Eine Veranstaltungsreihe im Wiener Theater Nestroyhof sucht nach Antworten angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen – nicht nur in Österreich. Bewusst werden nicht Journalisten, sondern Autoren eingeladen. Elvira M. Gross berichtet vom Premierenabend mit dem Essayisten Franz Schuh.

Österreich nach der Wahl

»Was passiert eigentlich mit uns?«

Das Theater Nestroyhof im zweiten Wiener Gemeindebezirk hat eine lange Geschichte. Die sogenannte „Mazzesinsel“ war Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Vergnügungsetablissement, Anfang des 20. Jahrhunderts brachte hier Karl Kraus’ Theatergruppe Wedekinds „Die Büchse der Pandora“ erstmalig auf die Bühne – auch Kraus selbst trat hier auf. Und Hans Moser, der sich seine legendäre nuschelnde Aussprache durch Auftritte mit jiddischen Theatergruppen („Jüdische Künstlerspiele“) aneignete. Mit dem „Anschluss“ 1938 nimmt das jüdische Kulturleben ein jähes Ende, und nach schweren Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg folgt ein Kinobetrieb, danach ziehen diverse Supermarktketten ein. 2009 endlich eröffnet das behutsam renovierte Theater erneut seine Pforten und gehört mittlerweile zu einer der wichtigsten Mittelbühnen der Stadt und zu einer gesellschaftlichen Plattform für Erinnerungsarbeit und kritischen Diskurs.

Ausgehend von der Frage „Was passiert eigentlich mit uns?“ haben nun der Dramaturg Karl Baratta und der Intendant Frederic Lion eine Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, die kritisch und literarisch Antwort geben soll angesichts der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in diesen „Tagen der Unruhe“ – nicht nur in Österreich. Bewusst werden hier nicht Journalisten, sondern Autoren eingeladen: Franz Schuh, Elisabeth Samsonow, Gustav Ernst und Robert Schindel, Karin Peschka und Erwin Riess, Doron Rabinovici, Theodor Bauer und Antonio Fian sollen Stoff zum Denken (Paroli!) bieten, zum Denken nicht nur in tagespolitischen Ansätzen.

Franz Schuh © Manfred Werner, 2008
Franz Schuh © Manfred Werner, 2008

Eröffnet hat die Reihe der Essayist, der wie kein anderer Lustprinzip und Aufklärung miteinander verbindet: der Autor Franz Schuh, bekannt unter anderem für seine Glossen in der Wochenzeitung „Die Zeit“ und im Radiosender Ö1. In geistiger Nachfolge von Alfred Polgar oder Egon Friedell entwirft Franz Schuh eine Tour d’Horizon durch Entwicklungen des 20. Jahrhunderts, die bis heute Zündstoff geben. Dabei beginnt Geschichte für ihn immer auch bei Biographischem, seinen Eltern, seiner Bundesheerzeit in der Rainer-Kaserne bei Salzburg, mittlerweile von RedBull übernommen. Schuh führt über die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre und das kleine, stets von Hoffnung getragene österreichische Nachkriegsglück spielerisch über Sprache und Anekdotisches zu Peter Handkes Roman „Wunschloses Unglück“, spricht über die (verlorene?) Zeit der Sozialdemokratie und Bruno Kreisky, bezieht sich auf Elias Canetti, Karl Kraus, dessen Kontrahenten Anton Kuh, lässt dabei die „Bürokratierhetorik“ Hitlers nicht unerwähnt, berichtet von Begegnungen mit alten und jungen Nazis, kommentiert die von der „Kronenzeitung“ (Wolf Martin!) gestützte, infantilisierte Form von Politik eines Josef Pröll und Werner Faymann oder einen Kommentar Wolfgang Schüssels, der im „Seitenblicke-Magazin“ auf die Frage, warum die Österreicher das Skifahren so interessiert, geantwortet haben soll: „Weil’s bergab geht, wir lieben es, wenn’s schnell bergab geht!“ Oh, du mein Österreich!

Für Franz Schuh ist es gerade der Wahnwitz der Gleichzeitigkeit von Ereignissen, die eine Dehumanisierung mit sich bringt: Krieg als von Kraus bezeichnetes „technoromantisches Abenteuer“, das letztlich nur in die Gefühllosigkeit führen kann.

Nach dem Vortrag folgt ein Gespräch zur österreichischen ‚Parteienlandschaft‘, die sich mit der Schönheit der Berge eher nicht messen kann. Franz Schuhs die Veranstaltung abschließender Kommentar zur Zukunft der Arbeit lautet: „Wenn die Leute nicht mehr arbeiten, dann werden sie halt fernsehen.“
So werden wir halt (fern-)schauen, wie’s weitergeht.

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erstellt am 19.2.2018

Veranstaltungsreihe in Wien

Tage der Unruhe

Termine:

14.2.2018 Franz Schuh
21.2. Elisabeth von Samsonow
7.3. Gustav Ernst, Robert Schindel
13.3. Karin Peschka, Erwin Riess
20.3. Doron Rabinovici
3.4. Theodora Bauer, Antonio Fian

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