lodern. Mit ihr tun es wir, die dieses Wunder lesen durften, und mögen gar nicht hören, wie Robin uns um Nachsicht bittet:
„If we shadows have offended,
Think but this, and all is mended,
That you have but slumber'd here
While these visions did appear.“
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erstellt am 16.5.2017

Steven Millhauser
Zaubernacht
Novelle
Gebunden, 141 Seiten
ISBN: 9783902711540
Septime Verlag, Wien 2016