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Peter Härtling war nicht Arno Schmidt
Eine unangebrachte Vorlautbarung zum Tode
Nach einem Wort von Martin Walser haben die Deutschen im 20. Jahrhundert das Erbe von Hölderlin, Goethe und Schiller verschlampt. Walser glaubt, dass in den Dreien die Götter Griechenlands lebendig gewesen seien, wie nach ihnen in keinem mehr. Auch Peter Härtling tendierte zu Verneigungen vor Riesen. Viel formte er aus dem Lehm der Geschichte. Das Spindelige der Romantik lag ihm besonders, ein Kellerwissen aus seltenen Büchern kitzelte seinen pädagogischen Eros und verschaffte ihm die Vorsprünge des Beflissenen.
Peter Härtling war nicht Arno Schmidt. Er lieferte den Exklusivitätsbedürfnissen eines Heranwachsenden in den Siebzigern nichts Brauchbares. Man stelle ihn sich im Gespräch mit Gudrun Ensslin vor. Zwei Schwaben, die sich nichts zu sagen haben. Ensslin kam aus Bartholomä, nach einer Dichtung des Fremdenverkehrsamtes, das Dorf am Rande des Himmels im Württemberg’schen Ostalbkreis. Da werden pietistische Albträume wahr.
Härtling kam aus Chemnitz, das hörte man aber nicht. Nach einer Odyssee wurde Nürtingen seine Sprachheimat. In der guten Stube des Andenkens verstaubt er zwischen Böll und Gabriele Wohmann als Gelesener. Heute frage ich mich, wie es dazu kommen konnte. Solange ich ihn nicht kannte, habe ich immer mal wieder was von ihm gelesen. Doch dann sah ich ihn vor Franz Marcs „Liegender Hund im Schnee“ im Städel. Halb liegend, das Werk mit äußerster Konzentration auffassend. Unfassbar beteiligt. Von da an konnte ich ihm gegenüber nicht mehr aufgeschlossen sein. Er sperrte meine Zugänge, einen nach dem anderen, nicht zuletzt mit seiner sämigen Aussprache. Er verbreitete Bonhomie. – Eine geistige Fettleibig- und Sauköpfigkeit wie auf einem Studienrätinnenbetriebsausflug zur Rüdesheimer Drosselgasse. Härtlings Daseinsgeräusche wurden von vielen als angenehm empfunden. Zu seinen Lesungen kam der Dutt im Dutzend. Er war ein Idol der selbstzüchtigen Lehrerin. Zufall ist das nicht, der Typus hatte sein Format im Pietismus und das Recht auf eine elaborierte Leidensgeschichte in der Romantik erhalten – Hitler wählen, sich dann im Lazarettdienst Tuberkulose holen, um leise hustend, aber zäh auf die Hundert zugehend, dem Wirtschaftswunder zu entsagen: so waren die schönsten Liebhaberinnen Härtling’scher Unterhaltungskunst gestrickt. Der Autor könnte ihnen erschienen sein wie ein anderer Günter Strack im Grünen Kranz der Goetheverehrung und des Bettinenkultes. Vermutlich begriff sich Härtling als Verspäteter. Die Maschen, die er fallen ließ, blieben liegen. Für den Nachwuchs hieß es: Kein Anschluss unter dieser Nummer.
Siehe auch
Martin Lüdke über Peter Härtling
Peter Härtling: Rede zum Berger Stadtschreiber-Preis
Siehe weiter
Kommentare
Werner Söllner - ( 12-07-2017 02:20:30 )
Ein naseweiser, präpotenter, geistig fettleibiger Nachruf. Härtling wird ihn überleben.
peter brunner - ( 12-07-2017 12:36:13 )
Das wird Härtling nicht gerecht. Bei allem Verständnis für die Distanz gegenüber seiner väterlichen Gütigkeit und gegenüber einigen seiner Verehrerinnen- der oben verlinkte Beitrag von Martin Lüdke trifft ihn besser. Und beide Beiträger haben kein Wort (!) über seine wirklich epochemachenden Jugendbücher verloren.
erstellt am 12.7.2017

Der Schriftsteller-Journalist Jamal Tuschick atmet die Kultur der Hauptstadt. Sein Evidenzbüro trägt er bei sich, wenn er Nacht für Nacht Theater, Lesung, Kino, Club, Musik, Ausstellung, Performance oder Diskussion aufsucht: den Notizblock. Der notorische Chronist schreibt sein laufendes Protokoll ins Textland auf Faust Kultur. Er ist unser Mann in Berlin.