Interessantes Experiment von Microsoft (wobei die Gesichtserkennungssysteme sind heutzutage zu Hauf vorhanden). Auch wenn mein Alter falsch eingeschätzt wurde, die Stimmungslage wurde jedoch perfekt aufgefasst. Vermutlich laufe ich immer mit jener Visage der Glückseligkeit durch die Buchmesemsenhallen. Denn abgesehen von ein paar eklige rechte Verlage hier, ein Paar heranlockende esoterische Sekten dort, eine gewisse obligatorische Anzahl an Kitsch, Populismus, Effekthascherei und Publikumsanbiederung überall, findet man doch hier jede Menge von Glück und Schönheit.
Ja, meine werte Damen und Herren, die Leute auf der Buchmesse sind einfach schön. Jetzt ohne pauschalisieren zu wollen.
Denn sie sind wegen der Bücher da. Pauschal gesehen.
Gleich zu Anfang finde ich zwei Biographien über Sophie Taeuber-Arp. Höchst interessant, dass die Figuren der Historischen Avantgarde heutzutage so intensiv betrachtet und beleuchtet werden.
Vor allem die Dada-Frauen der Historischen Avantgarde sollten besser zur Geltung kommen- wurden sie doch zu ihren Zeiten von den Dada-Männern (die sonst so fortschrittlich und subversiv waren) eher distanziert wahrgenommen. Es war beispielsweise eine Überzeugungskraft notwendig, damit Hannah Höch auf deemr ersten Dada-Ausstellung mit ihren Werken präsent wäre.
Die Gendertoleranz damaliger Zeit war wohl eher Ausnahmensache damals. Und wie ist es heute?
Besuch der Buchmesse am Sonntag zeichnet sich durch zwei Extremen aus: es ist extremely voll und extremely leer. Die Fachbesuchertage, diese inspirierend-kreative Atmosphäre “unter vier Augen”, diese small talks am Verleger-Tischchen, diese Kaffeepausen zusammen mit Schriftstellern, oder auch ohne - diese spoannend-entspannte Luft - all das schwindet am Wochenende. Wann die grosse Welle kommt.
Und so sind die internationalen Säle am Packen. Überall hört man die einheitliche Symphonie der abgerissenen Packbänder. Und je weiter weg die Verläge zurück müssen, desto früher verschwinden sie - in der amerikanischen Ecke sind die meisten am Sonntag schon weg.
Was bleibt, sind die leeren Stands und Buchregale. Gepackte Kartons. Katalogstapel.
Doch traut Euch nicht in die Halle 4 oder 3 - dort ist am Sonntag ein Tochuwabohu angesagt.
Frankfurter Buchmesse. Meine ewige unerreichbare. Voller Geheimnisse und Kitsch, voller Offenbarungen und Plattitüden. Diesmal habe ich Dich an einem Tag besuchen können. Jedes Mal finden sich hier faszinierenden Sachen. So wollen wir mal schauen, was ich an einem Tag schaffen kann, was normalerweise innerhalb der ganzen Fachbesucher-Woche nicht errreichbar ist.
Wenn Sie denken, Sie haben auf der Buchmesse bereits alles gesehen, dann warten Sie mal ab! Denn plötzlich - inmitten der digitalen Novationen und des originalgetreuen Faksimiles von Voynich Manuskript, inmitten der AR/VR und PR Wirrwarr, inmitten der babylonischen Sprachverwirrung stolpern Sie plötzlich über dieses gar seltsame Buch.
Das Buch besteht aus Gedichten, Kurzgeschichten samt akkurates Inhaltsverzeichnis.
Doch welche Sprache ist es denn? Es ist weder in Chinesisch, noch in Japanisch, noch in einer anderen, mir bekannten Zunge verfasst.
Eine Kunstsprache a la Codex Seraphinianus? Falsch. Asemisches Schreiben? Falsch. Kodierte Schrift? Ebenso falsch. Was ist das? Wer hat’s geschrieben?
