In Monika Geiers „Alles so hell da vorn“ ermittelt die leicht chaotische Ludwigshafener Kriminalkommissarin Bettina Boll zum siebten Mal. Geier ist eine der besten deutschen Krimiautorinnen der Gegenwart, meint Kirsten Reimers.

Buchkritik

Die Unterschätzte

Welch ein Skandal! In einem runtergekommenen Bordell mit minderjährigen Mädchen in Frankfurt am Main wird ein Polizist mit seiner eigenen Dienstwaffe erschossen! Der Mann trug seine alte grüne Uniform, und er war mit Sicherheit nicht aus ermittlungstechnischen Gründen vor Ort. Da es sich um einen Kriminalbeamten aus Ludwigshafen handelt, werden mitten in der Nacht die Kollegen aus Rheinland-Pfalz hinzugezogen. Unter ihnen: Bettina Boll – vermutlich im deutschsprachigen Raum die einzige kriminalliterarische Ermittlerin, die halbtags tätig ist.

„Alles so hell da vorn“ ist der siebte Roman von Monika Geier um die leicht chaotische Kommissarin vom Ludwigshafener K11: immer etwas zu spät dran, immer etwas desorganisiert, immer etwas underdressed – aber mit so kluger wie genauer Beobachtungsgabe und messerscharfem Verstand, denn sie hat sich ein fast kindliches Staunen bewahrt, das nur wenig als gegeben hinnimmt. Von anderen wird sie deshalb oft als naiv unterschätzt. Doch was wie Intuition scheint, ist das Ergebnis blitzschneller Kombination von Gesehenem und Gehörtem, unkonventionellem Denken und dem analytischen Rückgriff auf Erfahrungen. Darin – und nur darin – ähnelt Monika Geier ihrem Vorbild Agatha Christie. In allen anderen Punkten hat sie die Britin längst meilenweit überflügelt.

Komplex, filigran und fluffig

Monika Geier hat als Architektin gearbeitet, bevor sie sich ganz auf das Schreiben von Kriminalromanen konzentrierte. Ihre Faszination für Räume und für Mathematik merkt man den Romanen an: komplex gebaut, filigran konzipiert und von eleganter, fluffiger Struktur und überzeugender Stringenz. Nie lässt sich mit wenigen Worten sagen, worum es eigentlich geht. Denn so einfach ist das Leben und das Verbrechen nun mal nicht. Es mag in Monika Geiers Kriminalromanen Morde aus Eifersucht, aus Gier oder Rache geben – aber dahinter steckt meist sehr viel mehr.

Denn die Taten, um die es Geier geht, werden nicht von „kranken“, „abnormen“, „bösen“ Monstern begangen, sondern von ganz normalen Menschen, die sich an irgendeinem Punkt entscheiden, ihre Probleme mithilfe von Verbrechen zu lösen beziehungsweise durchs Wegsehen, Verleugnen oder Schweigen. Die Lebenssituation, in der sie sich je befinden, spielt dabei eine Rolle, oft sind sie in irgendeiner Weise unter Druck, aber das ist nur eine Erklärung, nie eine Entschuldigung: Jeder Täter, jede Täterin hat bei Monika Geier eine Wahl – und entscheidet sich bewusst.

So auch im aktuellen Krimi: Geschossen hat eine minderjährige Prostituierte, die anschließend flieht und einen weiteren Mord in einem kleinen Dörfchen in der pfälzischen Provinz begeht. Vor zehn Jahren ist hier ein kleines Mädchen verschwunden. Handelt es sich bei der Täterin um die vermisste Meggie, die zurückgekommen ist, um sich an ihrem Entführer zu rächen? Natürlich ist es weit komplexer, so viel sei verraten. Die Zusammenhänge sind deutlich brisanter und reichen bis in ranghohe Polizeikreise, sodass sich sogar das BKA einschaltet.

Wie stets gelingt es Monika Geier, auf unaufdringliche Weise ein Verbrechen als individuelle Entscheidung in einen größeren Kontext einzubetten und die wechselseitigen Beziehungen von Gesellschaft, Individuum und Verbrechen aufzudecken – und das ungemein unterhaltsam und mit sehr subtilem, oft tiefschwarzem Humor. Spürbar ist dahinter oft auch eine tiefe Wut auf Dinge, die die Kriminalkommissarin hilflos und ohnmächtig zurücklassen.

Jenseits des Regionalen

Geiers Romane sind in einer fiktiven Pfalz angesiedelt, in einem Paralleluniversum, wie sie es selbst nennt. Nachbarstädte wie Frankfurt, Pirmasens oder Mannheim, auch Ludwigsburg werden zwar mit Namen genannt, doch die tatsächlichen Schauplätze sind frei erfunden. So fallen diese Krimis nicht in die Kategorie der formelhaft-langweilig runtergeschriebenen Regionalkrimis.

Verschiedene Dörfchen im Pfälzer Wald mögen Pate gestanden haben, doch geht es Monika Geier in keiner Weise um einen Abbildrealismus, es geht ja nicht mal um die Pfalz. Wie ihre KK Boll ist Geier eine genaue Beobachterin, die menschliche Eigentümlichkeiten mit wenigen Worten erfassen und lebendig machen kann, und das jenseits von sozialer oder regionaler Situierung. So sind die Romane bevölkert von wunderbar skurrilen Figuren, die bei aller Absonderlichkeit jedoch nie schrill werden. Jeden Roman durchzieht eine einzigartige Mischung aus Überzogenheit und Bodenständigkeit, die die Wirklichkeit pointiert einfängt.

Grandios auch, wie Geier den alltäglichen Sexismus schildert, mit dem sich KK Boll – von ihrem Vorgesetzten „Böllchen“ genannt – in einer männerdominierten Welt offen und unterschwellig herumschlagen muss. Das geschieht en passant, ganz unaufdringlich und doch so punktgenau entlarvend, dass es eine reine Freude ist.

Dank dieser Vielschichtigkeit gelingen Monika Geier äußerst witzige und perfekt getimte Whodunits, die Klischees und Erwartungen unterlaufen, die scheinbar naiv daherkommen und doch subversiv das Denken von innen heraus aufsprengen. Immer wieder ist unverständlich, warum diese Autorin, die so klug, so stilsicher und pointiert schreibt, die so filigrane wie belastbare Plots auf den Punkt konstruieren kann – warum diese Frau nicht längst auf allen Bestsellerlisten und in allen Bücherregalen steht. Denn sie ist schlicht und einfach eine der besten gegenwärtigen deutschen Krimiautorinnen.

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erstellt am 28.7.2017

Monika Geier
Alles so hell da vorn
Kartoniert, 412 Seiten
ISBN 978-3-86754-223-4
Argument Verlag mit Ariadne, Hamburg 2017

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