Käfer. Spinnen. Und andere Insekten. Das Buch ist herausgegeben vom chinesischen Künstler Zhu Yingchun. Dieser bescheidene Mann, hier ganz unscheinbar am Stand der Universitären Verlagsgruppe “Guangxi Normal University Press” sitzend, ist übrigens als Künstler des Jahres 2018 in China nominiert.
Er hat im Laufe mehrerer Jahre Unmengen von Papier seinen eigentlichen Ko-Autoren zur Verfügung gestellt: dem Ungezifer… nein, der Begriff “Ungezifer” wäre eine Diskrimination. Sagen wir: Insekten. Oder: Insektuelle und Literaupen. Sie haben viel zu sagen. Leicht in die Tusche getunkt, wurden sie freigelassen, und wanderten durch Tabula Rasa wie Erstentdecker am neuen Kontinent. Oder frassen sich in die Baumblätter in arabesken Mustern. Die unzähligen Spuren, die sie hinterließen, wurden zum Buch. Zeichen für Zeichen wurden sie zu Texten. Zhu Yingchun hat die Rolle des Beobachters übernommen, wie er in diesem Kurzfilm erklärt:
Hier nimmt er die interessante, gar dadaistische Position eines Luigi Seraffini ein: die Kinder könnten dieses Buch am besten lesen. Und verstehen. Für sie ist das visuelle und informative, das vor-sprachliche und das vor-schriftliche noch verschmolzen. Sie kommen ohne konventionelle Verstarrtheit an die Lektüre ran.
Übrigens hat er auch Lithographien ebenfalls aus diesen enigmatischen Zeichen erstellt. Am Stand des Verlages konnte man sich selbst einen Abdruck der Insektenmeisterwerks erstellen.
Zuerst bestreicht man die aus den Käfermanuskripten erstellte Presse mit der feinsten Chinesischen Tusche.
Dann legt man das ebenso feinste chinesische Xuan-Papier darauf - dieses Papier ist extra für Kalligrafie vorbehalten.
Dann presst man das Papier reichlich mit Walze, damit die Tusche aufgesaugt wird.
Vorsichtig abziehen.
Und fertig!
Und jetzt noch vom Autor unterschreiben lassen…
Wartet mal, ist er der eigentliche Autor? Ist es nicht vermessen, die Werke der anderen Eigen zu nennen?
Ja, er hat sich rechtlich abgesichert. Er ist der Verleger, er ist der Mäzen, er ist auch der Autor, ohne wessen Koordination die Manuskripte nie das Licht der Welt gesehen hätten.
So sitzt der bescheidene Zhu Yingchun am Stand seines Verlages und liest ein Buch. Manchmal jedoch, wie mir eine Verlagsmitarbeiterin verraten hat, geht er durch die Buchmessenhalle spazieren. Mit einer riesigen Spinne an seiner Schulter. Die Spinne bewegt sich kaum. Sie ist sein Ko-Autor, einer der vielen. Zhu Yingchun nennt sie alle “Nachbarn”.
#fbm17: der Verlag Kein&Aber präsentierte sich am eindruckvollsten: mehrere aufeinander gestapelten Container, wie Leseorte eingerichtet: als eine Küche, als ein Warteraum voller Bücher, auch als ein Schlafzimmer. Alles mit schöner Sicht auf Buchmessengelände. Hier bin ich Mensch! (@diemitdemfarbschnitt) #keinundaber #fbmmm (at Frankfurter Buchmesse)
#fbm17: EVE JAY.DEsign präsentiert Comic solidarity, eine Plattform für unabhängige Comic Künstler. Wahnsinn, was hier alles gibt! Zum Beispiel Comicbuch als eine Schriftrolle. Und Signierstunden, natürlich auch! #fbmmm (hier: Frankfurter Buchmesse)